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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Selbst die wohldenkensten, conservativsten Männer verbargen sich die Gefahr
nicht. Ja die Anarchie war vorläufig wieder einmal besiegt! Aber wo war ein
positiver Trost gegeben? Das allgemeine Uugenüge, welches Alle gegen die alte
Zeit in den Kampf trieb, ist noch immer der ergiebige Boden, aus welchem die
Anarchie neue Kräfte saugt. Die tiefe Sehnsucht des deutschen Volkes nach einem
großen gemeinsamen freien Staatsleben, dem einzigen Mittel auch zur Abhilfe
aller materiellen Noth, ist nicht befriedigt. Wir haben immer und werden es im¬
mer thun, die thörigte und verächtliche Ungeduld bekämpft, welche das Gesetz des
Werdens, das erste und unvermeidlichste, überspringen möchte. Aber die jetzige
allgemeine Ungeduld richtet sich nicht dagegen, daß der Nation der Organismus
ihrer Freiheit noch nicht vollendet, sondern dagegen, daß das Gelingen des Wer¬
kes überhaupt noch immer in Frage gestellt erscheint -- von Seiten der Regie¬
rungen, der Fürsten. Von dieser Seite verlangt man endlich vollständige Beru¬
higung. Wenn diese nicht fehlte, so würde das Treiben der Anarchisten überall
sofort anch dem blödesten Ange als verbrecherisch und verrückt erscheinen. Daß
die rothe Republik uns jenen Wunsch nicht erfüllen wird, darüber sind alle den¬
kenden Männer einig. Aber diese Männer sprechen jetzt mit trauriger Resignation:
"Was hilft es, wenn wir mit aller moralischen Kraft die Regierung zur Bekäm¬
pfung der Anarchie unterstützen, wenn der Sieg doch nur zu ungeschickten Reak¬
tionen, wahrscheinlich zum Particularismus führt, wenn sich überall die Unfähig¬
keit zeigt, dem Volke die positive Erhebung zu bringen, ohne welche eine zweite
schrecklichere Revolution unvermeidlich!!" Man fragt sogar, ob es nicht besser, die
rothe Republik jetzt kommen zu lassen, wenn dieser Durchgangspunkt zum totalen
gewaltsamen Zerbrechen der alten unverbesserlichen Verhältnisse doch einmal nöthig.
Dazu kommt, daß die Centralgewalt Energie bis jetzt nur gegen innere Unruhen
gezeigt hat. Mit innerem Widerstreben wagt man kaum die Verläumdungen der
Linken zu mildern, daß die Centralgewalt, ohnmächtig nach Außen wie zur Be¬
seitigung der inneren particnlaristischen Hemmungen der Volkskraft, gleich dem
alten Bundestag lediglich ein Generalpolizeiinstitut zur Unterdrückung der Freiheit
sei. Die Gefahr, welche in dieser Stimmung liegt, ist unermeßlich. Die Emeute
ist machtlos bei aller Bravour, so lange sie den Kern der öffentlichen Meinung
gegen sich hat, sie ist gefährlich, so bald ihr die öffentliche Meinung gleichgiltig,
passiv, resignirt zusieht, sie ist unbesieglich, sobald die öffentliche Meinung auf
ihre Seite tritt. Diese Stimmung sprach sich am lebhaftesten in einem Flugblatte
aus Frankfurt aus mit dem Refrain: Die Fürsten wolle" nicht !

Die Reichsregierung trifft kein Vorwurf. Die Schuld liegt, wie das Flug¬
blatt richtig sagt, an den Leitern der einzelnen deutschen Staaten, an den Für¬
sten und ihren Rathgebern. Das ganze Gewicht der Anklage fällt aus Preußen.
