Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

durch seine Einseitigkeit, durch die Mittel und Formen, aus welchen er sich auf¬
baute, denn diese Formen versteinern, sie werden Hindernisse der weitern Ent¬
wicklung, sie borniren endlich die Politik, den größten Mann, die höchste Schöpfer¬
kraft. Auch der Riese Rußland wird fallen, jetzt aber ist seine Zeit noch nicht
gekommen, und Ihr mögt immerhin glauben, es ist gut für Europa und die
deutsche Freiheit, daß sie noch nicht gekommen ist. -- Während in Deutschland
die letzten !!0 Jahre theoretischen Träumers, keimender Nolkswünsche nicht günstig
waren, aus den Regenten Charaktere und Männer zu machen, während die Aengst-
lichkeit und Halbheit unserer retardirenden Bcamtenpolitik unsere Fürsten schwach,
wunderlich, phantastisch werden ließ, galt von Nußland das Gegentheil. Dort
ist der Kaiser, der Thätige, ein Selbstherrscher, der mit eigner Hand das
große Triebrad seiner Maschine umschwingen muß. Er ist Alles, will Alles,
thut Alles, Rußland gehört zuerst ihm, dann er dem Staate. Das sind Ver¬
hältnisse, wo auch der Schwache zum Manne, der Starke zu Eisen wird. Nu߬
land ist der Kaiser, die russische Politik sind die Ueberzeugung und Empfindungen
des Kaisers. Grade deshalb hat die Staatspolitik Rußlands weniger geschwankt,
als jede andere. Denn wo Minister regieren, lösen die verschiedensten Ansichten
einander ab, wie sie in den mannigfaltigsten Kreisen des bürgerlichen Lebens ge¬
wonnen werden; wo der Despot regiert, wird seine Persönlichkeit von Jugend auf
in derselben Richtung, denselben Anschauungen, denselben Nothwendigkeiten groß
gezogen. Wer Rußlands Politik studiren will, muß die Seele des Czaren studi-
ren, wie der Botaniker seine Blüthen, lind er wird gut thun, wenn er die Mo¬
tive der kaiserlichen Operationen so hoch und edel als möglich faßt, denn man
kann in der Politik wie im Privatleben seine Feinde nie besiegen, wenn man sich
dieselben klein und niedrig macht. Legt ihnen die möglichst reinsten Beweggründe
ihrer feindlichen Handlungen unter, construirt ihren Jdeengang ans den besten und
feinsten Aeußerungen ihrer Natur, Ihr werdet vielleicht im Einzelnen irren, aber
Ihr werdet Euch im Ganzen sicher über sie stellen. Nikolaus hat einen Feind
seines Lebens, Polen. Daß er diese Erbschaft behaupten mußte, hat ihm, dem
Menschen, bittere Schmerzen bereitet, hat sein Gefühl tief gekränkt, hat ihn oft
hart, grausam gemacht, ja es hat ihn vielleicht sogar die Einseitigkeiten, die un¬
veränderlichen Beschränktheiten des russischen Negicrungssystems empfinden lassen,
es hat ihn vor sich selbst gedemüthigt, und deshalb ist ein wunder Fleck in seiner
Seele zurückgeblieben, er zürnt den Polen und scheut die Völkerkämpfe, welche
Unterthanen so gegen ihre Herren erheben, wie anch ein unerschrockener Mann die
Waffe scheut, die ihn nahe ans Leben getroffen hat. Der Ezar verachtet den
Panslavismus, er verachtet die politische Exaltation des slavischen Blutes. Ferner
versteht sich Nikolaus vortrefflich auf dramatische Negenteneffecte, z. B. bei Auf¬
stände", er hat oft deu Reiz ungeheurer Momente gekostet, wo das ganze Leben
sich concentrirt, um Alles zu gewinnen oder zu verlieren. Dadurch muß zu einem


durch seine Einseitigkeit, durch die Mittel und Formen, aus welchen er sich auf¬
