Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.Reichstag ni seiner bisherigen Gestalt kein einheitliches Parlament, sondern A ,t S Berlin. Wir stehen an dem unheilvollen Wendepunkte, wo die Parteien gegenseitig neue Beginnen wir mit der Kammer! Sie ist doch um einmal die einzige Autorität Reichstag ni seiner bisherigen Gestalt kein einheitliches Parlament, sondern A ,t S Berlin. Wir stehen an dem unheilvollen Wendepunkte, wo die Parteien gegenseitig neue Beginnen wir mit der Kammer! Sie ist doch um einmal die einzige Autorität <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0188" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276944"/> <p xml:id="ID_521" prev="#ID_520"> Reichstag ni seiner bisherigen Gestalt kein einheitliches Parlament, sondern<lb/> vielmehr eine Zusammensetzung, ein unorganisches Conglomerat von mehreren<lb/> Parlamenten, die mit Aufgebung der Parteien, die sie in sich enthalten, sich in<lb/> ihrer Totalität als Parteien gegenüberstellen. Früher oder später wird der Reichs¬<lb/> tag seine formlose, rohe, unvermittelte Einheit aufgeben müssen ^ die in der<lb/> Rettschule mit einander conferirenden Parlamente werden sich trennen und dann<lb/> als autonome Landtage forttagen. — Wenn es aber dahin kömmt, dann wird<lb/> Oestreich wie begreiflich aus dem Verbände mit Deutschland völlig austreten »ut<lb/> ein blos äußeres Verhältniß zu dein Reiche einnehmen müssen. Oestreich gehört<lb/> ohnehin nicht als ein lebendiger Bestandtheil in den Organismus des deutschen<lb/> Reiches hinein; es ist ein durch gewaltsame Centralisation und starre Einheit des<lb/> Regimentes abgetödteter Staatencomplex, der nur in der Form einer Föderation<lb/> die Funktionen seines politischen Lebens wieder kräftig fortsetzen kann — während<lb/> Deutschland als ein, großer Staatskörper erscheint, ni dem erst das kräftige Be¬<lb/> wußtsein der deutschen Einheit, die Centralisation der Kräfte ein großartiges, ener¬<lb/><note type="byline"> I. V.</note> gisches Staatsleben einzuleiten im Stande ist. —- </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> A ,t S Berlin.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_522"> Wir stehen an dem unheilvollen Wendepunkte, wo die Parteien gegenseitig neue<lb/> Nahrung schöpfen aus ihrem Mißtrauen, ihrer Perfidie, ja aus ihrer Schwäche, wo<lb/> die Reaction frohlockt über die Excesse der Wühler und die Anarchie sich stärkt durch<lb/> die Projecte der Camarilla, wo finsterer Argwohn und angedichtete Verschwörungen zu<lb/> wirklichen Revolutionen führen, wo nur die Extreme noch Muth entwickeln und die<lb/> Vernichtung der einen Fraction uns rettungslos der andern überliefert; wo im Partei¬<lb/> getriebe sich die Begriffe von Recht und Unrecht verwirren und dem Redlichen Nichts<lb/> übrig bleibt, als sein Gewissen zur einzigen Richtschnur zu nehmen, ohne Rücksicht<lb/> auf die Folgen, selbst auf den Erfolg. Ist der Kampf min schwierig, der Sieg viel¬<lb/> leicht unmöglich, so scheint die genaueste Kenntniß des Terrains vor allen Dingen<lb/> nothwendig; hinzu einen Beitrag zu liefern, ist der Zweck dieser Zeilen.</p><lb/> <p xml:id="ID_523" next="#ID_524"> Beginnen wir mit der Kammer! Sie ist doch um einmal die einzige Autorität<lb/> im Lande seit dem 1,8. März; wer die Revolution nicht verewigen will, der muß sich<lb/> ihr unterwerfen, wie er auch über sie urtheilen mag. Es ist bekannt genug, wie diese<lb/> Kammer entstanden: Jeder wurde unbesehens hineingewählt, der irgendwie einmal Op¬<lb/> position gegen das alte Gouvernement gemacht. Der Unterschied zwischen Berlin und<lb/> den Provinzen bestand nur darin, daß man sich dort mit den Hoflibcralcn der Salons<lb/> begnügte, während man in der Residenz, zum Theil auch in Schlesien und am Rheine,<lb/> bis zu den Demagogen unter den Zelten und, selbst bis zu mimvms sujot« herabstieg,<lb/> deren einzige Befähigung in Collisionen mit den Gerichten bestand. Jeder Landestheil<lb/> sandte, was unter seinem Klima am besten gedieh: Sachsen seine kirchliche, der Rhein</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0188]