Sein Verhalten ist für die kleineren Kabinette eben so sehr die Richtschnur, als
ein mögliches Abweichen von dieser Richtschnur bedeutungslos. Oestreich lassen


Selbst die wohldenkensten, conservativsten Männer verbargen sich die Gefahr
nicht. Ja die Anarchie war vorläufig wieder einmal besiegt! Aber wo war ein
positiver Trost gegeben? Das allgemeine Uugenüge, welches Alle gegen die alte
Zeit in den Kampf trieb, ist noch immer der ergiebige Boden, aus welchem die
Anarchie neue Kräfte saugt. Die tiefe Sehnsucht des deutschen Volkes nach einem
großen gemeinsamen freien Staatsleben, dem einzigen Mittel auch zur Abhilfe
aller materiellen Noth, ist nicht befriedigt. Wir haben immer und werden es im¬
mer thun, die thörigte und verächtliche Ungeduld bekämpft, welche das Gesetz des
Werdens, das erste und unvermeidlichste, überspringen möchte. Aber die jetzige
allgemeine Ungeduld richtet sich nicht dagegen, daß der Nation der Organismus
ihrer Freiheit noch nicht vollendet, sondern dagegen, daß das Gelingen des Wer¬
kes überhaupt noch immer in Frage gestellt erscheint — von Seiten der Regie¬
rungen, der Fürsten. Von dieser Seite verlangt man endlich vollständige Beru¬
higung. Wenn diese nicht fehlte, so würde das Treiben der Anarchisten überall
sofort anch dem blödesten Ange als verbrecherisch und verrückt erscheinen. Daß
die rothe Republik uns jenen Wunsch nicht erfüllen wird, darüber sind alle den¬
kenden Männer einig. Aber diese Männer sprechen jetzt mit trauriger Resignation:
„Was hilft es, wenn wir mit aller moralischen Kraft die Regierung zur Bekäm¬
pfung der Anarchie unterstützen, wenn der Sieg doch nur zu ungeschickten Reak¬
tionen, wahrscheinlich zum Particularismus führt, wenn sich überall die Unfähig¬
keit zeigt, dem Volke die positive Erhebung zu bringen, ohne welche eine zweite
schrecklichere Revolution unvermeidlich!!" Man fragt sogar, ob es nicht besser, die
rothe Republik jetzt kommen zu lassen, wenn dieser Durchgangspunkt zum totalen
gewaltsamen Zerbrechen der alten unverbesserlichen Verhältnisse doch einmal nöthig.
Dazu kommt, daß die Centralgewalt Energie bis jetzt nur gegen innere Unruhen
gezeigt hat. Mit innerem Widerstreben wagt man kaum die Verläumdungen der
Linken zu mildern, daß die Centralgewalt, ohnmächtig nach Außen wie zur Be¬
seitigung der inneren particnlaristischen Hemmungen der Volkskraft, gleich dem
alten Bundestag lediglich ein Generalpolizeiinstitut zur Unterdrückung der Freiheit
sei. Die Gefahr, welche in dieser Stimmung liegt, ist unermeßlich. Die Emeute
ist machtlos bei aller Bravour, so lange sie den Kern der öffentlichen Meinung
gegen sich hat, sie ist gefährlich, so bald ihr die öffentliche Meinung gleichgiltig,
passiv, resignirt zusieht, sie ist unbesieglich, sobald die öffentliche Meinung auf
ihre Seite tritt. Diese Stimmung sprach sich am lebhaftesten in einem Flugblatte
aus Frankfurt aus mit dem Refrain: Die Fürsten wolle» nicht !

Die Reichsregierung trifft kein Vorwurf. Die Schuld liegt, wie das Flug¬
blatt richtig sagt, an den Leitern der einzelnen deutschen Staaten, an den Für¬
sten und ihren Rathgebern. Das ganze Gewicht der Anklage fällt aus Preußen.