baute, denn diese Formen versteinern, sie werden Hindernisse der weitern Ent¬
wicklung, sie borniren endlich die Politik, den größten Mann, die höchste Schöpfer¬
kraft. Auch der Riese Rußland wird fallen, jetzt aber ist seine Zeit noch nicht
gekommen, und Ihr mögt immerhin glauben, es ist gut für Europa und die
deutsche Freiheit, daß sie noch nicht gekommen ist. — Während in Deutschland
die letzten !!0 Jahre theoretischen Träumers, keimender Nolkswünsche nicht günstig
waren, aus den Regenten Charaktere und Männer zu machen, während die Aengst-
lichkeit und Halbheit unserer retardirenden Bcamtenpolitik unsere Fürsten schwach,
wunderlich, phantastisch werden ließ, galt von Nußland das Gegentheil. Dort
ist der Kaiser, der Thätige, ein Selbstherrscher, der mit eigner Hand das
große Triebrad seiner Maschine umschwingen muß. Er ist Alles, will Alles,
thut Alles, Rußland gehört zuerst ihm, dann er dem Staate. Das sind Ver¬
hältnisse, wo auch der Schwache zum Manne, der Starke zu Eisen wird. Nu߬
land ist der Kaiser, die russische Politik sind die Ueberzeugung und Empfindungen
des Kaisers. Grade deshalb hat die Staatspolitik Rußlands weniger geschwankt,
als jede andere. Denn wo Minister regieren, lösen die verschiedensten Ansichten
einander ab, wie sie in den mannigfaltigsten Kreisen des bürgerlichen Lebens ge¬
wonnen werden; wo der Despot regiert, wird seine Persönlichkeit von Jugend auf
in derselben Richtung, denselben Anschauungen, denselben Nothwendigkeiten groß
gezogen. Wer Rußlands Politik studiren will, muß die Seele des Czaren studi-
ren, wie der Botaniker seine Blüthen, lind er wird gut thun, wenn er die Mo¬
tive der kaiserlichen Operationen so hoch und edel als möglich faßt, denn man
kann in der Politik wie im Privatleben seine Feinde nie besiegen, wenn man sich
dieselben klein und niedrig macht. Legt ihnen die möglichst reinsten Beweggründe
ihrer feindlichen Handlungen unter, construirt ihren Jdeengang ans den besten und
feinsten Aeußerungen ihrer Natur, Ihr werdet vielleicht im Einzelnen irren, aber
Ihr werdet Euch im Ganzen sicher über sie stellen. Nikolaus hat einen Feind
seines Lebens, Polen. Daß er diese Erbschaft behaupten mußte, hat ihm, dem
Menschen, bittere Schmerzen bereitet, hat sein Gefühl tief gekränkt, hat ihn oft
hart, grausam gemacht, ja es hat ihn vielleicht sogar die Einseitigkeiten, die un¬
veränderlichen Beschränktheiten des russischen Negicrungssystems empfinden lassen,
es hat ihn vor sich selbst gedemüthigt, und deshalb ist ein wunder Fleck in seiner
Seele zurückgeblieben, er zürnt den Polen und scheut die Völkerkämpfe, welche
Unterthanen so gegen ihre Herren erheben, wie anch ein unerschrockener Mann die
Waffe scheut, die ihn nahe ans Leben getroffen hat. Der Ezar verachtet den
Panslavismus, er verachtet die politische Exaltation des slavischen Blutes. Ferner
versteht sich Nikolaus vortrefflich auf dramatische Negenteneffecte, z. B. bei Auf¬
stände», er hat oft deu Reiz ungeheurer Momente gekostet, wo das ganze Leben
sich concentrirt, um Alles zu gewinnen oder zu verlieren. Dadurch muß zu einem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0222" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276978"/>
            <p xml:id="ID_638" prev="#ID_637" next="#ID_639"> durch seine Einseitigkeit, durch die Mittel und Formen, aus welchen er sich auf¬<lb/>
