Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

thvr, auf der Bnrgbastei die Compagnien, in die man sie eingetheilt hatte, über¬
zahlt, und ich glaube, daß meine Schätzung so ziemlich richtig gewesen sein wird.
Und unter diesen Ucberläufern waren, so sagte wenigstens die geheime Tageschro¬
nik, gar Viele, welche nnr die Fleischtöpfe Aegyptens in die Stadt gelockt hatten,
die sich drei, vier Tage recht satt aßen und tranken, auch angebotnes Geld mit
Willigkeit hinnahmen und dann an einem schönen Morgen wiederum zu ihren al¬
ten Fahnen desertirten. Argwöhnische Politiker wollten sogar in dem Umstand,
daß unverhältnißmäßig viele Artilleristen übergingen eine ungewöhnlich schlaue
Kriegslist des Grasen Auersperg entdecken. Vom Landsturm habe ich wenig ge¬
sehen, einen Haufen von höchstens 50 Sensenmännern ausgenommen, der in den
ersten Tagen in der Vorstadt Mieder campirte. Ueberhaupt verhielt sich das Land¬
volk der Umgegend indifferent und passiv, während doch später die Steyrer Berg¬
schützen und die Brunner Studenten zur Hilfe herbeieilten. Wenn der Muth und
die Hoffnung eines Volkes durch Proklamationen angefeuert werden können, so
ist in dieser Hinsicht in Wien das Möglichste geschehen. Freilich mußte in den¬
selben gar Manches anders dargestellt werden, als es sich in der Wirklichkeit ver¬
hielt, so daß denn unter Vielem dem braven Barus von seiner Truppenzahl 2V,0W
im Reichstag eine runde Null gestrichen worden ist. Was die Wiener am meisten
kränkte, das war, daß der gute Kaiser, daß der ehrliche Ferdinand geflohen
war. Und doch liebten sie ihn Alle und hätten ihm gewiß nichts zu Leide ge¬
than , höchstens den Ludwig und die Sophie ein Bischen gehängt. Des Kaisers
Abreise von Schönbrunn war eine vollständige, bestürzte Flucht; fast mit der Eile
der Todesangst wurden die Effecten ans die Wagen geworfen und ein Augenzeuge
erzählte, mir, der "gute Ferdinand" sei bei einer Kutsche gestanden, auf welcher
seine gefiederten Lieblinge in ihren Bauern gepackt wurden und dicke, dicke Thrä¬
nentropfen seien fortwährend über seine bleichen Wangen gerollt. Das drohende
Manifest, das der Kaiser zurückgelassen, mehrte noch die Spannung gegen ihn
und verstärkte den Uebermuth des sieghaften Volkes. Aber das letztere ist in
Wien wie eine Wetterfahne im April; das Handbillet des Kaisers an den Minister
Hornbostl, worin er denselben zu sich einlud, um seine Befehle zu contrasigniren
schien Plötzlich Alles wieder gut gemacht zu haben. Als Hornbostl es im Reichstag
vorgelesen hatte, siel man sich einander um den Hals, jubelte und triumphirte, nach
allen Wachtposten brachten Boten die freudige Kunde >-- von was? Je nun,
man wollte darin, daß der Kaiser "Mein lieber Hornbostl" geschrieben hatte,
ein Zugeständniß, einen ersten Schritt zur Versöhnung und Rückkehr sehen. Von
diesem Ereigniß an gewann der Wiener wieder sein altes Naturell. Merkwürdige,
sorglose Nation, Kindern gleich, die aus Gräbern und an Abgründen so unbe¬
fangen spielen und scherzen wie in der sicheren Ammenstube. Sonntags am 8.
da spazierte, was noch in Wien war, heiter wie immer und in Feierkleidern durch


