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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Die östreichische Frage in der Paulskirche.



Vom Reich.
II.

Es ist das eine eigenthümliche Schwierigkeit unserer Lage bei
dieser und mancher andern wichtigen Frage, die in unserer Mitte
zu verhandeln ist, daß der alleinige Boden des politischen Handelns,
daß die politische Stimmung der Völker keineswegs immer eine so
sicher und klar zu erkennende ist, um mit voller Gewißheit auf sie
die erforderlichen Maßregeln bauen zu können. Das ist die traurige
Folge der Dumpfheit unsers frühern politischen Lebens, der politi¬
schen Zerrissenheit, an der wir gelitten haben, daß unsere Organe
nicht scharf hörend und fein fühlend genug sind, um in jedem Au¬
genblick die wahre Stimmung der Völker, für welche wir unser
Werk aufzurichten haben, mit Sicherheit zu erkennen.

Aus Riesser's Rede über die §. 2 u. 3.

Heinrich von Gagern, dessen Wort bei der ersten ernsthaften Frage,
in welcher es sich um das Princip der neuen deutschen Staatsbildung handelte,
die große Mehrheit der Versammlung unwiderstehlich mit sich fortriß, hat diesmal
weniger Erfolg gehabt, er sah sich veranlaßt, seinen Antrag noch vor der Abstim¬
mung zurückzunehmen und auf die Zukunft zu verweisen, welche seine Ansicht be¬
stätigen werde -- auf eine nähere Zukauft freilich, als die Propheten der fünften
Monarchie in der äußersten Linken. Damals hatte Gagern eigentlich nichts neues
gesagt, er hatte aber für eine Ansicht, welche seit mehreren Tagen bekämpft und
vertheidigt war, das ganze Gewicht seiner persönlichen Autorität und seiner Ueber¬
zeugung eingesetzt. In der östreichischen Frage kam es eben so wenig darauf an
neue Gesichtspunkte zu finden, dafür hatte man von allen Seiten aus das Red¬
lichste gesorgt, und die Schwierigkeit der Entscheidung lag lediglich im Konflikt
zwischen den Resultaten der kalten Reflexion und den Eingebungen des Gefühls.
Gagerns Aufgabe war, das Gefühl mit dem Verstand z" versöhnen und die Ge¬
wissen , welche sich gegen die Logik empörten, zurecht zu setzen. Man wurde durch
die Menge der Gesichtspunkte verwirrt, von einem ruhigen Abwägen beider Seiten,
deren jede ihre wesentliche Berechtigung fand, war keine Rede mehr. Alles blickte
fragend auf den einzigen Mann, dem die Meinung den Siegel politischer Bega¬
bung aufgeprägt hatte und erwartete.......nicht neue Gründe, sondern die Autori¬
tät der Entscheidung. Man wurde überrascht, als ein ganz neuer Vorschlag zum
Vorschein kam, man hörte aufmerksam und mit großem Beifall zu, aber den an¬
dern Tag war jede Wirkung vorüber.


Die östreichische Frage in der Paulskirche.



Vom Reich.
II.

Es ist das eine eigenthümliche Schwierigkeit unserer Lage bei
dieser und mancher andern wichtigen Frage, die in unserer Mitte
zu verhandeln ist, daß der alleinige Boden des politischen Handelns,
daß die politische Stimmung der Völker keineswegs immer eine so
sicher und klar zu erkennende ist, um mit voller Gewißheit auf sie
die erforderlichen Maßregeln bauen zu können. Das ist die traurige
Folge der Dumpfheit unsers frühern politischen Lebens, der politi¬
schen Zerrissenheit, an der wir gelitten haben, daß unsere Organe
nicht scharf hörend und fein fühlend genug sind, um in jedem Au¬
genblick die wahre Stimmung der Völker, für welche wir unser
Werk aufzurichten haben, mit Sicherheit zu erkennen.

Aus Riesser's Rede über die §. 2 u. 3.

