Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eigenen Erfahrungen, daß das Landvolk bei der festen Haltung der Hauptstadt, selbst
in den aufgeregtesten Distrikten noch niemals an irgend eine gewaltsame Schildechcbung
gedacht hat. Selbst die jetzt gewöhnlichen Ungesetzlichkeiten, Auflehnung gegen einzelne
Beamte, Forstfrevel u. tgi. sind hier viel seltner als in den Nachbarstaaten vorgekom¬
men und haben in der neusten Zeit ganz aufgehört.

Ins Nachbarland Meiningen, das sonst als Muster eines gutregierten Kleinstaates
gepriesen wurde, möchte ich jetzt alle Bewundrer solcher patriarchalischen Glückseligkeit
schicken, um sie in ihren politischen Studien weiterzusördern. Hier ist mit Ausnahme
eines kleinen Landstrichs in der Nähe der Residenz das rechte Elderado für Scandal
und brutale Demonstrationen aller Art einstweilen freilich gewesen. Es ging so weit,
daß man die Regierung für factisch aufgelöst ansehen konnte, bis sie in der neuesten
Zeit durch einige baierische Bataillone sammt entsprechendem Geschütze wieder von den Todten
aufgeweckt worden ist. -- Tragikomisch war besonders, wie die Paar hundert Mann
einheimischer Soldaten, die ihr zu Gebote standen, und von denen beinahe die Hälfte
nicht viel besser, als ihre krakclenden Brüder und Vettern gesinnt war, immer von einem
Ende des lcmggestreifteu Ländchens zum andern Hetzen mußte, und immer damit zu spät
kam, während im Rücken sogleich an vier fünf Stellen toller Unfug losbrach. -- Als
die Regierung endlich so viel Muth gesaßt hatte, die Baiern hereinzurufen, die schon
Wochen lang marschfertig dicht an der Grenze standen, rechnete ich aus eine Miniatur¬
ausgabe der Scenen im basischen Oberlande, .namentlich da die radikale Presse, welche
in fünf, sechs Blättern ans diese Handvoll Menschen wirkt, sowie einige der Hauptagita¬
toren, besonders ein Herr Huhn, in die Trompete des heiligen Krieges fort und fort
stießen. Aber es scheint, man scheute sich doch mehr vor den Fanfaren der bairischen
Chevauxlegers und dem Basse der Kanonen und Haubitzen, die aus das Landvolk einen
ähnlich erstarrenden Eindruck machten, wie die Rosse der Spanier auf die armen Indianer
von Mexico. Genug, Huhn, der erst wenige Tage vorher durch bewaffnete ländliche
Ralle-nalgarde aus dem Gefängnisse zu Hildburghausen befreit worden war, und sich in
einer unmittelbar darauf folgenden Volksversammlung zu Schalkau förmlich wie ein rasen¬
des Thier geberdet hatte, mußte wieder ins Gefängniß wandern, die allzukamvfmuthigen
Nationalgarten wurden entwaffnet und der Staat begann wieder sein trauriges Schein¬
leben, das beim nächsten Windstoß verlöschen muß."

Der Staat Meiningen -- nirgends selbst in Preußen nicht, wurde "der Staat
officiell so oft in den Mund genommen, als hier -- mag nun sehen, wie er mit seinem
Fabrikproletariat fertig wird, das sich in den Thälern am Südabhange des Thüringer¬
waldes seit dem vorigen Jahrhundert in schrcckbarer Masse zusammengehäuft hat. Bis
vor Kurzem behalfen sich die Leute mit kümmerlichem Verdienste und viel Kartoffeln,
so gut es eben gehen wollte, jetzt aber hat der Verdienst ein Ende, weil die Arbeit ein
Ende hat, und diese hat ein Ende, weil es den Leuten mehr Amüsement macht National¬
garde zu spielen mit gewaltigen schwarzrothgoldnen Fahnen und ditto Schärpen unter
Trommelschlag durch die stillen Waldthäler zu ziehen, in denen man sonst nur deu Schlag
der Finken und Drosseln und das Pochen eines Eisenhammers hörte. Ich habe mich
in diesen Gegenden zu meiner Verwunderung überzeugt, daß anch in unserem Volke
eine grenzenlose Freude an solchem Gebahren steckt, wie man sonst nur bei unsern west¬
lichen und südlichen Nachbarn vorauszusetzen pflegt. Aber Franzosen und Italiener
wissen dergleichen mit einer ganz andern Tournüre, mit einem graziösen Anstrich feinster
Selbstironie abzumachen, während es bei uns immer eine Burleske wird. Uebrigens
werde ich mich hüten, diese Aeußerung dort irgendwo laut werden zu lassen, denn als
ich neulich gelegentlich einige derartige Gedanken zum Besten gab, fehlte es nicht viel,
daß man mich als Erzreactionär und Volksfreund -,, in, Graf' Latour "bestraft" hätte.