baute, denn diese Formen versteinern, sie werden Hindernisse der weitern Ent¬<lb/>
wicklung, sie borniren endlich die Politik, den größten Mann, die höchste Schöpfer¬<lb/>
kraft. Auch der Riese Rußland wird fallen, jetzt aber ist seine Zeit noch nicht<lb/>
gekommen, und Ihr mögt immerhin glauben, es ist gut für Europa und die<lb/>
deutsche Freiheit, daß sie noch nicht gekommen ist. &#x2014; Während in Deutschland<lb/>
die letzten !!0 Jahre theoretischen Träumers, keimender Nolkswünsche nicht günstig<lb/>
waren, aus den Regenten Charaktere und Männer zu machen, während die Aengst-<lb/>
lichkeit und Halbheit unserer retardirenden Bcamtenpolitik unsere Fürsten schwach,<lb/>
wunderlich, phantastisch werden ließ, galt von Nußland das Gegentheil. Dort<lb/>
ist der Kaiser, der Thätige, ein Selbstherrscher, der mit eigner Hand das<lb/>
große Triebrad seiner Maschine umschwingen muß. Er ist Alles, will Alles,<lb/>
thut Alles, Rußland gehört zuerst ihm, dann er dem Staate. Das sind Ver¬<lb/>
hältnisse, wo auch der Schwache zum Manne, der Starke zu Eisen wird. Nu߬<lb/>
land ist der Kaiser, die russische Politik sind die Ueberzeugung und Empfindungen<lb/>
des Kaisers. Grade deshalb hat die Staatspolitik Rußlands weniger geschwankt,<lb/>
als jede andere. Denn wo Minister regieren, lösen die verschiedensten Ansichten<lb/>
einander ab, wie sie in den mannigfaltigsten Kreisen des bürgerlichen Lebens ge¬<lb/>
wonnen werden; wo der Despot regiert, wird seine Persönlichkeit von Jugend auf<lb/>
in derselben Richtung, denselben Anschauungen, denselben Nothwendigkeiten groß<lb/>
gezogen. Wer Rußlands Politik studiren will, muß die Seele des Czaren studi-<lb/>
ren, wie der Botaniker seine Blüthen, lind er wird gut thun, wenn er die Mo¬<lb/>
tive der kaiserlichen Operationen so hoch und edel als möglich faßt, denn man<lb/>
kann in der Politik wie im Privatleben seine Feinde nie besiegen, wenn man sich<lb/>
dieselben klein und niedrig macht. Legt ihnen die möglichst reinsten Beweggründe<lb/>
ihrer feindlichen Handlungen unter, construirt ihren Jdeengang ans den besten und<lb/>
feinsten Aeußerungen ihrer Natur, Ihr werdet vielleicht im Einzelnen irren, aber<lb/>
Ihr werdet Euch im Ganzen sicher über sie stellen. Nikolaus hat einen Feind<lb/>
seines Lebens, Polen. Daß er diese Erbschaft behaupten mußte, hat ihm, dem<lb/>
Menschen, bittere Schmerzen bereitet, hat sein Gefühl tief gekränkt, hat ihn oft<lb/>
hart, grausam gemacht, ja es hat ihn vielleicht sogar die Einseitigkeiten, die un¬<lb/>
veränderlichen Beschränktheiten des russischen Negicrungssystems empfinden lassen,<lb/>
es hat ihn vor sich selbst gedemüthigt, und deshalb ist ein wunder Fleck in seiner<lb/>
Seele zurückgeblieben, er zürnt den Polen und scheut die Völkerkämpfe, welche<lb/>
Unterthanen so gegen ihre Herren erheben, wie anch ein unerschrockener Mann die<lb/>
Waffe scheut, die ihn nahe ans Leben getroffen hat. Der Ezar verachtet den<lb/>
Panslavismus, er verachtet die politische Exaltation des slavischen Blutes. Ferner<lb/>
versteht sich Nikolaus vortrefflich auf dramatische Negenteneffecte, z. B. bei Auf¬<lb/>
stände», er hat oft deu Reiz ungeheurer Momente gekostet, wo das ganze Leben<lb/>
