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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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webt, sinkt zum Genre herab. Das Genre -- und ziemlich die ganze Düsseldorfer
Schule gehört in diese Kategorie -- hat nur wegen dieser sinnlichen Wahrheit Be¬
rechtigung im Gebiet der Kunst, wenn es zugleich durch humoristische Idealität ge¬
tragen wird. Die Idealität der historischen Gemälde kann aber nur die tragische
sein. Auch die plastische Kunst muß sich dem Gesetz der geistigen Nothwendigkeit
fügen, und groß ausgeführte Genrebilder, wie die Paul Veroneses, haben eben weil
diese innere Nothwendigkeit fehlt, trotz des Reichthums an characteristisch bedeu¬
tenden Figuren, keinen Anspruch an künstlerische!: Werth im höhern Sinne. Die
phantastisch - allegorischen, oder blos sinnlichen Bilder nach antikem Zuschnitt sind
dem Relief zu überlassen. Ans die Malerei übertragen -- wie es Kaulbach in
seiner Hunnenschlacht gethan, -- haben sie nur in so weit Berechtigung, als ein
ethischer Gehalt in ihnen durchscheint, als sie unter dem Schein einer übersinnli¬
chen Gestaltung dennoch Realität ausdrücken. In jenem Gemälde wachen die todten
Krieger auf und greifen sofort nach ihrem Schwert, um den Kampf des alten
blutigen Hasses fortzusetzen. Der Schein des Todes ist aber hier nur die Ab¬
spannung der Ermüdung, der wirkliche Tod leidet keinen Haß und keine Bewe¬
gung, und ein Versuch, beides zu vcrmilchcn, kann uur als Burleske gedacht
werden. Strenger als die Poesie folgt die Plastik dem Gesetz der Wirklichkeit;
sie kann uns für Augenblicke hintergehn, indem sie angeerbten Bildern unserer
Phantasie schmeichelt, aber uur durch Wahrheit reißt sie uns für die Dauer fort.

Die zweite Anforderung an das historische Gemälde ist Leben, Action,
Leidenschaft. Die Leidenschaft, wie das Tragische und Erhabene überhaupt
entspringt aus einem Gegensatz. Selbst die Düsseldorfer fühlen das Bedürfnis;
dieses Gegensatzes, aber sie fassen ihn nur äußerlich. Jeremias auf den Rui¬
nen von Jerusalem, Kinder spielend ans Ruinen u. s. w. Es ist ein elegischer
Eontrast, kein tragischer. Höher ist die Form, welche den Gegensatz in den
Scelenausdruck des Menschen legt, wie Napoleon nach den Unterhandlungen von
Fontainebleau von Paul Delaroche. Der Gegensatz der genialen Kraft und des
Bewußtseins durch die Umstände dennoch geknechtet zu sein, ist tragisch; allein in
der Plastik wird man leicht versucht, in falscher Nachahmung der Poesie, welche die
Mittel hat, uns stufenweise die Metamorphosen der Seele nachzuweisen, in den mo¬
mentanen Ausdruck des subjektive" Gefühls eine ganze Tragödie legen zu wollen.

Zu viel Ausdruck im Gesicht wird Carricatur. Der wahre Künstler zeigt
die Leidenschaft in ihrer Aeußerung, der Action. Die französischen Maler sind
uns darin weit voraus; sie haben die Kühnheit, es mit dem Detail leicht zu
nehmen, um die großen Züge der Handlung hervortreten zu lassen.

Dagegen fehlt ihnen oft das dritte der Kunst: die geistige B edeutnng.
Die alten Künstler wußten sie uur in Energie des Leidens zu legen; eine ab¬
stracto, unfruchtbare Geistigkeit, die in der Kunst im besten Falle zu einem for-
cirten Heraustreten der Gefühlswelt führte. Der religiöse Standpunct, in wei°


webt, sinkt zum Genre herab. Das Genre — und ziemlich die ganze Düsseldorfer
Schule gehört in diese Kategorie — hat nur wegen dieser sinnlichen Wahrheit Be¬
rechtigung im Gebiet der Kunst, wenn es zugleich durch humoristische Idealität ge¬
tragen wird. Die Idealität der historischen Gemälde kann aber nur die tragische
sein. Auch die plastische Kunst muß sich dem Gesetz der geistigen Nothwendigkeit
fügen, und groß ausgeführte Genrebilder, wie die Paul Veroneses, haben eben weil
diese innere Nothwendigkeit fehlt, trotz des Reichthums an characteristisch bedeu¬
tenden Figuren, keinen Anspruch an künstlerische!: Werth im höhern Sinne. Die
phantastisch - allegorischen, oder blos sinnlichen Bilder nach antikem Zuschnitt sind
dem Relief zu überlassen. Ans die Malerei übertragen — wie es Kaulbach in
seiner Hunnenschlacht gethan, — haben sie nur in so weit Berechtigung, als ein
ethischer Gehalt in ihnen durchscheint, als sie unter dem Schein einer übersinnli¬
chen Gestaltung dennoch Realität ausdrücken. In jenem Gemälde wachen die todten
Krieger auf und greifen sofort nach ihrem Schwert, um den Kampf des alten
blutigen Hasses fortzusetzen. Der Schein des Todes ist aber hier nur die Ab¬
spannung der Ermüdung, der wirkliche Tod leidet keinen Haß und keine Bewe¬
gung, und ein Versuch, beides zu vcrmilchcn, kann uur als Burleske gedacht
werden. Strenger als die Poesie folgt die Plastik dem Gesetz der Wirklichkeit;
sie kann uns für Augenblicke hintergehn, indem sie angeerbten Bildern unserer
Phantasie schmeichelt, aber uur durch Wahrheit reißt sie uns für die Dauer fort.

Die zweite Anforderung an das historische Gemälde ist Leben, Action,
Leidenschaft. Die Leidenschaft, wie das Tragische und Erhabene überhaupt
entspringt aus einem Gegensatz. Selbst die Düsseldorfer fühlen das Bedürfnis;
dieses Gegensatzes, aber sie fassen ihn nur äußerlich. Jeremias auf den Rui¬
nen von Jerusalem, Kinder spielend ans Ruinen u. s. w. Es ist ein elegischer
Eontrast, kein tragischer. Höher ist die Form, welche den Gegensatz in den
Scelenausdruck des Menschen legt, wie Napoleon nach den Unterhandlungen von
Fontainebleau von Paul Delaroche. Der Gegensatz der genialen Kraft und des
Bewußtseins durch die Umstände dennoch geknechtet zu sein, ist tragisch; allein in
der Plastik wird man leicht versucht, in falscher Nachahmung der Poesie, welche die
Mittel hat, uns stufenweise die Metamorphosen der Seele nachzuweisen, in den mo¬
mentanen Ausdruck des subjektive» Gefühls eine ganze Tragödie legen zu wollen.

Zu viel Ausdruck im Gesicht wird Carricatur. Der wahre Künstler zeigt
die Leidenschaft in ihrer Aeußerung, der Action. Die französischen Maler sind
uns darin weit voraus; sie haben die Kühnheit, es mit dem Detail leicht zu
nehmen, um die großen Züge der Handlung hervortreten zu lassen.

Dagegen fehlt ihnen oft das dritte der Kunst: die geistige B edeutnng.
Die alten Künstler wußten sie uur in Energie des Leidens zu legen; eine ab¬
stracto, unfruchtbare Geistigkeit, die in der Kunst im besten Falle zu einem for-
cirten Heraustreten der Gefühlswelt führte. Der religiöse Standpunct, in wei°


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/314>, abgerufen am 22.07.2024.