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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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unten zu sehen -- hebt den einen Arm drohend empor, den andern streckt er be¬
fehlend hinab; die beiden Engel tragen unwirksame Blitze in der müßigen Hand.
In der Bibel heißt es zwar, die bloße Erscheinung Gottes sei geeignet, die Men¬
schen zu tödten, allein wenn wir ein Bild vor uns haben, wollen wir mit den
Augen dem Kausalnexus folgen. Was Gott thut und sagt, bleibt uns unver¬
ständlich: die einzige Gefahr scheint die zu sein, daß er die Untenstehenden im
Herunterfallen durch sein Gewicht erdrückt. Man hat gegen den Gott des Rnben-
schen Weltgerichtes, wie gegen seinen Neptun, die Einwendung gemacht, sie seien
ungöttlich in ihrer Leidenschaftlichkeit, und das ist richtig; die edle Natur muß
schon bleiben auch in ihrem Zorn, aber Energie der Leidenschaft, sowie sinnliche
Macht müssen wir voraussehen, wenn wir an ihre Macht glauben sollen.

Man wird mir einwenden, daß ich hier an die moderne Malerei Anforde¬
rungen mache, hinter denen die berühmten Gemälde der Meister des 16. Jahr¬
hunderts wenigstens die in großem Styl gehaltenen -- ohne Ausnahme
zurückbleiben würden. So ist es auch. Die moderne Kunst hat höhere Probleme
zu lösen, höhere Ideale zu befriedigen, als die aus christlicher Abstraction und
heidnischer Sinnlichkeit wunderlich zusammengesetzten des 16. Jahrhunderts. Ku¬
riose Lichteffecte, wie in Correggio's heiliger Nacht, genügen weder dem religiösen
noch dem künstlerischen Bedürfniß mehr, seitdem erkannt ist, daß nur in der Wahr¬
heit Schönheit sei, daß der Geist nur in der Durchdringung der Natur, die Natur
nur durch den durchscheinenden Geist berechtigt wird. Wir sind über die Martyrien
hinaus wie über die abstracte Sinnlichkeit Laba's und ihres Schwanes. Seitdem
wir das Leben nicht im ruhenden Ideal, sondern in der Bewegung suchen, ist das
historische Gemälde -- nicht blos die willkürliche Aneinanderreihung historischer,
mythischer oder allegorischer Figuren, die höchste Ausgabe der plastischen Kunst.
An ein historisches Gemälde machen wir aber -- abgesehen von den technischen
Gesetzen -- folgende drei Anforderungen.

Einmal sinnliche Klarheit. Die Bedeutung eines Bildes soll nicht hin¬
ter ihm sein, nicht in irgend einer Anspielung auf einen Gedanken oder eine an
sich große Begebenheit, die wir aus dem Katalog erfahren, wie man sonst an den
Mund der auftretenden Figuren Zettel klebte, aus denen man erfuhr, was sie
sagten. Der historische und mythische Stoff bietet Tragödien genug, aber er ist
verführerisch, wie wir das auch am historischen Drama sehn; statt die Größe des
Gegenstandes in dem Bilde selbst auszuprägen, appellirt man an die Reminiscenz,
an das Gedächtniß. Die Verbreitung historischer Portraits, die wir in historischen
Bildern mit Recht wieder zu finden erwarten, schadet an sich der Idealität nichts;
denn von unserm Standpunkt des Bewußtseins aus erscheint nur das schön, was
zugleich charakteristisch ist. Nur muß dies Charakteristische nicht, wie sonst die
der menschlichen Figur äußerlich angefügten conventionellen Attribute gegen die
Handlung gleichgiltig sein; selbst ein Napoleon, in ein gleichgiltiges Gemälde ver-


unten zu sehen — hebt den einen Arm drohend empor, den andern streckt er be¬
fehlend hinab; die beiden Engel tragen unwirksame Blitze in der müßigen Hand.
In der Bibel heißt es zwar, die bloße Erscheinung Gottes sei geeignet, die Men¬
schen zu tödten, allein wenn wir ein Bild vor uns haben, wollen wir mit den
Augen dem Kausalnexus folgen. Was Gott thut und sagt, bleibt uns unver¬
ständlich: die einzige Gefahr scheint die zu sein, daß er die Untenstehenden im
Herunterfallen durch sein Gewicht erdrückt. Man hat gegen den Gott des Rnben-
schen Weltgerichtes, wie gegen seinen Neptun, die Einwendung gemacht, sie seien
ungöttlich in ihrer Leidenschaftlichkeit, und das ist richtig; die edle Natur muß
schon bleiben auch in ihrem Zorn, aber Energie der Leidenschaft, sowie sinnliche
Macht müssen wir voraussehen, wenn wir an ihre Macht glauben sollen.

Man wird mir einwenden, daß ich hier an die moderne Malerei Anforde¬
rungen mache, hinter denen die berühmten Gemälde der Meister des 16. Jahr¬
hunderts wenigstens die in großem Styl gehaltenen — ohne Ausnahme
zurückbleiben würden. So ist es auch. Die moderne Kunst hat höhere Probleme
zu lösen, höhere Ideale zu befriedigen, als die aus christlicher Abstraction und
heidnischer Sinnlichkeit wunderlich zusammengesetzten des 16. Jahrhunderts. Ku¬
riose Lichteffecte, wie in Correggio's heiliger Nacht, genügen weder dem religiösen
noch dem künstlerischen Bedürfniß mehr, seitdem erkannt ist, daß nur in der Wahr¬
heit Schönheit sei, daß der Geist nur in der Durchdringung der Natur, die Natur
nur durch den durchscheinenden Geist berechtigt wird. Wir sind über die Martyrien
hinaus wie über die abstracte Sinnlichkeit Laba's und ihres Schwanes. Seitdem
wir das Leben nicht im ruhenden Ideal, sondern in der Bewegung suchen, ist das
historische Gemälde — nicht blos die willkürliche Aneinanderreihung historischer,
mythischer oder allegorischer Figuren, die höchste Ausgabe der plastischen Kunst.
An ein historisches Gemälde machen wir aber — abgesehen von den technischen
Gesetzen — folgende drei Anforderungen.

Einmal sinnliche Klarheit. Die Bedeutung eines Bildes soll nicht hin¬
ter ihm sein, nicht in irgend einer Anspielung auf einen Gedanken oder eine an
sich große Begebenheit, die wir aus dem Katalog erfahren, wie man sonst an den
Mund der auftretenden Figuren Zettel klebte, aus denen man erfuhr, was sie
sagten. Der historische und mythische Stoff bietet Tragödien genug, aber er ist
verführerisch, wie wir das auch am historischen Drama sehn; statt die Größe des
Gegenstandes in dem Bilde selbst auszuprägen, appellirt man an die Reminiscenz,
an das Gedächtniß. Die Verbreitung historischer Portraits, die wir in historischen
Bildern mit Recht wieder zu finden erwarten, schadet an sich der Idealität nichts;
denn von unserm Standpunkt des Bewußtseins aus erscheint nur das schön, was
zugleich charakteristisch ist. Nur muß dies Charakteristische nicht, wie sonst die
der menschlichen Figur äußerlich angefügten conventionellen Attribute gegen die
Handlung gleichgiltig sein; selbst ein Napoleon, in ein gleichgiltiges Gemälde ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/313>, abgerufen am 22.07.2024.