sich concentrirt, um Alles zu gewinnen oder zu verlieren. Dadurch muß zu einem</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0222] durch seine Einseitigkeit, durch die Mittel und Formen, aus welchen er sich auf¬ baute, denn diese Formen versteinern, sie werden Hindernisse der weitern Ent¬ wicklung, sie borniren endlich die Politik, den größten Mann, die höchste Schöpfer¬ kraft. Auch der Riese Rußland wird fallen, jetzt aber ist seine Zeit noch nicht gekommen, und Ihr mögt immerhin glauben, es ist gut für Europa und die deutsche Freiheit, daß sie noch nicht gekommen ist. — Während in Deutschland die letzten !!0 Jahre theoretischen Träumers, keimender Nolkswünsche nicht günstig waren, aus den Regenten Charaktere und Männer zu machen, während die Aengst- lichkeit und Halbheit unserer retardirenden Bcamtenpolitik unsere Fürsten schwach, wunderlich, phantastisch werden ließ, galt von Nußland das Gegentheil. Dort ist der Kaiser, der Thätige, ein Selbstherrscher, der mit eigner Hand das große Triebrad seiner Maschine umschwingen muß. Er ist Alles, will Alles, thut Alles, Rußland gehört zuerst ihm, dann er dem Staate. Das sind Ver¬ hältnisse, wo auch der Schwache zum Manne, der Starke zu Eisen wird. Nu߬ land ist der Kaiser, die russische Politik sind die Ueberzeugung und Empfindungen des Kaisers. Grade deshalb hat die Staatspolitik Rußlands weniger geschwankt, als jede andere. Denn wo Minister regieren, lösen die verschiedensten Ansichten einander ab, wie sie in den mannigfaltigsten Kreisen des bürgerlichen Lebens ge¬ wonnen werden; wo der Despot regiert, wird seine Persönlichkeit von Jugend auf in derselben Richtung, denselben Anschauungen, denselben Nothwendigkeiten groß gezogen. Wer Rußlands Politik studiren will, muß die Seele des Czaren studi- ren, wie der Botaniker seine Blüthen, lind er wird gut thun, wenn er die Mo¬ tive der kaiserlichen Operationen so hoch und edel als möglich faßt, denn man kann in der Politik wie im Privatleben seine Feinde nie besiegen, wenn man sich dieselben klein und niedrig macht. Legt ihnen die möglichst reinsten Beweggründe ihrer feindlichen Handlungen unter, construirt ihren Jdeengang ans den besten und feinsten Aeußerungen ihrer Natur, Ihr werdet vielleicht im Einzelnen irren, aber Ihr werdet Euch im Ganzen sicher über sie stellen. Nikolaus hat einen Feind seines Lebens, Polen. Daß er diese Erbschaft behaupten mußte, hat ihm, dem Menschen, bittere Schmerzen bereitet, hat sein Gefühl tief gekränkt, hat ihn oft hart, grausam gemacht, ja es hat ihn vielleicht sogar die Einseitigkeiten, die un¬ veränderlichen Beschränktheiten des russischen Negicrungssystems empfinden lassen, es hat ihn vor sich selbst gedemüthigt, und deshalb ist ein wunder Fleck in seiner Seele zurückgeblieben, er zürnt den Polen und scheut die Völkerkämpfe, welche Unterthanen so gegen ihre Herren erheben, wie anch ein unerschrockener Mann die Waffe scheut, die ihn nahe ans Leben getroffen hat. Der Ezar verachtet den Panslavismus, er verachtet die politische Exaltation des slavischen Blutes. Ferner versteht sich Nikolaus vortrefflich auf dramatische Negenteneffecte, z. B. bei Auf¬ stände», er hat oft deu Reiz ungeheurer Momente gekostet, wo das ganze Leben sich concentrirt, um Alles zu gewinnen oder zu verlieren. Dadurch muß zu einem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/222
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/222>, abgerufen am 27.12.2024.