Aber denken Sie um Alles in der Welt nicht, daß sich etwa unter solchen Zu-
ständen die wenigen Vernünftigen gründlich aus dieser Misere heraussehnen, d.h. daß


eigenen Erfahrungen, daß das Landvolk bei der festen Haltung der Hauptstadt, selbst
in den aufgeregtesten Distrikten noch niemals an irgend eine gewaltsame Schildechcbung
gedacht hat. Selbst die jetzt gewöhnlichen Ungesetzlichkeiten, Auflehnung gegen einzelne
Beamte, Forstfrevel u. tgi. sind hier viel seltner als in den Nachbarstaaten vorgekom¬
men und haben in der neusten Zeit ganz aufgehört.

Ins Nachbarland Meiningen, das sonst als Muster eines gutregierten Kleinstaates
gepriesen wurde, möchte ich jetzt alle Bewundrer solcher patriarchalischen Glückseligkeit
schicken, um sie in ihren politischen Studien weiterzusördern. Hier ist mit Ausnahme
eines kleinen Landstrichs in der Nähe der Residenz das rechte Elderado für Scandal
und brutale Demonstrationen aller Art einstweilen freilich gewesen. Es ging so weit,
daß man die Regierung für factisch aufgelöst ansehen konnte, bis sie in der neuesten
Zeit durch einige baierische Bataillone sammt entsprechendem Geschütze wieder von den Todten
aufgeweckt worden ist. — Tragikomisch war besonders, wie die Paar hundert Mann
einheimischer Soldaten, die ihr zu Gebote standen, und von denen beinahe die Hälfte
nicht viel besser, als ihre krakclenden Brüder und Vettern gesinnt war, immer von einem
Ende des lcmggestreifteu Ländchens zum andern Hetzen mußte, und immer damit zu spät
kam, während im Rücken sogleich an vier fünf Stellen toller Unfug losbrach. — Als
die Regierung endlich so viel Muth gesaßt hatte, die Baiern hereinzurufen, die schon
Wochen lang marschfertig dicht an der Grenze standen, rechnete ich aus eine Miniatur¬
ausgabe der Scenen im basischen Oberlande, .namentlich da die radikale Presse, welche
in fünf, sechs Blättern ans diese Handvoll Menschen wirkt, sowie einige der Hauptagita¬
toren, besonders ein Herr Huhn, in die Trompete des heiligen Krieges fort und fort
stießen. Aber es scheint, man scheute sich doch mehr vor den Fanfaren der bairischen
Chevauxlegers und dem Basse der Kanonen und Haubitzen, die aus das Landvolk einen
ähnlich erstarrenden Eindruck machten, wie die Rosse der Spanier auf die armen Indianer
von Mexico. Genug, Huhn, der erst wenige Tage vorher durch bewaffnete ländliche
Ralle-nalgarde aus dem Gefängnisse zu Hildburghausen befreit worden war, und sich in
einer unmittelbar darauf folgenden Volksversammlung zu Schalkau förmlich wie ein rasen¬
des Thier geberdet hatte, mußte wieder ins Gefängniß wandern, die allzukamvfmuthigen
Nationalgarten wurden entwaffnet und der Staat begann wieder sein trauriges Schein¬
leben, das beim nächsten Windstoß verlöschen muß."

