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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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der Staat ohne Negierung, der Staat, der eigentlich gar nicht mehr Staat ist.
Nicht gemeine Anarchie, denn diese ist der Zustand vor dem Staate und
schließt eine Folge nothwendiger Entwickelungen in sich, sondern sie ist der Zu¬
stand nach dem Staate." Ich wußte anfangs nicht, ob mich mein Freund
mystificiren wollte, da fiel mir glücklich eine metaphysische Phrase ein. "Sie mei¬
nen also," sagte ich sehr ernsthaft, "den Staat, der so zu sagen auf seine eignen
Schultern gestiegen ist?" Ein Händedruck bejahte meine Frage, wir verstanden
uns, wie Emerentia und der Freiherr von Münchhausen.

Am ersten Tage hatten 22N Deputirte ihre Mandate prüfen lassen, am fol¬
genden zählte ich nur tlZtt und am letzten Tage war die Majorität einmal 37
Stimmen. Ein Theil der Deputaten hatte sich nämlich wegen eines Mißverständ¬
nisses getrennt und selbstständig constituirt; dafür war es ein Vorparlament. Doch
schien mir der Grund eher ein Verständniß, als ein Mißverständnis) zu sein; die
Herren verstanden nämlich, daß Jeder etwas Anderes wolle. So machte man
den ergötzlichen Vorschlag, kein System des Socialismus zu besprechen, denn da¬
mit würde die Partei auseinandergesprengt werden, da es so viel Systeme als
Kopfe gäbe, man solle nur erklären, daß man sich für den Socialismus interessire.
Das war freilich nicht viel besser, als wenn gesagt worden wäre: Meine Herren!
wir sind zu einem Actienuuternehmeu zusammengetreten, lassen sie uns aber die
Frage offen halten, was wir mit unserm Geld anfangen, sonst rollen die Thaler
wieder auseinander. Noch treffender charakterisirte ein anderer Redner das innere
Parteiverhältniß. Man theilte sich in zwei Lager, ob man einen Ausschuß wählen
sollte oder nicht. Da hörte ich folgendes Argument: Wir haben in Frankfurt einen
Ausschuß gewählt, und, wenn auch illusorisch, war er doch den Herren dort ein
wirksamer Popanz. Entscheiden wir uns gegen den Ausschuß, so nehmen wir un¬
sern Feinden die Furcht und geben uns selbst das Zeugniß der Schwäche und Un¬
einigkeit. Also -- ich dachte, jetzt würde ein Tumult losbrechen, aber kein Mensch
merkte die Persifflage, man klatschte und stimmte für den Ausschuß! Einen andern
tiefern Blick in die Pläne der Einzelnen öffnete die Debatte über den nämlichen
Gegenstand. Ein schlesischer Deputirter, Herr Asch, gab ehrlich zu verstehen:
Eine große deutsche Republik sei nichts als ein Kartenhaus politischer Kinder. Das
Genie des Germanen ringe von Alters her nach Selbstständigkeit. Die Eentra-
lisation sei eben nichts als eine Knechtschaft, die deutsche vor Allen habe nur eine
Eentralpolizei gebracht. In den Cantonen wohne die Freiheit, der Einzelne werde
sie sich erringen und ein Deutschland würde es nur insofern geben, als diese
Einzelnen in einen allgemeinen Verband zu einander treten würden. Diesen Ge¬
danken müsse der Kongreß abspiegeln und jeder einzelne Verein müsse selbstständig
dastehen! -- Wie behagt Ihnen das? Erst haben wir die ekelhaften Dekla¬
mationen über Nationalität gehört und nnn werfen die Herren danach, wie die
Buben nach einem invaliden Topfe. Und diese Scherbenpolitik nennen sie das


der Staat ohne Negierung, der Staat, der eigentlich gar nicht mehr Staat ist.
Nicht gemeine Anarchie, denn diese ist der Zustand vor dem Staate und
schließt eine Folge nothwendiger Entwickelungen in sich, sondern sie ist der Zu¬
stand nach dem Staate." Ich wußte anfangs nicht, ob mich mein Freund
mystificiren wollte, da fiel mir glücklich eine metaphysische Phrase ein. „Sie mei¬
nen also," sagte ich sehr ernsthaft, „den Staat, der so zu sagen auf seine eignen
Schultern gestiegen ist?" Ein Händedruck bejahte meine Frage, wir verstanden
uns, wie Emerentia und der Freiherr von Münchhausen.

Am ersten Tage hatten 22N Deputirte ihre Mandate prüfen lassen, am fol¬
genden zählte ich nur tlZtt und am letzten Tage war die Majorität einmal 37
Stimmen. Ein Theil der Deputaten hatte sich nämlich wegen eines Mißverständ¬
nisses getrennt und selbstständig constituirt; dafür war es ein Vorparlament. Doch
schien mir der Grund eher ein Verständniß, als ein Mißverständnis) zu sein; die
Herren verstanden nämlich, daß Jeder etwas Anderes wolle. So machte man
den ergötzlichen Vorschlag, kein System des Socialismus zu besprechen, denn da¬
mit würde die Partei auseinandergesprengt werden, da es so viel Systeme als
Kopfe gäbe, man solle nur erklären, daß man sich für den Socialismus interessire.
Das war freilich nicht viel besser, als wenn gesagt worden wäre: Meine Herren!
wir sind zu einem Actienuuternehmeu zusammengetreten, lassen sie uns aber die
Frage offen halten, was wir mit unserm Geld anfangen, sonst rollen die Thaler
wieder auseinander. Noch treffender charakterisirte ein anderer Redner das innere
Parteiverhältniß. Man theilte sich in zwei Lager, ob man einen Ausschuß wählen
sollte oder nicht. Da hörte ich folgendes Argument: Wir haben in Frankfurt einen
Ausschuß gewählt, und, wenn auch illusorisch, war er doch den Herren dort ein
wirksamer Popanz. Entscheiden wir uns gegen den Ausschuß, so nehmen wir un¬
sern Feinden die Furcht und geben uns selbst das Zeugniß der Schwäche und Un¬
einigkeit. Also — ich dachte, jetzt würde ein Tumult losbrechen, aber kein Mensch
merkte die Persifflage, man klatschte und stimmte für den Ausschuß! Einen andern
tiefern Blick in die Pläne der Einzelnen öffnete die Debatte über den nämlichen
Gegenstand. Ein schlesischer Deputirter, Herr Asch, gab ehrlich zu verstehen:
Eine große deutsche Republik sei nichts als ein Kartenhaus politischer Kinder. Das
Genie des Germanen ringe von Alters her nach Selbstständigkeit. Die Eentra-
lisation sei eben nichts als eine Knechtschaft, die deutsche vor Allen habe nur eine
Eentralpolizei gebracht. In den Cantonen wohne die Freiheit, der Einzelne werde
sie sich erringen und ein Deutschland würde es nur insofern geben, als diese
Einzelnen in einen allgemeinen Verband zu einander treten würden. Diesen Ge¬
danken müsse der Kongreß abspiegeln und jeder einzelne Verein müsse selbstständig
dastehen! — Wie behagt Ihnen das? Erst haben wir die ekelhaften Dekla¬
mationen über Nationalität gehört und nnn werfen die Herren danach, wie die
Buben nach einem invaliden Topfe. Und diese Scherbenpolitik nennen sie das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/242>, abgerufen am 26.12.2024.