Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.i>er ausschließlich gemüthlichen steckt und sich dann gelegentlich vor Erstaunen nicht lassen Ich habe in den letzten Hcrbstwochen einen großen Theil Thüringens und des Am ersten würde man in den südlich vom Thüringer Wald gelegenen Stäätchen, i>er ausschließlich gemüthlichen steckt und sich dann gelegentlich vor Erstaunen nicht lassen Ich habe in den letzten Hcrbstwochen einen großen Theil Thüringens und des Am ersten würde man in den südlich vom Thüringer Wald gelegenen Stäätchen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0246" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277002"/> <p xml:id="ID_700" prev="#ID_699"> i>er ausschließlich gemüthlichen steckt und sich dann gelegentlich vor Erstaunen nicht lassen<lb/> kann, wenn irgend eine versprengte Zeitungsnotiz von republikanischen Verschwörungen<lb/> und Emeuten, zerstörten adeligen Schlössern, Mlitärcrawallen und andern dergleichen<lb/> burschikosen Appendices der jungen Freiheit erzählt. Im Lande selbst sieht die Sache<lb/> freilich viel begreiflicher aus, und der Kontrast zwischen der früheren Harmlosigkeit und<lb/> den jetzigen tollen Bockssprüngeu schrumpft gar sehr zusammen.</p><lb/> <p xml:id="ID_701"> Ich habe in den letzten Hcrbstwochen einen großen Theil Thüringens und des<lb/> nördlichen Franken, das mit jenem nicht blos durch die Territorialabgrenzungen, son¬<lb/> der» auch durch eine Meuge natürlich gegebener Verhältnisse im engsten Zusammenhange<lb/> steht, kreuz und quer durchzogen und überall die bekannten, gemüthlichen, ein bischen<lb/> duseligen Gesichter aus deu Masken hervorgucken sehen, die sie seit dem Fasching dieses<lb/> Jahres noch nicht abgelegt haben. Der erbliche Mangel an Spannkraft und nachhal¬<lb/> tigem Ernst, welcher diesen thüringischen Menschenschlag zu dem weichsten und unzu¬<lb/> verlässigsten uuter allen deutschen Volksstämmen stempelt, zeigt sich auch bei der Bethei¬<lb/> ligung an den politischen Bewegungen der Gegenwart gerade in dem augenblicklichen<lb/> Aufflackern und Rumoren, dem vielen „Ulk," der es nie bis zu einer wirklichen That<lb/> bringt, recht charakteristisch. Welchen Skandal hat z. B. die Nachricht von dem Ein¬<lb/> rücken der fremden Truppen überall erregt und als diese nun doch kamen, ist nirgends<lb/> ein Versuch gemacht worden, sich ihrem Einmärsche zu widersetzen, und im Augenblicke,<lb/> wo ich Ihnen dies schreibe, lebt man mit den Sachsen und Hannoveranern überall so<lb/> gemüthlich, als wäre man von Jugend auf mit ihnen zum Bier und Kcgelschub ge¬<lb/> gangen. Dafür will man sich heute in unseren zehn oder zwölf Residenz- und den<lb/> paar Dutzend Land - Krähwinkeln, welche sich durch vierteljährliche Abhaltung eines<lb/> Jahr- oder Vichmarktcs zu dem Namen Stadt berechtigt glauben, lieber unter den<lb/> Trümmern der Häuser begraben, als sich durch die immer bedrohlicher heranrückenden<lb/> Modifikationen im großen Style aus der Philister- und Zopswirthschast der Klciustaa-<lb/> telei heraustreiben lassen. Sollte es aber doch dahin kommen, wozu allerdings einige<lb/> Aussicht da ist, so wird man ohne Zweifel den oder die Ncichskvmmissaricn mit Ehren¬<lb/> pforten und salbungsvollen Reden, worin man hier zu Lande stark ist, bewillkommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_702" next="#ID_703"> Am ersten würde man in den südlich vom Thüringer Wald gelegenen Stäätchen,<lb/> in Coburg und Meiningen, auf nachhaltige Abneigung, wenn auch nicht auf offenen<lb/> Widerstand stoßen. Die fränkische Art, die sich besonders in Coburg schon ziem¬<lb/> lich unvermischt im Leben und Treiben des Volkes kund gibt, ist überhaupt um<lb/> ein gutes Theil energischer und nachhaltiger, als die eigentlich thüringische, zu der<lb/> sie im übrigen in naher Verwandtschaft steht. Wen» man anch hier, wie in<lb/> Weimar oder Gotha bis zu den Märztagen niemals über die Landesgrenze hinaus<lb/> dachte und sich an den politischen Leiden und Freuden Deutschlands so gut als gar<lb/> nicht betheiligte, so entfaltete sich doch im Jnnern, anfangs in kräftiger Opposition<lb/> zu einer altmodischen und starrköpfigen Regierung, dann Hand in Hand mit einer<lb/> vernünftigen, modernen Ideen zugänglichen, ein ganz erfreuliches Regen und Streben<lb/> nach politischem Fortschritt, und man gelangte in kurzer Zeit zu mehreren für das<lb/> Ländchen sehr wichtigen Neuerungen, z. B. einer freisinnigen Städte- und Commnnal-<lb/> ordnuug. sogar, zur Erledigung der Domäncnsrngc, die wie überall in den Klein¬<lb/> staaten, so auch hier die eigentliche Lebensfrage war. Die Revolution dieses Jahres<lb/> beschleunigte mir in etwas den Gang der begonnenen Reformen, und zerstreute ein<lb/> wenig die dicken Nebel, welche die Aussicht über den Horizont der Hauptstadt ver¬<lb/> sperrten, der buchstäblich an den meisten Stellen zugleich die Staatsgrenze bildet. Hier<lb/> war kein fruchtbarer Boden der Heckcrlinge und Struwelpeters, aber es versteht sich von selbst,<lb/> daß diese Leutchen, von denen sich doch ein Paar wunderliche Exemplare vorfanden,<lb/> darunter sogar ein cholerischer Schüler des großen Phrenologen und Helden von Lör-<lb/> rach, die fehlende, natürliche Fruchtbarkeit durch politischen Guano ersetzen zu können</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0246]
i>er ausschließlich gemüthlichen steckt und sich dann gelegentlich vor Erstaunen nicht lassen
kann, wenn irgend eine versprengte Zeitungsnotiz von republikanischen Verschwörungen
und Emeuten, zerstörten adeligen Schlössern, Mlitärcrawallen und andern dergleichen
burschikosen Appendices der jungen Freiheit erzählt. Im Lande selbst sieht die Sache
freilich viel begreiflicher aus, und der Kontrast zwischen der früheren Harmlosigkeit und
den jetzigen tollen Bockssprüngeu schrumpft gar sehr zusammen.
