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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Namen Juden verband sich noch die alte Vorstellung, daher das Bestreben, ihn
durch eine zartere Bezeichnung, z. B. Angehörige der Mosaischen Confession, zu um¬
schreiben. Namentlich seit Heine und Börne war man geneigt, die Juden als die
eigentlichen Märtyrer für die Sache der Menschheit anzusehen und sie ohne Unter¬
schied in den Calender zu schreiben. Herr Benjamin d'Jsraeli konnte den Versuch
machen, die Koryphäen der Wissenschaften, Kunst und Politik uuter den Juden zu
finden. So rief man auch, sobald ein Jude auf dem Theater vorkam, über Sa-
crileg, wie früher die Mönche und Lieutncmts, wo ihre Kutten und ihre Uniformen
vor den Augen des Publikums profanirt wurden.

Dieses gekniffene Verhältniß ist nun vorüber und wir können, ohne Besorgniß,
als Feind der Menschheit angeklagt zu werden, ruhig untersuchen: was hat die
poetische Darstellung des specifischen Judenthums für eine sittliche und ästhetische
Berechtigung?

Die gewöhnlichste Figur des Theaters ist der Schacherjude in der Posse.
"Unser Verkehr" oder die Judenschule war lange ein beliebtes Stück. Theils war
das Interesse ein sinnliches, an dein komischen Dialekt und an den skurrilen, spe¬
cifisch jüdischen Gesten; theils bezog es sich auf die in jener Classe herrschenden
Gesinnungen. Was das erste betrifft, so ist der ästhetische Werth eiuer solchen
Theilnahme freilich nicht groß, wie es von allem blos sinnlichen Wohlgefallen gilt;
aber der Vorwurf, den man von Seiten der Juden und ihrer Freunde gegen die
sittliche Berechtigung einer solchen Parodie erhebt, ist ebenfalls unbegründet,
wenn man den Schwäbischen, den Berliner, den Leipziger Dialekt auf die Bühne
bringen darf, wenn man die Sprache der Eckensteher und Gardelieutnants nach¬
spottet, so ist durchaus kein Grund abzusehn, warum das Jüdische, das offenbar
viel komischer ist, als alle die übrigen Dialekte zusammengenommen, sich eines be¬
sondern Ausnahmgesetzes erfreuen soll. Der gebildete Jude muß den Humor ha¬
ben, wie der gebildete Berliner, die eigne Komik zu ertragen. Mit dem zweiten
Punkt steht eS bedenklicher. Wenn in "Unser Verkehr'' der Vater seinem Sohn
beim Scheiden zuruft: "Laß dich treten von die Leut, laß dir speien ins Ange¬
sicht, aber komm reich zurück, reich!" so scheint das zunächst eine so widerwär¬
tige Gesinnung zu sein, daß der sittliche Widerwille alles Gefühl des Behagens,
ohne welches ein komischer Effect nicht denkbar ist, eigentlich verdrängen müßte.
Und doch ist dem nicht so. Ich will eine Anekdote erzählen. In Frankreich for¬
dert ein Franzose einen Juden heraus, dieser erklärt sich bereit, verlangt aber,
die Sache jenseit der Grenze abzumachen, um vor gerichtlicher Verfolgung sicher
zu sein -- es kommt natürlich nicht darauf an, was diese Voraussetzung für einen
Grund hat, da wir eben nur eine Anekdote referiren. Als sie nach Deutschland
kommen, sagt der Jude:, Nun brauche ich mich nicht zu schlagen, in Deutschland
geben erwachsene Leute keine Satisfaction. Ebenso erstaunt als entrüstet, ruft
sein Gegner: Aber Herr, Sie sind ja ein Schuft! "Nun ja! wie heißt? bin


Namen Juden verband sich noch die alte Vorstellung, daher das Bestreben, ihn
durch eine zartere Bezeichnung, z. B. Angehörige der Mosaischen Confession, zu um¬
schreiben. Namentlich seit Heine und Börne war man geneigt, die Juden als die
eigentlichen Märtyrer für die Sache der Menschheit anzusehen und sie ohne Unter¬
schied in den Calender zu schreiben. Herr Benjamin d'Jsraeli konnte den Versuch
machen, die Koryphäen der Wissenschaften, Kunst und Politik uuter den Juden zu
finden. So rief man auch, sobald ein Jude auf dem Theater vorkam, über Sa-
crileg, wie früher die Mönche und Lieutncmts, wo ihre Kutten und ihre Uniformen
vor den Augen des Publikums profanirt wurden.

Dieses gekniffene Verhältniß ist nun vorüber und wir können, ohne Besorgniß,
als Feind der Menschheit angeklagt zu werden, ruhig untersuchen: was hat die
poetische Darstellung des specifischen Judenthums für eine sittliche und ästhetische
Berechtigung?

Die gewöhnlichste Figur des Theaters ist der Schacherjude in der Posse.
„Unser Verkehr" oder die Judenschule war lange ein beliebtes Stück. Theils war
das Interesse ein sinnliches, an dein komischen Dialekt und an den skurrilen, spe¬
cifisch jüdischen Gesten; theils bezog es sich auf die in jener Classe herrschenden
Gesinnungen. Was das erste betrifft, so ist der ästhetische Werth eiuer solchen
Theilnahme freilich nicht groß, wie es von allem blos sinnlichen Wohlgefallen gilt;
aber der Vorwurf, den man von Seiten der Juden und ihrer Freunde gegen die
sittliche Berechtigung einer solchen Parodie erhebt, ist ebenfalls unbegründet,
wenn man den Schwäbischen, den Berliner, den Leipziger Dialekt auf die Bühne
bringen darf, wenn man die Sprache der Eckensteher und Gardelieutnants nach¬
spottet, so ist durchaus kein Grund abzusehn, warum das Jüdische, das offenbar
viel komischer ist, als alle die übrigen Dialekte zusammengenommen, sich eines be¬
sondern Ausnahmgesetzes erfreuen soll. Der gebildete Jude muß den Humor ha¬
ben, wie der gebildete Berliner, die eigne Komik zu ertragen. Mit dem zweiten
Punkt steht eS bedenklicher. Wenn in „Unser Verkehr'' der Vater seinem Sohn
beim Scheiden zuruft: „Laß dich treten von die Leut, laß dir speien ins Ange¬
sicht, aber komm reich zurück, reich!" so scheint das zunächst eine so widerwär¬
tige Gesinnung zu sein, daß der sittliche Widerwille alles Gefühl des Behagens,
ohne welches ein komischer Effect nicht denkbar ist, eigentlich verdrängen müßte.
Und doch ist dem nicht so. Ich will eine Anekdote erzählen. In Frankreich for¬
dert ein Franzose einen Juden heraus, dieser erklärt sich bereit, verlangt aber,
die Sache jenseit der Grenze abzumachen, um vor gerichtlicher Verfolgung sicher
zu sein — es kommt natürlich nicht darauf an, was diese Voraussetzung für einen
Grund hat, da wir eben nur eine Anekdote referiren. Als sie nach Deutschland
kommen, sagt der Jude:, Nun brauche ich mich nicht zu schlagen, in Deutschland
geben erwachsene Leute keine Satisfaction. Ebenso erstaunt als entrüstet, ruft
sein Gegner: Aber Herr, Sie sind ja ein Schuft! „Nun ja! wie heißt? bin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/28>, abgerufen am 22.07.2024.