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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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macht die Heerde fett. Unsre Demokraten nun wollen in dem neuen Staate dieses
Amt übernehmen, sie glauben treuherzig das Auge des Herr zu sein, das die Heerden
fett macht. Die Mehrzahl meint es ehrlich und es leuchtet aus Vieler Augen die
Ueberzeugung, daß neun Monate vor ihrem Geburtstag der Schooß ihrer Mutter mit
einem Messias gesegnet worden. Auch ist keine Unwahrheit, was einer ihrer Redner
rühmte: "Die Partei ist sehr arm und arbeitet ohne Mittel, aber sie arbeitet
unermüdet. Unsre Braven haben sich durchgeschlagen, wie Haudwerkburscheu das
deutsche Land durchzogen und die neuen Ideen gepredigt, sie haben auf Streu
geschlafen und hartes Brot gegessen, ohne andre Erquickung als einen Traum der
Zukunft. Es ist wahr, manche der Herren sind Apostel ihrer Theorien, sie sind
fähig, sich für dieselben zu opfern. Sie sind nicht besser als die Anachoreten, die
sich auf einem Fuße baten^irten um ihrem Gott zu dienen.

Die Sache hat aber auch eine ernsthafte und gefährliche Seite. Denn die
Demokraten setzen jetzt ihre letzten Batzen in das Lotto der Revolution, sie rufen
den Socialismus zu Hilfe. Es war nicht schwer vorauszusehen, daß sie auch
voll dieser Seite miniren würden, denn Intelligenz und Mittelstand hatte die Re¬
publik abgeschworen, es blieb also nur noch das Klein-Bürgerthum und der Ar¬
beiter. Die Gütergleichheit lehrt sich von selbst, denn sie ist eine Theorie des
Mangels und der Begierden. Wenn im Winter der Proletarier mit keckem Stie¬
fel durch das Thauwetter schlürft und er steht hinauf uach den blanken, erleuch¬
teten Scheiben unter den Linden oder er bettelt im Korridor des vornehmen Han¬
fes und es trifft seiue Nerven der würzige Duft der Küche -- da liegt ihm die
Frage sehr nahe, warum bin ich "ich"? warum bin ich nicht jener? Wollte man
diesem Redner antworten: "Freund, der Lauf der Dinge geht unablässig langsam
der Ausgleichung entgegen: es wird und muß eine Zeit kommen, wo man mit
Wahrheit sagen kann: Jedem nach Verdienst! aber darüber können Nationen
vergehen und die Ziffer an der Spitze der Jahreszahl wechseln. Wir aber wollen
dahin arbeiten, daß unterdeß dein Verdienst größer werde. Wollte man ihm sol¬
chen Trost geben, er würde sich zornig abwenden und ihm dürfte man nicht zürnen.
Wohl aber seinen Führern. Denn die Wahrheit zu begreifen, fehlt es diesen De¬
mokraten und Socialisten nicht an Verstand, sondern an Fleiß und Kenntnissen.
Wie alle Ignoranten construiren sie in ihrem Gehirn eine Welt, die gar nicht
existirt und klagen über Mängel; sie legen den Staats- und Finauzmännern Bos¬
haftes und Albernes in den Mund und schulmeistern sie, als wären es Buben,
welche noch auf der Schiefertafel das Addiren zu lernen hätten; kurz es ist das
alte lächerliche Gefecht mit Windmühlen! "Es gibt ein Mittel" ließ sich einer
dieser Herrn im Kongreß hören, "ein Mittel einfach und friedlich, was blos ge-
nannt zu werden braucht, um die kühnsten Träume der Socialisten zu verwirkli¬
chen." Und dabei sah er freilich aus wie eine Ameise, die eine todte Mücke in
ihr Nest geschleppt hat und sich über den colossalen Fund freut. -- Was drückt,


macht die Heerde fett. Unsre Demokraten nun wollen in dem neuen Staate dieses
Amt übernehmen, sie glauben treuherzig das Auge des Herr zu sein, das die Heerden
fett macht. Die Mehrzahl meint es ehrlich und es leuchtet aus Vieler Augen die
Ueberzeugung, daß neun Monate vor ihrem Geburtstag der Schooß ihrer Mutter mit
einem Messias gesegnet worden. Auch ist keine Unwahrheit, was einer ihrer Redner
rühmte: „Die Partei ist sehr arm und arbeitet ohne Mittel, aber sie arbeitet
unermüdet. Unsre Braven haben sich durchgeschlagen, wie Haudwerkburscheu das
deutsche Land durchzogen und die neuen Ideen gepredigt, sie haben auf Streu
geschlafen und hartes Brot gegessen, ohne andre Erquickung als einen Traum der
Zukunft. Es ist wahr, manche der Herren sind Apostel ihrer Theorien, sie sind
fähig, sich für dieselben zu opfern. Sie sind nicht besser als die Anachoreten, die
sich auf einem Fuße baten^irten um ihrem Gott zu dienen.

Die Sache hat aber auch eine ernsthafte und gefährliche Seite. Denn die
Demokraten setzen jetzt ihre letzten Batzen in das Lotto der Revolution, sie rufen
den Socialismus zu Hilfe. Es war nicht schwer vorauszusehen, daß sie auch
voll dieser Seite miniren würden, denn Intelligenz und Mittelstand hatte die Re¬
publik abgeschworen, es blieb also nur noch das Klein-Bürgerthum und der Ar¬
beiter. Die Gütergleichheit lehrt sich von selbst, denn sie ist eine Theorie des
Mangels und der Begierden. Wenn im Winter der Proletarier mit keckem Stie¬
fel durch das Thauwetter schlürft und er steht hinauf uach den blanken, erleuch¬
teten Scheiben unter den Linden oder er bettelt im Korridor des vornehmen Han¬
fes und es trifft seiue Nerven der würzige Duft der Küche — da liegt ihm die
Frage sehr nahe, warum bin ich „ich"? warum bin ich nicht jener? Wollte man
diesem Redner antworten: „Freund, der Lauf der Dinge geht unablässig langsam
der Ausgleichung entgegen: es wird und muß eine Zeit kommen, wo man mit
Wahrheit sagen kann: Jedem nach Verdienst! aber darüber können Nationen
vergehen und die Ziffer an der Spitze der Jahreszahl wechseln. Wir aber wollen
dahin arbeiten, daß unterdeß dein Verdienst größer werde. Wollte man ihm sol¬
chen Trost geben, er würde sich zornig abwenden und ihm dürfte man nicht zürnen.
Wohl aber seinen Führern. Denn die Wahrheit zu begreifen, fehlt es diesen De¬
mokraten und Socialisten nicht an Verstand, sondern an Fleiß und Kenntnissen.
Wie alle Ignoranten construiren sie in ihrem Gehirn eine Welt, die gar nicht
existirt und klagen über Mängel; sie legen den Staats- und Finauzmännern Bos¬
haftes und Albernes in den Mund und schulmeistern sie, als wären es Buben,
welche noch auf der Schiefertafel das Addiren zu lernen hätten; kurz es ist das
alte lächerliche Gefecht mit Windmühlen! „Es gibt ein Mittel" ließ sich einer
dieser Herrn im Kongreß hören, „ein Mittel einfach und friedlich, was blos ge-
nannt zu werden braucht, um die kühnsten Träume der Socialisten zu verwirkli¬
chen." Und dabei sah er freilich aus wie eine Ameise, die eine todte Mücke in
ihr Nest geschleppt hat und sich über den colossalen Fund freut. — Was drückt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/244>, abgerufen am 25.12.2024.