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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Arnold Rüge! el" Wort im Vertrauen. Reizen Sie nicht die blinden Leiden¬
schaften der Masse! Sie kennen den Geist nicht, mit dem Sie spielen. Siege die
rothe Republik, so sind Sie einer der ersten, der an die Laternen kommt. Ihr
ungeduldiges Gehirn ergeht sich zu Zeiten in der Vorstellung eines aufgeklärten
Terrorismus der Freiheit, der die halbe Generation ausrottet, um die andere Hälfte
glücklich zu machen. Aber rufen Sie Ihre Phantasie zu Hilfe. Sie haben die
Fähigkeit, lebhaft zu empfinden, wenn Ihnen ein concretes Bild vor Augen gestellt
wird, bei rührenden Scenen aus Eugen Sue können Sie Sich der Thränen nicht
erwehren. Malen Sie Sich die Sache aus. Die Masse hat die Waffen in den
Händen, die Monarchie ist gestürzt. Man erwählt Sie, den Chef der äußersten
Linken, zum Präsidenten der neuen Republik. Sie versammeln die Vertreter des
souverainen Volkes, die Karbe, Ottensosser, die Schlosse! in Ihren Reichstag.
Draußen und auf der Galerie heult das Proletariat, das die Früchte seines Sieges
genießen will. Ihre Thätigkeit besteht in dem Erlaß rationeller Decrete. Das
erste Decret Ihres Senates ist: "Das Proletariat ist abgeschafft. Es darf keinen
Hunger mehr geben." Jubelnd zieht die Menge Ihren Triumphwagen. Denselben
Tag werden kraft Ihres Decrets die Bäckerladen geplündert, die Mühlen aus¬
geleert, die Hälfte des Mehls auf den Straßen vergeudet. Der Hunger stellt sich
ein, trotz Ihres Decrets, denn in der Anarchie stocken die Gewerbe, und mit der
Beschäftigung schwindet auch der Besitz, die Nahrung. Verrath, ruft das empörte
Volk; wir find verkauft! Die neue Regierung ist mit unsern alten Tyrannen ver¬
schworen, uns durch Hunger auszurotten. Man ergreift den Präsidenten, man schlägt
ihn mit Knitteln und Sensen; man schleift ihn an den Füßen durch die Straßen;
ein Junge tritt noch zuletzt auf sein Haar, um dem Ohnmächtigen, Sterbenden,
den letzten Schmerzenston zu entreißen.

Arnold Ruge! zittern Sie vor der Bestie, die Sie reizen, mit der Sie tän¬
deln, leichtsinniger Knabe! Sie haben den Tiger nur im Käfig gesehn; fürchten Sie
seine Zähne, wenn er rast. Er macht dann keinen Unterschied mehr. Schon ist
das Verbrechen eingedrungen in die heilige Stätte des Rechts, schon ist das sitt¬
liche Gefühl des Volks von allen Seiten untergrabe", durch Sie und Ihres Glei¬
chen. Noch ist es nicht zu spät, allein den Augenblick sieht kein Prophet vorher.

Gegen die Volksjustiz a l-t Lichnowsky, Lamberg, Latour gibt es nur Ein
Mittel, ein schreckliches, wenn das Volk selber nicht mehr die sittliche Kraft hat,
das Verbrechen zu bändigen. Blicken Sie nach Wien! Ihre Demokraten sind es,
die das Regiment der kroatischen Säbel provociren.

Es ist nicht Bosheit, was die Demokratie treibt, es ist geistige Trägheit und
Ungeduld. Sie haben nicht den Muth, nicht die Ausdauer, auf dem Wege be¬
stimmt formnlirter und rechtlich begründeter Forderungen die Freiheit zu erringen;
sie scheue" die Klarheit, denu sie würde ihre Unfähigkeit verrathen, sie appelliren an


Arnold Rüge! el» Wort im Vertrauen. Reizen Sie nicht die blinden Leiden¬
schaften der Masse! Sie kennen den Geist nicht, mit dem Sie spielen. Siege die
rothe Republik, so sind Sie einer der ersten, der an die Laternen kommt. Ihr
ungeduldiges Gehirn ergeht sich zu Zeiten in der Vorstellung eines aufgeklärten
Terrorismus der Freiheit, der die halbe Generation ausrottet, um die andere Hälfte
glücklich zu machen. Aber rufen Sie Ihre Phantasie zu Hilfe. Sie haben die
Fähigkeit, lebhaft zu empfinden, wenn Ihnen ein concretes Bild vor Augen gestellt
wird, bei rührenden Scenen aus Eugen Sue können Sie Sich der Thränen nicht
erwehren. Malen Sie Sich die Sache aus. Die Masse hat die Waffen in den
Händen, die Monarchie ist gestürzt. Man erwählt Sie, den Chef der äußersten
Linken, zum Präsidenten der neuen Republik. Sie versammeln die Vertreter des
souverainen Volkes, die Karbe, Ottensosser, die Schlosse! in Ihren Reichstag.
Draußen und auf der Galerie heult das Proletariat, das die Früchte seines Sieges
genießen will. Ihre Thätigkeit besteht in dem Erlaß rationeller Decrete. Das
erste Decret Ihres Senates ist: „Das Proletariat ist abgeschafft. Es darf keinen
Hunger mehr geben." Jubelnd zieht die Menge Ihren Triumphwagen. Denselben
Tag werden kraft Ihres Decrets die Bäckerladen geplündert, die Mühlen aus¬
geleert, die Hälfte des Mehls auf den Straßen vergeudet. Der Hunger stellt sich
ein, trotz Ihres Decrets, denn in der Anarchie stocken die Gewerbe, und mit der
Beschäftigung schwindet auch der Besitz, die Nahrung. Verrath, ruft das empörte
Volk; wir find verkauft! Die neue Regierung ist mit unsern alten Tyrannen ver¬
schworen, uns durch Hunger auszurotten. Man ergreift den Präsidenten, man schlägt
ihn mit Knitteln und Sensen; man schleift ihn an den Füßen durch die Straßen;
ein Junge tritt noch zuletzt auf sein Haar, um dem Ohnmächtigen, Sterbenden,
den letzten Schmerzenston zu entreißen.

Arnold Ruge! zittern Sie vor der Bestie, die Sie reizen, mit der Sie tän¬
deln, leichtsinniger Knabe! Sie haben den Tiger nur im Käfig gesehn; fürchten Sie
seine Zähne, wenn er rast. Er macht dann keinen Unterschied mehr. Schon ist
das Verbrechen eingedrungen in die heilige Stätte des Rechts, schon ist das sitt¬
liche Gefühl des Volks von allen Seiten untergrabe«, durch Sie und Ihres Glei¬
chen. Noch ist es nicht zu spät, allein den Augenblick sieht kein Prophet vorher.

Gegen die Volksjustiz a l-t Lichnowsky, Lamberg, Latour gibt es nur Ein
Mittel, ein schreckliches, wenn das Volk selber nicht mehr die sittliche Kraft hat,
das Verbrechen zu bändigen. Blicken Sie nach Wien! Ihre Demokraten sind es,
die das Regiment der kroatischen Säbel provociren.

Es ist nicht Bosheit, was die Demokratie treibt, es ist geistige Trägheit und
Ungeduld. Sie haben nicht den Muth, nicht die Ausdauer, auf dem Wege be¬
stimmt formnlirter und rechtlich begründeter Forderungen die Freiheit zu erringen;
sie scheue» die Klarheit, denu sie würde ihre Unfähigkeit verrathen, sie appelliren an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/165>, abgerufen am 28.12.2024.