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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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deutschen Brüder am Ohio, an der Theis und an der Dura auffordern, uns bei
Vollendung unserer Verfassung zu helfen und dann nach Hause zu gehn. Wenn
die östreichischen Deputaten an der Abfassung von Beschlüssen Theil nehmen, von
denen es sich nachher ergibt, daß sie aus Oestreich keine Anwendung finden, so
versteht es sich ganz von selbst, daß diese Beschlüsse auch sür das übrige Deutsch¬
land keine Geltung haben.

Seltsam! Nachdem die deutsche Nationalversammlung nicht nur ein Semester
hindurch sür Deutschland Beschlüsse gefaßt, sondern auch zur Wahrung der In¬
tegrität dieses Staates zweimal in die Kriegstrompete gestoßen hat, legt sie sich
heute zum ersten Mal die Frage vor: wer gehört eigentlich zu uns? Es war
also voreilig, wenn man gleich in der ersten Sitzung der Paulskirche Vater Arndt
erklärte, das Fragezeichen seines Refrains sei jetzt überflüssig geworden. Ich will
deshalb die Nationalversammlung nicht anklagen, sie hat gethan, was sie ver¬
mochte; Schuld war allein der Wind, der sie zusammengeblasen hat.

Die Nationalversammlung leidet an dem Fehler eines doppelten Ursprungs.
Einmal war es die Revolution, die sie zusammenwehte: eine Versammlung von
500 Männern, auf gut Glück zusammengetreten, hatte decretirt: von den bisher
bestandenen Rechten soll nichts weiter gelten, sondern es soll nur gelten, was wir
decretiren, und wir decretiren, nach dem und dem Wahlmodus soll eine neue
Versammlung sür ganz Deutschland zusammentreten und mit souveräner Macht¬
vollkommenheit decretiren, was ferner in Deutschland Recht sein soll.

Niemand kann ein Recht übertragen, das er selber nicht hat. Da jenes so-
genannte Vorparlament von Niemand anders Vollmacht hatte, als von sich selbst,
so konnte es auch keinen zweiten bevollmächtigen. Wenn sich also die National¬
versammlung für souverän erklärte und sich dabei auf das Vorparlament berief,
so war das nicht ein Recht, das sie in Anspruch nehmen konnte, sondern eine
Gewalt. Es gibt überhaupt kein Recht der Revolution; ein Recht kann nur ans
einem Vertrage hergeleitet werden.

Eine Art von Vertrag lag aber in der That vor. Das einzige legitime
Organ des durch die Wiener Acte staatsrechtlich begründeten deutschen Bunde"
hatte, in Folge jener Verhandlungen des Vorparlaments, gleichfalls die Einde
rnfuug einer Nationalversammlung ausgeschrieben, und die einzelnen Staaten wa
ren wenigstens factisch darauf eingegangen. Der Zweck dieser Versammlung sollte
sein, die Bundesversammlung nach den Zeitbedürfnissen zu modificiren. Ob zu
dieser Reform eine Ratification von Seiten der einzelnen Staaten erforderlich sei,
war wenigstens nicht klar ausgesprochen. In der Bundesacte waren der Voll¬
macht der Centralgewalt bestimmte Grenzen gesetzt; es waren den einzelnen Staa¬
ten bestimmte Souveränitätsrechte garantirt; staatsrechtlich mußte also vorausgesetzt
werden, daß eine Ueberschreitung der Grenze" den Bundestag auflöste und den
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deutschen Brüder am Ohio, an der Theis und an der Dura auffordern, uns bei
Vollendung unserer Verfassung zu helfen und dann nach Hause zu gehn. Wenn
die östreichischen Deputaten an der Abfassung von Beschlüssen Theil nehmen, von
denen es sich nachher ergibt, daß sie aus Oestreich keine Anwendung finden, so
versteht es sich ganz von selbst, daß diese Beschlüsse auch sür das übrige Deutsch¬
land keine Geltung haben.

Seltsam! Nachdem die deutsche Nationalversammlung nicht nur ein Semester
hindurch sür Deutschland Beschlüsse gefaßt, sondern auch zur Wahrung der In¬
tegrität dieses Staates zweimal in die Kriegstrompete gestoßen hat, legt sie sich
heute zum ersten Mal die Frage vor: wer gehört eigentlich zu uns? Es war
also voreilig, wenn man gleich in der ersten Sitzung der Paulskirche Vater Arndt
erklärte, das Fragezeichen seines Refrains sei jetzt überflüssig geworden. Ich will
deshalb die Nationalversammlung nicht anklagen, sie hat gethan, was sie ver¬
mochte; Schuld war allein der Wind, der sie zusammengeblasen hat.

Die Nationalversammlung leidet an dem Fehler eines doppelten Ursprungs.
Einmal war es die Revolution, die sie zusammenwehte: eine Versammlung von
500 Männern, auf gut Glück zusammengetreten, hatte decretirt: von den bisher
bestandenen Rechten soll nichts weiter gelten, sondern es soll nur gelten, was wir
decretiren, und wir decretiren, nach dem und dem Wahlmodus soll eine neue
Versammlung sür ganz Deutschland zusammentreten und mit souveräner Macht¬
vollkommenheit decretiren, was ferner in Deutschland Recht sein soll.

Niemand kann ein Recht übertragen, das er selber nicht hat. Da jenes so-
genannte Vorparlament von Niemand anders Vollmacht hatte, als von sich selbst,
so konnte es auch keinen zweiten bevollmächtigen. Wenn sich also die National¬
versammlung für souverän erklärte und sich dabei auf das Vorparlament berief,
so war das nicht ein Recht, das sie in Anspruch nehmen konnte, sondern eine
Gewalt. Es gibt überhaupt kein Recht der Revolution; ein Recht kann nur ans
einem Vertrage hergeleitet werden.

Eine Art von Vertrag lag aber in der That vor. Das einzige legitime
Organ des durch die Wiener Acte staatsrechtlich begründeten deutschen Bunde«
hatte, in Folge jener Verhandlungen des Vorparlaments, gleichfalls die Einde
rnfuug einer Nationalversammlung ausgeschrieben, und die einzelnen Staaten wa
ren wenigstens factisch darauf eingegangen. Der Zweck dieser Versammlung sollte
sein, die Bundesversammlung nach den Zeitbedürfnissen zu modificiren. Ob zu
dieser Reform eine Ratification von Seiten der einzelnen Staaten erforderlich sei,
war wenigstens nicht klar ausgesprochen. In der Bundesacte waren der Voll¬
macht der Centralgewalt bestimmte Grenzen gesetzt; es waren den einzelnen Staa¬
ten bestimmte Souveränitätsrechte garantirt; staatsrechtlich mußte also vorausgesetzt
werden, daß eine Ueberschreitung der Grenze» den Bundestag auflöste und den
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/203>, abgerufen am 22.07.2024.