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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Stande sein, die Reaction zu verhindern, mit allem Grimm des beleidigten
Rechts siegreich ihr Banner zu entfalten. "Wer das Schwert zieht, soll durch das
Schwert umkommen." Wenn die blinde Gewalt den reinen Boden des Rechts
überfluthet, so klage der nicht darüber, welcher sie zuerst aus ihrer nächtlichen
Tiefe heraufbeschworen.

Die neuesten Ereignisse in Wien und Berlin, selbst in Paris, sind geeignet
diesen Reflexionen ein bestimmtes Feld zu geben.

Wie haben sich die Zeiten geändert seit den ersten Tagen, in welchen der
Nachhall des fernen Gewitters in Paris unser Ohr erreichte! Damals schöpften
wir alle tiefer Athem, denn die schwüle Lust der Restaurationszeit hatte unsere
Brust beengt. Es war zunächst nicht die Lust der Freiheit, sondern das nicht
eben ideale, aber menschliche Gefühl gesättigter Rache. Die Feinde der Freiheit
waren gefallen, zwar nnr in Frankreich, aber dort sahen wir ja die eigentliche
geheime Werkstätte jenes kaltherzigen Egoismus, der mit seinem Druck jeden edlen
Aufschwung erstickte, ohne doch durch den grandiosen Anschein der alten Majestät
zu imponiren. Noch war für uns nichts geschehen und doch durchzuckte uns Alle
das Vorgefühl der werdenden Befreiung. Alle Gegner lagen sich in den Armen,
denn der laute Ruf des neuen Evangeliums ließ die kleinen Zwistigkeiten ver¬
stummen. Wir wollen diesen Traum uicht vergessen, er war schön, wenn auch
uur ein Traum, wie der ganze Idealismus der Jugend.

Und nun folgte das Unglaubliche. Der Ruf der Freiheit draug in das dunkle
Allerheiligste des Absolutismus; der alte Diplomat, der Deutschland seit Jahr¬
zehenten geknechtet, wurde vertrieben und vor dem einfachen, mit burschikosen Leicht¬
sinn aufgerufenen Willen der Wiener Jugend fiel das hohle Gebäude menschen¬
feindlicher Staatsklugheit. Die neuen Staatsmänner, zum Theil noch aus der
alten Schule, gingen in die Aula, um vou der Jugend sich Gesetze vorschreiben
zu lassen. Jeden Tag regneten, wie von den Bäumen Blüthen im ersten Früh-
lingSwinde, neue Freiheiten auf unsre Häupter; man wußte nicht, was man fordern
sollte; ehe man es aussprach, war mehr gewährt, als man zu wünschen gewagt hätte.
Die letzte Stütze des Alten fiel in Berlin; der Bürger, der Arbeiter, der Knecht,
sie stellten ihre nackte Brust den Kartätschen entgegen und die Fahnen Friedrichs
des Großen neigten sich vor der deutschen Tricolore. Die geächteten Farben unserer
Jugend wehten officiell von den Thürmen der Hofburgen.

Die Freiheit war nnn da, in einem Maaße, wie es in der Geschichte noch
nicht erhört war. Man konnte geradezu thun was man wollte, in der ersten
Betäubung dachte Niemand daran, auch dem übermüthigsten Gelüst ein Hinderniß
in den Weg zu legen. Es fragte sich nun, was wir wollen sollten.

Nun zeigte sich aber das Mangelhafte in unserer bisherige Freiheitssehnsncht:
sie war abstrakt, sie strebte nur nach einem Inhalt. Die alte Revolution war
darin entschieden im Vortheil; sie fand ein Positives vor, den Stolz der großen


Stande sein, die Reaction zu verhindern, mit allem Grimm des beleidigten
Rechts siegreich ihr Banner zu entfalten. „Wer das Schwert zieht, soll durch das
Schwert umkommen." Wenn die blinde Gewalt den reinen Boden des Rechts
überfluthet, so klage der nicht darüber, welcher sie zuerst aus ihrer nächtlichen
Tiefe heraufbeschworen.

Die neuesten Ereignisse in Wien und Berlin, selbst in Paris, sind geeignet
diesen Reflexionen ein bestimmtes Feld zu geben.

Wie haben sich die Zeiten geändert seit den ersten Tagen, in welchen der
Nachhall des fernen Gewitters in Paris unser Ohr erreichte! Damals schöpften
wir alle tiefer Athem, denn die schwüle Lust der Restaurationszeit hatte unsere
Brust beengt. Es war zunächst nicht die Lust der Freiheit, sondern das nicht
eben ideale, aber menschliche Gefühl gesättigter Rache. Die Feinde der Freiheit
waren gefallen, zwar nnr in Frankreich, aber dort sahen wir ja die eigentliche
geheime Werkstätte jenes kaltherzigen Egoismus, der mit seinem Druck jeden edlen
Aufschwung erstickte, ohne doch durch den grandiosen Anschein der alten Majestät
zu imponiren. Noch war für uns nichts geschehen und doch durchzuckte uns Alle
das Vorgefühl der werdenden Befreiung. Alle Gegner lagen sich in den Armen,
denn der laute Ruf des neuen Evangeliums ließ die kleinen Zwistigkeiten ver¬
stummen. Wir wollen diesen Traum uicht vergessen, er war schön, wenn auch
uur ein Traum, wie der ganze Idealismus der Jugend.

Und nun folgte das Unglaubliche. Der Ruf der Freiheit draug in das dunkle
Allerheiligste des Absolutismus; der alte Diplomat, der Deutschland seit Jahr¬
zehenten geknechtet, wurde vertrieben und vor dem einfachen, mit burschikosen Leicht¬
sinn aufgerufenen Willen der Wiener Jugend fiel das hohle Gebäude menschen¬
feindlicher Staatsklugheit. Die neuen Staatsmänner, zum Theil noch aus der
alten Schule, gingen in die Aula, um vou der Jugend sich Gesetze vorschreiben
zu lassen. Jeden Tag regneten, wie von den Bäumen Blüthen im ersten Früh-
lingSwinde, neue Freiheiten auf unsre Häupter; man wußte nicht, was man fordern
sollte; ehe man es aussprach, war mehr gewährt, als man zu wünschen gewagt hätte.
Die letzte Stütze des Alten fiel in Berlin; der Bürger, der Arbeiter, der Knecht,
sie stellten ihre nackte Brust den Kartätschen entgegen und die Fahnen Friedrichs
des Großen neigten sich vor der deutschen Tricolore. Die geächteten Farben unserer
Jugend wehten officiell von den Thürmen der Hofburgen.

Die Freiheit war nnn da, in einem Maaße, wie es in der Geschichte noch
nicht erhört war. Man konnte geradezu thun was man wollte, in der ersten
Betäubung dachte Niemand daran, auch dem übermüthigsten Gelüst ein Hinderniß
in den Weg zu legen. Es fragte sich nun, was wir wollen sollten.

Nun zeigte sich aber das Mangelhafte in unserer bisherige Freiheitssehnsncht:
sie war abstrakt, sie strebte nur nach einem Inhalt. Die alte Revolution war
darin entschieden im Vortheil; sie fand ein Positives vor, den Stolz der großen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/262>, abgerufen am 21.11.2024.