Ich habe in den letzten Hcrbstwochen einen großen Theil Thüringens und des
nördlichen Franken, das mit jenem nicht blos durch die Territorialabgrenzungen, son¬
der» auch durch eine Meuge natürlich gegebener Verhältnisse im engsten Zusammenhange
steht, kreuz und quer durchzogen und überall die bekannten, gemüthlichen, ein bischen
duseligen Gesichter aus deu Masken hervorgucken sehen, die sie seit dem Fasching dieses
Jahres noch nicht abgelegt haben. Der erbliche Mangel an Spannkraft und nachhal¬
tigem Ernst, welcher diesen thüringischen Menschenschlag zu dem weichsten und unzu¬
verlässigsten uuter allen deutschen Volksstämmen stempelt, zeigt sich auch bei der Bethei¬
ligung an den politischen Bewegungen der Gegenwart gerade in dem augenblicklichen
Aufflackern und Rumoren, dem vielen „Ulk," der es nie bis zu einer wirklichen That
bringt, recht charakteristisch. Welchen Skandal hat z. B. die Nachricht von dem Ein¬
rücken der fremden Truppen überall erregt und als diese nun doch kamen, ist nirgends
ein Versuch gemacht worden, sich ihrem Einmärsche zu widersetzen, und im Augenblicke,
wo ich Ihnen dies schreibe, lebt man mit den Sachsen und Hannoveranern überall so
gemüthlich, als wäre man von Jugend auf mit ihnen zum Bier und Kcgelschub ge¬
gangen. Dafür will man sich heute in unseren zehn oder zwölf Residenz- und den
paar Dutzend Land - Krähwinkeln, welche sich durch vierteljährliche Abhaltung eines
Jahr- oder Vichmarktcs zu dem Namen Stadt berechtigt glauben, lieber unter den
Trümmern der Häuser begraben, als sich durch die immer bedrohlicher heranrückenden
Modifikationen im großen Style aus der Philister- und Zopswirthschast der Klciustaa-
telei heraustreiben lassen. Sollte es aber doch dahin kommen, wozu allerdings einige
Aussicht da ist, so wird man ohne Zweifel den oder die Ncichskvmmissaricn mit Ehren¬
pforten und salbungsvollen Reden, worin man hier zu Lande stark ist, bewillkommen.
Am ersten würde man in den südlich vom Thüringer Wald gelegenen Stäätchen,
in Coburg und Meiningen, auf nachhaltige Abneigung, wenn auch nicht auf offenen
Widerstand stoßen. Die fränkische Art, die sich besonders in Coburg schon ziem¬
lich unvermischt im Leben und Treiben des Volkes kund gibt, ist überhaupt um
ein gutes Theil energischer und nachhaltiger, als die eigentlich thüringische, zu der
sie im übrigen in naher Verwandtschaft steht. Wen» man anch hier, wie in
Weimar oder Gotha bis zu den Märztagen niemals über die Landesgrenze hinaus
dachte und sich an den politischen Leiden und Freuden Deutschlands so gut als gar
nicht betheiligte, so entfaltete sich doch im Jnnern, anfangs in kräftiger Opposition
zu einer altmodischen und starrköpfigen Regierung, dann Hand in Hand mit einer
vernünftigen, modernen Ideen zugänglichen, ein ganz erfreuliches Regen und Streben
nach politischem Fortschritt, und man gelangte in kurzer Zeit zu mehreren für das
Ländchen sehr wichtigen Neuerungen, z. B. einer freisinnigen Städte- und Commnnal-
ordnuug. sogar, zur Erledigung der Domäncnsrngc, die wie überall in den Klein¬
staaten, so auch hier die eigentliche Lebensfrage war. Die Revolution dieses Jahres
beschleunigte mir in etwas den Gang der begonnenen Reformen, und zerstreute ein
wenig die dicken Nebel, welche die Aussicht über den Horizont der Hauptstadt ver¬
sperrten, der buchstäblich an den meisten Stellen zugleich die Staatsgrenze bildet. Hier
war kein fruchtbarer Boden der Heckcrlinge und Struwelpeters, aber es versteht sich von selbst,
daß diese Leutchen, von denen sich doch ein Paar wunderliche Exemplare vorfanden,
darunter sogar ein cholerischer Schüler des großen Phrenologen und Helden von Lör-
rach, die fehlende, natürliche Fruchtbarkeit durch politischen Guano ersetzen zu können
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