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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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war. Es ist mehr Glück als Verdienst, daß wir auf demselben über alles Erwar¬
ten weiter gekommen sind.

Der erste Act, in welchem die Nationalversammlung die Grenzen ihres for¬
mellen Rechts überschritt, war Gagerns kühner Griff. Ich lege weniger Ge¬
wicht auf die Form; daß es die Nationalversammlung war, welche den Erzherzog
Johann an die Stelle des bisherigen Bundestages setzte, wurde wenigstens
von dem größern Theil der Wähler mehr aus Gründen der Convenienz als des
Rechts vertheidigt und wie dem auch sei, die offne Anerkennung von Seiten des
Bundestags und die stillschweigende von Seite der Fürsten hebt alle Zweifel und
Bedenken jener Wahl. Vnlonti mein lK inM-in. Aber in der Sache selbst lag
eine wesentliche Veränderung der bestehenden Rechtsverhältnisse. Der bisherige
Bundestag war ein Complex der einzelnen Staaten, in dem freilich die Stimmen
mehr gewogen als gezählt wurden; die neue Centralgewalt stand außerhalb und
über deu Staaten. So war es nicht in der ursprünglichen Idee, einer an Stelle
des Bundestags tretenden Trias; diese war der Sache nach nur ein rationellerer
Ausdruck für das alte, bisher in einer ungeschickten Form cxplieirte Wesen.
Die Wahl des Reichsverwesers war der erste Schritt aus der Reform des alten
Staatenbundes hinaus in die Constituirung eines neuen Staats. Mit dieser war
unzweifelhaft das Fortbestehen der beiden Großmächte Oestreich und Preuße" un¬
möglich geworden. In einem Staatenbund kaun sich auch eine Großmacht reali-
siren, ohne ihr Wesen aufzugeben, aber nicht, einer hohem, außer ihr stehenden
Autorität sich unterordnen.

Hat die östreichische Regierung das nicht eingesehen? Fast scheint es so. Die
Yast eiues östreichischen Prinzen, der Vorzug vor Preußen mag ihr gcschmei-
celt haben und die ungemeine Zartheit, mit der man bisher die östreichischen
Vrhältnisse berührt hatte, während man z.B. gegen Hannover sich in unhöflichen
R"erhärten überbot, hatte sie in Sicherheit gewiegt.

Die demokratische Partei in Wien, die auticzechische in Böhme", die Ma-
glMi gingen insoweit ernstlich darauf ein, als sie in der dadurch nothwendig
bedien Auflösung des Kaiserstaats den letzten Sieg sowohl über den Absolutis¬
mus s über das Slaventhum erblickten.

2 Anfang gab sich die neue Wendung der Dinge nur in Förmlichkeiten kund.
Schon 'ehe erregten Anstoß. Aber dem ersten großen Schritt mußte der zweite
folgen, 'achten man die Spitze des neue" Bundesstaats gezimmert hatte, mußte
man dar. denken, die Grundsteine zu legen.

Nachgngen Vorbereitungen ist man jetzt daran gegangen -- in demselben
Augenblick wo die radikale Partei in Berlin das spezifische Preußenthum, die
reaktionäre^,reel in Ollmütz das spezifische Oestreich herauskehrt. Das erste
geht uns hi nichts an; wir übergehn auch vorläufig die neue Wendung, welche


war. Es ist mehr Glück als Verdienst, daß wir auf demselben über alles Erwar¬
ten weiter gekommen sind.

Der erste Act, in welchem die Nationalversammlung die Grenzen ihres for¬
mellen Rechts überschritt, war Gagerns kühner Griff. Ich lege weniger Ge¬
wicht auf die Form; daß es die Nationalversammlung war, welche den Erzherzog
Johann an die Stelle des bisherigen Bundestages setzte, wurde wenigstens
von dem größern Theil der Wähler mehr aus Gründen der Convenienz als des
Rechts vertheidigt und wie dem auch sei, die offne Anerkennung von Seiten des
Bundestags und die stillschweigende von Seite der Fürsten hebt alle Zweifel und
Bedenken jener Wahl. Vnlonti mein lK inM-in. Aber in der Sache selbst lag
eine wesentliche Veränderung der bestehenden Rechtsverhältnisse. Der bisherige
Bundestag war ein Complex der einzelnen Staaten, in dem freilich die Stimmen
mehr gewogen als gezählt wurden; die neue Centralgewalt stand außerhalb und
über deu Staaten. So war es nicht in der ursprünglichen Idee, einer an Stelle
des Bundestags tretenden Trias; diese war der Sache nach nur ein rationellerer
Ausdruck für das alte, bisher in einer ungeschickten Form cxplieirte Wesen.
Die Wahl des Reichsverwesers war der erste Schritt aus der Reform des alten
Staatenbundes hinaus in die Constituirung eines neuen Staats. Mit dieser war
unzweifelhaft das Fortbestehen der beiden Großmächte Oestreich und Preuße» un¬
möglich geworden. In einem Staatenbund kaun sich auch eine Großmacht reali-
siren, ohne ihr Wesen aufzugeben, aber nicht, einer hohem, außer ihr stehenden
Autorität sich unterordnen.

Hat die östreichische Regierung das nicht eingesehen? Fast scheint es so. Die
Yast eiues östreichischen Prinzen, der Vorzug vor Preußen mag ihr gcschmei-
celt haben und die ungemeine Zartheit, mit der man bisher die östreichischen
Vrhältnisse berührt hatte, während man z.B. gegen Hannover sich in unhöflichen
R«erhärten überbot, hatte sie in Sicherheit gewiegt.

Die demokratische Partei in Wien, die auticzechische in Böhme«, die Ma-
glMi gingen insoweit ernstlich darauf ein, als sie in der dadurch nothwendig
bedien Auflösung des Kaiserstaats den letzten Sieg sowohl über den Absolutis¬
mus s über das Slaventhum erblickten.

2 Anfang gab sich die neue Wendung der Dinge nur in Förmlichkeiten kund.
Schon 'ehe erregten Anstoß. Aber dem ersten großen Schritt mußte der zweite
folgen, 'achten man die Spitze des neue» Bundesstaats gezimmert hatte, mußte
man dar. denken, die Grundsteine zu legen.

Nachgngen Vorbereitungen ist man jetzt daran gegangen — in demselben
Augenblick wo die radikale Partei in Berlin das spezifische Preußenthum, die
reaktionäre^,reel in Ollmütz das spezifische Oestreich herauskehrt. Das erste
geht uns hi nichts an; wir übergehn auch vorläufig die neue Wendung, welche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/205>, abgerufen am 22.07.2024.