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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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macht, ich kann aber nicht finden, daß zur Darstellung der leitenden Idee -- des
Gegensatzes zwischen der Bigotterie einer in ihrer Abstraktion aufgewachsenen Priester¬
schaft einerseits, und dem natürlichen Gefühl wie der philosophischen Bildung andrer¬
seits -- das Judenthum eine glückliche Wahl war. Die christliche Hierarchie liegt
uns näher und hat schon ein größeres geschichtliches Interesse. Bei den Juden des
17. Jahrhunderts denken wir immer an unsere Juden, und der Umstand, daß durch
den Uebertritt zum Christenthum der ganzen Schwierigkeit auf eine leichte Weise ein
Ende zu machen wäre, liegt zu nahe, als daß wir ernsthaft in eine tragische
Spannung kommen sollten. Für einen solchen Zweck bietet die alte jüdische Ge¬
schichte bessere Stoffe. Racine's Athalie ist in gewissem Sinn ein klassisches
Bild; der blutige Fanatismus dieser Liebe zum Herrn, der jede andere Liebe aus¬
schließt, ja der eigentlich identisch ist mit dem Haß gegen Alle, die eine solche
ausschließende Liebe nicht hegen, hat hier eine Tragödie hervorgebracht, die ebenso
den Geist des Jansenismus, dem Racine angehörte, darstellt, als den Geist des
Judenthums, auf den er als auf seine Quelle zurückgeht. Gutzkow steht auf Seite
der Humanität, der Natur und Bildung; Racine ist ein Eiferer für die christliche
Liebe, er freut sich, wie der ungläubigen Athalie Leichnam von den Hunden zer¬
fleischt wird. Ueber' diesen sittlichen Standpunkt sind wir hinaus.

Dagegen ist Lessing's Rath an ein ewiges Bild. Mit Unrecht sucht man
in diesem weisen Jsraeliten das abstrakte Ideal eines Philosophen. Nathan ist
Jude durch und durch; er ist nur als Jude möglich. Aber allerdings das Ideal
des Juden, der seine falsche Stellung in der Welt wie seine ethischen Voraussetzun¬
gen durch Bildung und Kraft des Geistes überwunden hat. Dem Druck der Ver¬
hältnisse setzt er Resignation entgegen, aber nicht jene sieche Resignation der
Romantik, welche die Augen anklagend zum Himmel aufschlägt und die Hände
in den Schooß legt, sondern die hohe Resignation Spinoza's -- des Nathan's
der Theorie -- der die Nothwendigkeit nicht als äußere Macht, sondern als in¬
nere Grenze liebevoll anerkennt und durch geistige Auffassung zur Freiheit erhebt.
In seiner Demuth, die das Gefühl geistiger Superiorität begleitet, spricht aller¬
dings der Paria; Socrates z. B. würde dem störrischen Templer, der trotz sei"
ner gesunden Natur mit allen Hochmuth des Schwäbischen Edelmanns und des
Christen dem Juden gegenübertritt, selbst noch da, als er schon seine sittliche Würde
durchschaut hat -- ich sage, Sokrates würde diesem Trotzkopf nicht den Mantel
küssen. Nathan bezwingt den Stolz des jungen Mannes durch hingebende, de¬
müthige Liebe, in der aber stets das Bewußtsein des edlen Mannes durchscheint;
er bezwingt das Gelüst des allmächtigen Herrschers, den Juden seiner Schätze zu
berauben, durch freiwilliges Anerbieten derselben; er bezwingt das eben so orienta¬
lische Gelüst, ihn bei seiner philosophischen Ueberzeugung zu fassen, durch feine
Ironie, in der die Wahrheit durchschimmert. Noch zuletzt fragt er den Sultan,
ob er denn haben wolle, daß er die nähern Umstände über Reesa und den Templer


macht, ich kann aber nicht finden, daß zur Darstellung der leitenden Idee — des
Gegensatzes zwischen der Bigotterie einer in ihrer Abstraktion aufgewachsenen Priester¬
schaft einerseits, und dem natürlichen Gefühl wie der philosophischen Bildung andrer¬
seits — das Judenthum eine glückliche Wahl war. Die christliche Hierarchie liegt
uns näher und hat schon ein größeres geschichtliches Interesse. Bei den Juden des
17. Jahrhunderts denken wir immer an unsere Juden, und der Umstand, daß durch
den Uebertritt zum Christenthum der ganzen Schwierigkeit auf eine leichte Weise ein
Ende zu machen wäre, liegt zu nahe, als daß wir ernsthaft in eine tragische
Spannung kommen sollten. Für einen solchen Zweck bietet die alte jüdische Ge¬
schichte bessere Stoffe. Racine's Athalie ist in gewissem Sinn ein klassisches
Bild; der blutige Fanatismus dieser Liebe zum Herrn, der jede andere Liebe aus¬
schließt, ja der eigentlich identisch ist mit dem Haß gegen Alle, die eine solche
ausschließende Liebe nicht hegen, hat hier eine Tragödie hervorgebracht, die ebenso
den Geist des Jansenismus, dem Racine angehörte, darstellt, als den Geist des
Judenthums, auf den er als auf seine Quelle zurückgeht. Gutzkow steht auf Seite
der Humanität, der Natur und Bildung; Racine ist ein Eiferer für die christliche
Liebe, er freut sich, wie der ungläubigen Athalie Leichnam von den Hunden zer¬
fleischt wird. Ueber' diesen sittlichen Standpunkt sind wir hinaus.

Dagegen ist Lessing's Rath an ein ewiges Bild. Mit Unrecht sucht man
in diesem weisen Jsraeliten das abstrakte Ideal eines Philosophen. Nathan ist
Jude durch und durch; er ist nur als Jude möglich. Aber allerdings das Ideal
des Juden, der seine falsche Stellung in der Welt wie seine ethischen Voraussetzun¬
gen durch Bildung und Kraft des Geistes überwunden hat. Dem Druck der Ver¬
hältnisse setzt er Resignation entgegen, aber nicht jene sieche Resignation der
Romantik, welche die Augen anklagend zum Himmel aufschlägt und die Hände
in den Schooß legt, sondern die hohe Resignation Spinoza's — des Nathan's
der Theorie — der die Nothwendigkeit nicht als äußere Macht, sondern als in¬
nere Grenze liebevoll anerkennt und durch geistige Auffassung zur Freiheit erhebt.
In seiner Demuth, die das Gefühl geistiger Superiorität begleitet, spricht aller¬
dings der Paria; Socrates z. B. würde dem störrischen Templer, der trotz sei»
ner gesunden Natur mit allen Hochmuth des Schwäbischen Edelmanns und des
Christen dem Juden gegenübertritt, selbst noch da, als er schon seine sittliche Würde
durchschaut hat — ich sage, Sokrates würde diesem Trotzkopf nicht den Mantel
küssen. Nathan bezwingt den Stolz des jungen Mannes durch hingebende, de¬
müthige Liebe, in der aber stets das Bewußtsein des edlen Mannes durchscheint;
er bezwingt das Gelüst des allmächtigen Herrschers, den Juden seiner Schätze zu
berauben, durch freiwilliges Anerbieten derselben; er bezwingt das eben so orienta¬
lische Gelüst, ihn bei seiner philosophischen Ueberzeugung zu fassen, durch feine
Ironie, in der die Wahrheit durchschimmert. Noch zuletzt fragt er den Sultan,
ob er denn haben wolle, daß er die nähern Umstände über Reesa und den Templer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/31>, abgerufen am 22.07.2024.