Der Staat Meiningen — nirgends selbst in Preußen nicht, wurde „der Staat
officiell so oft in den Mund genommen, als hier — mag nun sehen, wie er mit seinem
Fabrikproletariat fertig wird, das sich in den Thälern am Südabhange des Thüringer¬
waldes seit dem vorigen Jahrhundert in schrcckbarer Masse zusammengehäuft hat. Bis
vor Kurzem behalfen sich die Leute mit kümmerlichem Verdienste und viel Kartoffeln,
so gut es eben gehen wollte, jetzt aber hat der Verdienst ein Ende, weil die Arbeit ein
Ende hat, und diese hat ein Ende, weil es den Leuten mehr Amüsement macht National¬
garde zu spielen mit gewaltigen schwarzrothgoldnen Fahnen und ditto Schärpen unter
Trommelschlag durch die stillen Waldthäler zu ziehen, in denen man sonst nur deu Schlag
der Finken und Drosseln und das Pochen eines Eisenhammers hörte. Ich habe mich
in diesen Gegenden zu meiner Verwunderung überzeugt, daß anch in unserem Volke
eine grenzenlose Freude an solchem Gebahren steckt, wie man sonst nur bei unsern west¬
lichen und südlichen Nachbarn vorauszusetzen pflegt. Aber Franzosen und Italiener
wissen dergleichen mit einer ganz andern Tournüre, mit einem graziösen Anstrich feinster
Selbstironie abzumachen, während es bei uns immer eine Burleske wird. Uebrigens
werde ich mich hüten, diese Aeußerung dort irgendwo laut werden zu lassen, denn als
ich neulich gelegentlich einige derartige Gedanken zum Besten gab, fehlte es nicht viel,
daß man mich als Erzreactionär und Volksfreund -,, in, Graf' Latour „bestraft" hätte.

Aber denken Sie um Alles in der Welt nicht, daß sich etwa unter solchen Zu-
ständen die wenigen Vernünftigen gründlich aus dieser Misere heraussehnen, d.h. daß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0248" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277004"/>
          <p xml:id="ID_707" prev="#ID_706"> eigenen Erfahrungen, daß das Landvolk bei der festen Haltung der Hauptstadt, selbst<lb/>
in den aufgeregtesten Distrikten noch niemals an irgend eine gewaltsame Schildechcbung<lb/>
gedacht hat. Selbst die jetzt gewöhnlichen Ungesetzlichkeiten, Auflehnung gegen einzelne<lb/>
Beamte, Forstfrevel u. tgi. sind hier viel seltner als in den Nachbarstaaten vorgekom¬<lb/>
men und haben in der neusten Zeit ganz aufgehört.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_708"> Ins Nachbarland Meiningen, das sonst als Muster eines gutregierten Kleinstaates<lb/>
gepriesen wurde, möchte ich jetzt alle Bewundrer solcher patriarchalischen Glückseligkeit<lb/>
schicken, um sie in ihren politischen Studien weiterzusördern. Hier ist mit Ausnahme<lb/>
eines kleinen Landstrichs in der Nähe der Residenz das rechte Elderado für Scandal<lb/>
und brutale Demonstrationen aller Art einstweilen freilich gewesen. Es ging so weit,<lb/>
daß man die Regierung für factisch aufgelöst ansehen konnte, bis sie in der neuesten<lb/>
Zeit durch einige baierische Bataillone sammt entsprechendem Geschütze wieder von den Todten<lb/>
aufgeweckt worden ist. &#x2014; Tragikomisch war besonders, wie die Paar hundert Mann<lb/>
einheimischer Soldaten, die ihr zu Gebote standen, und von denen beinahe die Hälfte<lb/>
nicht viel besser, als ihre krakclenden Brüder und Vettern gesinnt war, immer von einem<lb/>
Ende des lcmggestreifteu Ländchens zum andern Hetzen mußte, und immer damit zu spät<lb/>
kam, während im Rücken sogleich an vier fünf Stellen toller Unfug losbrach. &#x2014; Als<lb/>
die Regierung endlich so viel Muth gesaßt hatte, die Baiern hereinzurufen, die schon<lb/>
Wochen lang marschfertig dicht an der Grenze standen, rechnete ich aus eine Miniatur¬<lb/>
ausgabe der Scenen im basischen Oberlande, .namentlich da die radikale Presse, welche<lb/>