Reichstag ni seiner bisherigen Gestalt kein einheitliches Parlament, sondern
vielmehr eine Zusammensetzung, ein unorganisches Conglomerat von mehreren
Parlamenten, die mit Aufgebung der Parteien, die sie in sich enthalten, sich in
ihrer Totalität als Parteien gegenüberstellen. Früher oder später wird der Reichs¬
tag seine formlose, rohe, unvermittelte Einheit aufgeben müssen ^ die in der
Rettschule mit einander conferirenden Parlamente werden sich trennen und dann
als autonome Landtage forttagen. — Wenn es aber dahin kömmt, dann wird
Oestreich wie begreiflich aus dem Verbände mit Deutschland völlig austreten »ut
ein blos äußeres Verhältniß zu dein Reiche einnehmen müssen. Oestreich gehört
ohnehin nicht als ein lebendiger Bestandtheil in den Organismus des deutschen
Reiches hinein; es ist ein durch gewaltsame Centralisation und starre Einheit des
Regimentes abgetödteter Staatencomplex, der nur in der Form einer Föderation
die Funktionen seines politischen Lebens wieder kräftig fortsetzen kann — während
Deutschland als ein, großer Staatskörper erscheint, ni dem erst das kräftige Be¬
wußtsein der deutschen Einheit, die Centralisation der Kräfte ein großartiges, ener¬
I. V. gisches Staatsleben einzuleiten im Stande ist. —-
A ,t S Berlin.
Wir stehen an dem unheilvollen Wendepunkte, wo die Parteien gegenseitig neue
Nahrung schöpfen aus ihrem Mißtrauen, ihrer Perfidie, ja aus ihrer Schwäche, wo
die Reaction frohlockt über die Excesse der Wühler und die Anarchie sich stärkt durch
die Projecte der Camarilla, wo finsterer Argwohn und angedichtete Verschwörungen zu
wirklichen Revolutionen führen, wo nur die Extreme noch Muth entwickeln und die
Vernichtung der einen Fraction uns rettungslos der andern überliefert; wo im Partei¬
getriebe sich die Begriffe von Recht und Unrecht verwirren und dem Redlichen Nichts
übrig bleibt, als sein Gewissen zur einzigen Richtschnur zu nehmen, ohne Rücksicht
auf die Folgen, selbst auf den Erfolg. Ist der Kampf min schwierig, der Sieg viel¬
leicht unmöglich, so scheint die genaueste Kenntniß des Terrains vor allen Dingen
nothwendig; hinzu einen Beitrag zu liefern, ist der Zweck dieser Zeilen.
Beginnen wir mit der Kammer! Sie ist doch um einmal die einzige Autorität
im Lande seit dem 1,8. März; wer die Revolution nicht verewigen will, der muß sich
ihr unterwerfen, wie er auch über sie urtheilen mag. Es ist bekannt genug, wie diese
Kammer entstanden: Jeder wurde unbesehens hineingewählt, der irgendwie einmal Op¬
position gegen das alte Gouvernement gemacht. Der Unterschied zwischen Berlin und
den Provinzen bestand nur darin, daß man sich dort mit den Hoflibcralcn der Salons
begnügte, während man in der Residenz, zum Theil auch in Schlesien und am Rheine,
bis zu den Demagogen unter den Zelten und, selbst bis zu mimvms sujot« herabstieg,
deren einzige Befähigung in Collisionen mit den Gerichten bestand. Jeder Landestheil
sandte, was unter seinem Klima am besten gedieh: Sachsen seine kirchliche, der Rhein
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