Heinrich von Gagern, dessen Wort bei der ersten ernsthaften Frage,
in welcher es sich um das Princip der neuen deutschen Staatsbildung handelte,
die große Mehrheit der Versammlung unwiderstehlich mit sich fortriß, hat diesmal
weniger Erfolg gehabt, er sah sich veranlaßt, seinen Antrag noch vor der Abstim¬
mung zurückzunehmen und auf die Zukunft zu verweisen, welche seine Ansicht be¬
stätigen werde — auf eine nähere Zukauft freilich, als die Propheten der fünften
Monarchie in der äußersten Linken. Damals hatte Gagern eigentlich nichts neues
gesagt, er hatte aber für eine Ansicht, welche seit mehreren Tagen bekämpft und
vertheidigt war, das ganze Gewicht seiner persönlichen Autorität und seiner Ueber¬
zeugung eingesetzt. In der östreichischen Frage kam es eben so wenig darauf an
neue Gesichtspunkte zu finden, dafür hatte man von allen Seiten aus das Red¬
lichste gesorgt, und die Schwierigkeit der Entscheidung lag lediglich im Konflikt
zwischen den Resultaten der kalten Reflexion und den Eingebungen des Gefühls.
Gagerns Aufgabe war, das Gefühl mit dem Verstand z» versöhnen und die Ge¬
wissen , welche sich gegen die Logik empörten, zurecht zu setzen. Man wurde durch
die Menge der Gesichtspunkte verwirrt, von einem ruhigen Abwägen beider Seiten,
deren jede ihre wesentliche Berechtigung fand, war keine Rede mehr. Alles blickte
fragend auf den einzigen Mann, dem die Meinung den Siegel politischer Bega¬
bung aufgeprägt hatte und erwartete.......nicht neue Gründe, sondern die Autori¬
tät der Entscheidung. Man wurde überrascht, als ein ganz neuer Vorschlag zum
Vorschein kam, man hörte aufmerksam und mit großem Beifall zu, aber den an¬
dern Tag war jede Wirkung vorüber.


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[0226] Die östreichische Frage in der Paulskirche. Vom Reich. II. Es ist das eine eigenthümliche Schwierigkeit unserer Lage bei dieser und mancher andern wichtigen Frage, die in unserer Mitte zu verhandeln ist, daß der alleinige Boden des politischen Handelns, daß die politische Stimmung der Völker keineswegs immer eine so sicher und klar zu erkennende ist, um mit voller Gewißheit auf sie die erforderlichen Maßregeln bauen zu können. Das ist die traurige Folge der Dumpfheit unsers frühern politischen Lebens, der politi¬ schen Zerrissenheit, an der wir gelitten haben, daß unsere Organe nicht scharf hörend und fein fühlend genug sind, um in jedem Au¬ genblick die wahre Stimmung der Völker, für welche wir unser Werk aufzurichten haben, mit Sicherheit zu erkennen. Aus Riesser's Rede über die §. 2 u. 3. Heinrich von Gagern, dessen Wort bei der ersten ernsthaften Frage, in welcher es sich um das Princip der neuen deutschen Staatsbildung handelte, die große Mehrheit der Versammlung unwiderstehlich mit sich fortriß, hat diesmal weniger Erfolg gehabt, er sah sich veranlaßt, seinen Antrag noch vor der Abstim¬ mung zurückzunehmen und auf die Zukunft zu verweisen, welche seine Ansicht be¬ stätigen werde — auf eine nähere Zukauft freilich, als die Propheten der fünften Monarchie in der äußersten Linken. Damals hatte Gagern eigentlich nichts neues gesagt, er hatte aber für eine Ansicht, welche seit mehreren Tagen bekämpft und vertheidigt war, das ganze Gewicht seiner persönlichen Autorität und seiner Ueber¬ zeugung eingesetzt. In der östreichischen Frage kam es eben so wenig darauf an neue Gesichtspunkte zu finden, dafür hatte man von allen Seiten aus das Red¬ lichste gesorgt, und die Schwierigkeit der Entscheidung lag lediglich im Konflikt zwischen den Resultaten der kalten Reflexion und den Eingebungen des Gefühls. Gagerns Aufgabe war, das Gefühl mit dem Verstand z» versöhnen und die Ge¬ wissen , welche sich gegen die Logik empörten, zurecht zu setzen. Man wurde durch die Menge der Gesichtspunkte verwirrt, von einem ruhigen Abwägen beider Seiten, deren jede ihre wesentliche Berechtigung fand, war keine Rede mehr. Alles blickte fragend auf den einzigen Mann, dem die Meinung den Siegel politischer Bega¬ bung aufgeprägt hatte und erwartete.......nicht neue Gründe, sondern die Autori¬ tät der Entscheidung. Man wurde überrascht, als ein ganz neuer Vorschlag zum Vorschein kam, man hörte aufmerksam und mit großem Beifall zu, aber den an¬ dern Tag war jede Wirkung vorüber.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/226>, abgerufen am 25.12.2024.