in fünf, sechs Blättern ans diese Handvoll Menschen wirkt, sowie einige der Hauptagita¬<lb/>
toren, besonders ein Herr Huhn, in die Trompete des heiligen Krieges fort und fort<lb/>
stießen. Aber es scheint, man scheute sich doch mehr vor den Fanfaren der bairischen<lb/>
Chevauxlegers und dem Basse der Kanonen und Haubitzen, die aus das Landvolk einen<lb/>
ähnlich erstarrenden Eindruck machten, wie die Rosse der Spanier auf die armen Indianer<lb/>
von Mexico. Genug, Huhn, der erst wenige Tage vorher durch bewaffnete ländliche<lb/>
Ralle-nalgarde aus dem Gefängnisse zu Hildburghausen befreit worden war, und sich in<lb/>
einer unmittelbar darauf folgenden Volksversammlung zu Schalkau förmlich wie ein rasen¬<lb/>
des Thier geberdet hatte, mußte wieder ins Gefängniß wandern, die allzukamvfmuthigen<lb/>
Nationalgarten wurden entwaffnet und der Staat begann wieder sein trauriges Schein¬<lb/>
leben, das beim nächsten Windstoß verlöschen muß."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_709"> Der Staat Meiningen &#x2014; nirgends selbst in Preußen nicht, wurde &#x201E;der Staat<lb/>
officiell so oft in den Mund genommen, als hier &#x2014; mag nun sehen, wie er mit seinem<lb/>
Fabrikproletariat fertig wird, das sich in den Thälern am Südabhange des Thüringer¬<lb/>
waldes seit dem vorigen Jahrhundert in schrcckbarer Masse zusammengehäuft hat. Bis<lb/>
vor Kurzem behalfen sich die Leute mit kümmerlichem Verdienste und viel Kartoffeln,<lb/>
so gut es eben gehen wollte, jetzt aber hat der Verdienst ein Ende, weil die Arbeit ein<lb/>
Ende hat, und diese hat ein Ende, weil es den Leuten mehr Amüsement macht National¬<lb/>
garde zu spielen mit gewaltigen schwarzrothgoldnen Fahnen und ditto Schärpen unter<lb/>
Trommelschlag durch die stillen Waldthäler zu ziehen, in denen man sonst nur deu Schlag<lb/>
der Finken und Drosseln und das Pochen eines Eisenhammers hörte. Ich habe mich<lb/>
in diesen Gegenden zu meiner Verwunderung überzeugt, daß anch in unserem Volke<lb/>
eine grenzenlose Freude an solchem Gebahren steckt, wie man sonst nur bei unsern west¬<lb/>
lichen und südlichen Nachbarn vorauszusetzen pflegt. Aber Franzosen und Italiener<lb/>
wissen dergleichen mit einer ganz andern Tournüre, mit einem graziösen Anstrich feinster<lb/>
Selbstironie abzumachen, während es bei uns immer eine Burleske wird. Uebrigens<lb/>
werde ich mich hüten, diese Aeußerung dort irgendwo laut werden zu lassen, denn als<lb/>
ich neulich gelegentlich einige derartige Gedanken zum Besten gab, fehlte es nicht viel,<lb/>
daß man mich als Erzreactionär und Volksfreund -,, in, Graf' Latour &#x201E;bestraft" hätte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_710" next="#ID_711"> Aber denken Sie um Alles in der Welt nicht, daß sich etwa unter solchen Zu-<lb/>
ständen die wenigen Vernünftigen gründlich aus dieser Misere heraussehnen, d.h. daß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0248] eigenen Erfahrungen, daß das Landvolk bei der festen Haltung der Hauptstadt, selbst in den aufgeregtesten Distrikten noch niemals an irgend eine gewaltsame Schildechcbung gedacht hat. Selbst die jetzt gewöhnlichen Ungesetzlichkeiten, Auflehnung gegen einzelne Beamte, Forstfrevel u. tgi. sind hier viel seltner als in den Nachbarstaaten vorgekom¬ men und haben in der neusten Zeit ganz aufgehört. Ins Nachbarland Meiningen, das sonst als Muster eines gutregierten Kleinstaates gepriesen wurde, möchte ich jetzt alle Bewundrer solcher patriarchalischen Glückseligkeit schicken, um sie in ihren politischen Studien weiterzusördern. Hier ist mit Ausnahme eines kleinen Landstrichs in der Nähe der Residenz das rechte Elderado