Sein Verhalten ist für die kleineren Kabinette eben so sehr die Richtschnur, als
ein mögliches Abweichen von dieser Richtschnur bedeutungslos. Oestreich lassen


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[0151] Selbst die wohldenkensten, conservativsten Männer verbargen sich die Gefahr nicht. Ja die Anarchie war vorläufig wieder einmal besiegt! Aber wo war ein positiver Trost gegeben? Das allgemeine Uugenüge, welches Alle gegen die alte Zeit in den Kampf trieb, ist noch immer der ergiebige Boden, aus welchem die Anarchie neue Kräfte saugt. Die tiefe Sehnsucht des deutschen Volkes nach einem großen gemeinsamen freien Staatsleben, dem einzigen Mittel auch zur Abhilfe aller materiellen Noth, ist nicht befriedigt. Wir haben immer und werden es im¬ mer thun, die thörigte und verächtliche Ungeduld bekämpft, welche das Gesetz des Werdens, das erste und unvermeidlichste, überspringen möchte. Aber die jetzige allgemeine Ungeduld richtet sich nicht dagegen, daß der Nation der Organismus ihrer Freiheit noch nicht vollendet, sondern dagegen, daß das Gelingen des Wer¬ kes überhaupt noch immer in Frage gestellt erscheint — von Seiten der Regie¬ rungen, der Fürsten. Von dieser Seite verlangt man endlich vollständige Beru¬ higung. Wenn diese nicht fehlte, so würde das Treiben der Anarchisten überall sofort anch dem blödesten Ange als verbrecherisch und verrückt erscheinen. Daß die rothe Republik uns jenen Wunsch nicht erfüllen wird, darüber sind alle den¬ kenden Männer einig. Aber diese Männer sprechen jetzt mit trauriger Resignation: „Was hilft es, wenn wir mit aller moralischen Kraft die Regierung zur Bekäm¬ pfung der Anarchie unterstützen, wenn der Sieg doch nur zu ungeschickten Reak¬ tionen, wahrscheinlich zum Particularismus führt, wenn sich überall die Unfähig¬ keit zeigt, dem Volke die positive Erhebung zu bringen, ohne welche eine zweite schrecklichere Revolution unvermeidlich!!" Man fragt sogar, ob es nicht besser, die rothe Republik jetzt kommen zu lassen, wenn dieser Durchgangspunkt zum totalen gewaltsamen Zerbrechen der alten unverbesserlichen Verhältnisse doch einmal nöthig. Dazu kommt, daß die Centralgewalt Energie bis jetzt nur gegen innere Unruhen gezeigt hat. Mit innerem Widerstreben wagt man kaum die Verläumdungen der Linken zu mildern, daß die Centralgewalt, ohnmächtig nach Außen wie zur Be¬ seitigung der inneren particnlaristischen Hemmungen der Volkskraft, gleich dem alten Bundestag lediglich ein Generalpolizeiinstitut zur Unterdrückung der Freiheit sei. Die Gefahr, welche in dieser Stimmung liegt, ist unermeßlich. Die Emeute ist machtlos bei aller Bravour, so lange sie den Kern der öffentlichen Meinung gegen sich hat, sie ist gefährlich, so bald ihr die öffentliche Meinung gleichgiltig, passiv, resignirt zusieht, sie ist unbesieglich, sobald die öffentliche Meinung auf ihre Seite tritt. Diese Stimmung sprach sich am lebhaftesten in einem Flugblatte aus Frankfurt aus mit dem Refrain: Die Fürsten wolle» nicht ! Die Reichsregierung trifft kein Vorwurf. Die Schuld liegt, wie das Flug¬ blatt richtig sagt, an den Leitern der einzelnen deutschen Staaten, an den Für¬ sten und ihren Rathgebern. Das ganze Gewicht der Anklage fällt aus Preußen. Sein Verhalten ist für die kleineren Kabinette eben so sehr die Richtschnur, als ein mögliches Abweichen von dieser Richtschnur bedeutungslos. Oestreich lassen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/151>, abgerufen am 22.07.2024.