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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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er nicht an. Marcel sprach sehr verständig. Er löste das Schreckgespenst des'
Panslavismus auf und fuhr dann fort: "Man ist auf den Particularismus der
preußischen Abgeordneten losgefahren. Ich glaube aber, in Oestreich tritt der
Particularismus hervor, nämlich in rein dynastischem Interesse; ich denke mir,
daß viele meiner Landsleute für den innigen Anschluß Oestreichs an Deutschland
stimmen würden, wenn sie wüßten, daß der Kaiser von Oestreichs an die Spitze
kommen würde. Ich theile diese Ansicht nicht; mir gilt es gleich, wer an die
Spitze Deutschlands gesetzt wird, mir sind die Fürsten nur Mittel zum Zweck."
"Die Frage, ob Oestreich ein Gesammtstaat bleiben kann, verneine ich. Würde
sie aber bejaht werden, dann machen Sie Sich keine Illusion von einem Staaten-
bunde mit Oestreich. Wenn der östreichische Adler kräftig genug ist,-
zu fliegen, so werden Sie es nicht dah in bringen, ihm eine Schnur
an die Füße zu binden, um ihn zu lenken, wohin Sie wollen."
"Als im März die Freiheit proclamirt wurde, faselte man überall von einem star¬
ken einigen Oestreich, und wie auf diesem starken Baum der Freiheit der östrei¬
chische Adler sein Nest haben solle; aber es ging uns wie mit dein babylonischen
Thurme: die Gottheit war empört über unser thörichtes Beginnen nud hat die
Sprachenverwirrung unter uns hineingeworfen, so daß wir unser Werk nicht mehr
vollführen können." Zuletzt behauptete er, das Volk der Czechen wäre nicht gegen
den Anschluß, weil ihre materiellen Interessen an die Deutschen gebunden wären,
aber ohne diese Behauptung zu erweisen. -- Groß sprach für die Paragraphen,
weil Deutschland dem zerrissnen Oestreich einen Anhaltepunkt geben müsse, sich neu
zu constituiren, und für die.Aufnahme der deutsch-östreichischen Provinzen im In¬
teresse der deutschen Einheit und Freiheit. -- Nie si versicherte, seine Landsleute
würden die Erhaltung Deutschlands der Erhaltung Oestreichs vorziehn und warnte
vor den Machinationen der Slaven.

Mau sieht, es handelte sich hier bei den Oestreichern, also bei Sachverstän¬
digen selbst, fortwährend um factische Divergenzen. Jeder einzelne Redner be¬
stritt eine Thatsache, die ein anderer als unumstößlich aufgestellt hatte. Tiefe
ungenügende Kenntniß des Gegebenen mußte bei den Nicht-Oestreichern noch viel
mehr hervortreten.

Eisenmann entscheidet die Frage durch Ausrufungszeichen. "Die Einheit
ist unser höchstes Princip. Deutsche Einheit über Alles! ist mein Wahlspruch,
und mein Standpunkt ist daher nur ein deutscher, und ich hoffe, daß kein Redner
diese Tribüne betreten wird, der einen andern Standpunkt vertheidigt, als den
der deutschen Einheit. Nur wer vom deutschen Standpunkt ausgeht, soll diese
Tribüne betreten." Eine höchst einfache Rechnung! Und so die übrige Deduction.
Die deutsche Partei in Oestreich hat recht, was auch die Zeitungen darüber sagen
mögen, denn "die ganze Journalistik ist in dieser Beziehung verkauft."
"Der deutsche Einfluß in Italien soll bestehn, aber nicht auf Kosten unsers Bluts


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er nicht an. Marcel sprach sehr verständig. Er löste das Schreckgespenst des'
Panslavismus auf und fuhr dann fort: „Man ist auf den Particularismus der
preußischen Abgeordneten losgefahren. Ich glaube aber, in Oestreich tritt der
Particularismus hervor, nämlich in rein dynastischem Interesse; ich denke mir,
daß viele meiner Landsleute für den innigen Anschluß Oestreichs an Deutschland
stimmen würden, wenn sie wüßten, daß der Kaiser von Oestreichs an die Spitze
kommen würde. Ich theile diese Ansicht nicht; mir gilt es gleich, wer an die
Spitze Deutschlands gesetzt wird, mir sind die Fürsten nur Mittel zum Zweck."
„Die Frage, ob Oestreich ein Gesammtstaat bleiben kann, verneine ich. Würde
sie aber bejaht werden, dann machen Sie Sich keine Illusion von einem Staaten-
bunde mit Oestreich. Wenn der östreichische Adler kräftig genug ist,-
zu fliegen, so werden Sie es nicht dah in bringen, ihm eine Schnur
an die Füße zu binden, um ihn zu lenken, wohin Sie wollen."
„Als im März die Freiheit proclamirt wurde, faselte man überall von einem star¬
ken einigen Oestreich, und wie auf diesem starken Baum der Freiheit der östrei¬
chische Adler sein Nest haben solle; aber es ging uns wie mit dein babylonischen
Thurme: die Gottheit war empört über unser thörichtes Beginnen nud hat die
Sprachenverwirrung unter uns hineingeworfen, so daß wir unser Werk nicht mehr
vollführen können." Zuletzt behauptete er, das Volk der Czechen wäre nicht gegen
den Anschluß, weil ihre materiellen Interessen an die Deutschen gebunden wären,
aber ohne diese Behauptung zu erweisen. — Groß sprach für die Paragraphen,
weil Deutschland dem zerrissnen Oestreich einen Anhaltepunkt geben müsse, sich neu
zu constituiren, und für die.Aufnahme der deutsch-östreichischen Provinzen im In¬
teresse der deutschen Einheit und Freiheit. — Nie si versicherte, seine Landsleute
würden die Erhaltung Deutschlands der Erhaltung Oestreichs vorziehn und warnte
vor den Machinationen der Slaven.

Mau sieht, es handelte sich hier bei den Oestreichern, also bei Sachverstän¬
digen selbst, fortwährend um factische Divergenzen. Jeder einzelne Redner be¬
stritt eine Thatsache, die ein anderer als unumstößlich aufgestellt hatte. Tiefe
ungenügende Kenntniß des Gegebenen mußte bei den Nicht-Oestreichern noch viel
mehr hervortreten.

Eisenmann entscheidet die Frage durch Ausrufungszeichen. „Die Einheit
ist unser höchstes Princip. Deutsche Einheit über Alles! ist mein Wahlspruch,
und mein Standpunkt ist daher nur ein deutscher, und ich hoffe, daß kein Redner
diese Tribüne betreten wird, der einen andern Standpunkt vertheidigt, als den
der deutschen Einheit. Nur wer vom deutschen Standpunkt ausgeht, soll diese
Tribüne betreten." Eine höchst einfache Rechnung! Und so die übrige Deduction.
Die deutsche Partei in Oestreich hat recht, was auch die Zeitungen darüber sagen
mögen, denn „die ganze Journalistik ist in dieser Beziehung verkauft."
„Der deutsche Einfluß in Italien soll bestehn, aber nicht auf Kosten unsers Bluts


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/235>, abgerufen am 22.07.2024.