für Scandal und brutale Demonstrationen aller Art einstweilen freilich gewesen. Es ging so weit, daß man die Regierung für factisch aufgelöst ansehen konnte, bis sie in der neuesten Zeit durch einige baierische Bataillone sammt entsprechendem Geschütze wieder von den Todten aufgeweckt worden ist. — Tragikomisch war besonders, wie die Paar hundert Mann einheimischer Soldaten, die ihr zu Gebote standen, und von denen beinahe die Hälfte nicht viel besser, als ihre krakclenden Brüder und Vettern gesinnt war, immer von einem Ende des lcmggestreifteu Ländchens zum andern Hetzen mußte, und immer damit zu spät kam, während im Rücken sogleich an vier fünf Stellen toller Unfug losbrach. — Als die Regierung endlich so viel Muth gesaßt hatte, die Baiern hereinzurufen, die schon Wochen lang marschfertig dicht an der Grenze standen, rechnete ich aus eine Miniatur¬ ausgabe der Scenen im basischen Oberlande, .namentlich da die radikale Presse, welche in fünf, sechs Blättern ans diese Handvoll Menschen wirkt, sowie einige der Hauptagita¬ toren, besonders ein Herr Huhn, in die Trompete des heiligen Krieges fort und fort stießen. Aber es scheint, man scheute sich doch mehr vor den Fanfaren der bairischen Chevauxlegers und dem Basse der Kanonen und Haubitzen, die aus das Landvolk einen ähnlich erstarrenden Eindruck machten, wie die Rosse der Spanier auf die armen Indianer von Mexico. Genug, Huhn, der erst wenige Tage vorher durch bewaffnete ländliche Ralle-nalgarde aus dem Gefängnisse zu Hildburghausen befreit worden war, und sich in einer unmittelbar darauf folgenden Volksversammlung zu Schalkau förmlich wie ein rasen¬ des Thier geberdet hatte, mußte wieder ins Gefängniß wandern, die allzukamvfmuthigen Nationalgarten wurden entwaffnet und der Staat begann wieder sein trauriges Schein¬ leben, das beim nächsten Windstoß verlöschen muß." Der Staat Meiningen — nirgends selbst in Preußen nicht, wurde „der Staat officiell so oft in den Mund genommen, als hier — mag nun sehen, wie er mit seinem Fabrikproletariat fertig wird, das sich in den Thälern am Südabhange des Thüringer¬ waldes seit dem vorigen Jahrhundert in schrcckbarer Masse zusammengehäuft hat. Bis vor Kurzem behalfen sich die Leute mit kümmerlichem Verdienste und viel Kartoffeln, so gut es eben gehen wollte, jetzt aber hat der Verdienst ein Ende, weil die Arbeit ein Ende hat, und diese hat ein Ende, weil es den Leuten mehr Amüsement macht National¬ garde zu spielen mit gewaltigen schwarzrothgoldnen Fahnen und ditto Schärpen unter Trommelschlag durch die stillen Waldthäler zu ziehen, in denen man sonst nur deu Schlag der Finken und Drosseln und das Pochen eines Eisenhammers hörte. Ich habe mich in diesen Gegenden zu meiner Verwunderung überzeugt, daß anch in unserem Volke eine grenzenlose Freude an solchem Gebahren steckt, wie man sonst nur bei unsern west¬ lichen und südlichen Nachbarn vorauszusetzen pflegt. Aber Franzosen und Italiener wissen dergleichen mit einer ganz andern Tournüre, mit einem graziösen Anstrich feinster Selbstironie abzumachen, während es bei uns immer eine Burleske wird. Uebrigens werde ich mich hüten, diese Aeußerung dort irgendwo laut werden zu lassen, denn als ich neulich gelegentlich einige derartige Gedanken zum Besten gab, fehlte es nicht viel, daß man mich als Erzreactionär und Volksfreund -,, in, Graf' Latour „bestraft" hätte. Aber denken Sie um Alles in der Welt nicht, daß sich etwa unter solchen Zu- ständen die wenigen Vernünftigen gründlich aus dieser Misere heraussehnen, d.h. daß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/248
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/248>, abgerufen am 22.07.2024.