Brenzbotm. IV. 184"- 18

thvr, auf der Bnrgbastei die Compagnien, in die man sie eingetheilt hatte, über¬
zahlt, und ich glaube, daß meine Schätzung so ziemlich richtig gewesen sein wird.
Und unter diesen Ucberläufern waren, so sagte wenigstens die geheime Tageschro¬
nik, gar Viele, welche nnr die Fleischtöpfe Aegyptens in die Stadt gelockt hatten,
die sich drei, vier Tage recht satt aßen und tranken, auch angebotnes Geld mit
Willigkeit hinnahmen und dann an einem schönen Morgen wiederum zu ihren al¬
ten Fahnen desertirten. Argwöhnische Politiker wollten sogar in dem Umstand,
daß unverhältnißmäßig viele Artilleristen übergingen eine ungewöhnlich schlaue
Kriegslist des Grasen Auersperg entdecken. Vom Landsturm habe ich wenig ge¬
sehen, einen Haufen von höchstens 50 Sensenmännern ausgenommen, der in den
ersten Tagen in der Vorstadt Mieder campirte. Ueberhaupt verhielt sich das Land¬
volk der Umgegend indifferent und passiv, während doch später die Steyrer Berg¬
schützen und die Brunner Studenten zur Hilfe herbeieilten. Wenn der Muth und
die Hoffnung eines Volkes durch Proklamationen angefeuert werden können, so
ist in dieser Hinsicht in Wien das Möglichste geschehen. Freilich mußte in den¬
selben gar Manches anders dargestellt werden, als es sich in der Wirklichkeit ver¬
hielt, so daß denn unter Vielem dem braven Barus von seiner Truppenzahl 2V,0W
im Reichstag eine runde Null gestrichen worden ist. Was die Wiener am meisten
kränkte, das war, daß der gute Kaiser, daß der ehrliche Ferdinand geflohen
war. Und doch liebten sie ihn Alle und hätten ihm gewiß nichts zu Leide ge¬
than , höchstens den Ludwig und die Sophie ein Bischen gehängt. Des Kaisers
Abreise von Schönbrunn war eine vollständige, bestürzte Flucht; fast mit der Eile
der Todesangst wurden die Effecten ans die Wagen geworfen und ein Augenzeuge
erzählte, mir, der „gute Ferdinand" sei bei einer Kutsche gestanden, auf welcher
seine gefiederten Lieblinge in ihren Bauern gepackt wurden und dicke, dicke Thrä¬
nentropfen seien fortwährend über seine bleichen Wangen gerollt. Das drohende
Manifest, das der Kaiser zurückgelassen, mehrte noch die Spannung gegen ihn
und verstärkte den Uebermuth des sieghaften Volkes. Aber das letztere ist in
Wien wie eine Wetterfahne im April; das Handbillet des Kaisers an den Minister
Hornbostl, worin er denselben zu sich einlud, um seine Befehle zu contrasigniren
schien Plötzlich Alles wieder gut gemacht zu haben. Als Hornbostl es im Reichstag
vorgelesen hatte, siel man sich einander um den Hals, jubelte und triumphirte, nach
allen Wachtposten brachten Boten die freudige Kunde >— von was? Je nun,
man wollte darin, daß der Kaiser „Mein lieber Hornbostl" geschrieben hatte,
ein Zugeständniß, einen ersten Schritt zur Versöhnung und Rückkehr sehen. Von
diesem Ereigniß an gewann der Wiener wieder sein altes Naturell. Merkwürdige,
sorglose Nation, Kindern gleich, die aus Gräbern und an Abgründen so unbe¬
fangen spielen und scherzen wie in der sicheren Ammenstube. Sonntags am 8.
da spazierte, was noch in Wien war, heiter wie immer und in Feierkleidern durch


Brenzbotm. IV. 184»- 18
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0145" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276901"/>
          <p xml:id="ID_408" prev="#ID_407" next="#ID_409"> thvr, auf der Bnrgbastei die Compagnien, in die man sie eingetheilt hatte, über¬<lb/>
zahlt, und ich glaube, daß meine Schätzung so ziemlich richtig gewesen sein wird.<lb/>
Und unter diesen Ucberläufern waren, so sagte wenigstens die geheime Tageschro¬<lb/>
nik, gar Viele, welche nnr die Fleischtöpfe Aegyptens in die Stadt gelockt hatten,<lb/>
die sich drei, vier Tage recht satt aßen und tranken, auch angebotnes Geld mit<lb/>
Willigkeit hinnahmen und dann an einem schönen Morgen wiederum zu ihren al¬<lb/>
ten Fahnen desertirten. Argwöhnische Politiker wollten sogar in dem Umstand,<lb/>
daß unverhältnißmäßig viele Artilleristen übergingen eine ungewöhnlich schlaue<lb/>
Kriegslist des Grasen Auersperg entdecken. Vom Landsturm habe ich wenig ge¬<lb/>
sehen, einen Haufen von höchstens 50 Sensenmännern ausgenommen, der in den<lb/>
ersten Tagen in der Vorstadt Mieder campirte. Ueberhaupt verhielt sich das Land¬<lb/>
volk der Umgegend indifferent und passiv, während doch später die Steyrer Berg¬<lb/>
schützen und die Brunner Studenten zur Hilfe herbeieilten. Wenn der Muth und<lb/>
die Hoffnung eines Volkes durch Proklamationen angefeuert werden können, so<lb/>
ist in dieser Hinsicht in Wien das Möglichste geschehen. Freilich mußte in den¬<lb/>
selben gar Manches anders dargestellt werden, als es sich in der Wirklichkeit ver¬<lb/>
hielt, so daß denn unter Vielem dem braven Barus von seiner Truppenzahl 2V,0W<lb/>
im Reichstag eine runde Null gestrichen worden ist. Was die Wiener am meisten<lb/>
kränkte, das war, daß der gute Kaiser, daß der ehrliche Ferdinand geflohen<lb/>
war. Und doch liebten sie ihn Alle und hätten ihm gewiß nichts zu Leide ge¬<lb/>
than , höchstens den Ludwig und die Sophie ein Bischen gehängt. Des Kaisers<lb/>
Abreise von Schönbrunn war eine vollständige, bestürzte Flucht; fast mit der Eile<lb/>
der Todesangst wurden die Effecten ans die Wagen geworfen und ein Augenzeuge<lb/>
erzählte, mir, der &#x201E;gute Ferdinand" sei bei einer Kutsche gestanden, auf welcher<lb/>
seine gefiederten Lieblinge in ihren Bauern gepackt wurden und dicke, dicke Thrä¬<lb/>
nentropfen seien fortwährend über seine bleichen Wangen gerollt. Das drohende<lb/>
Manifest, das der Kaiser zurückgelassen, mehrte noch die Spannung gegen ihn<lb/>
und verstärkte den Uebermuth des sieghaften Volkes. Aber das letztere ist in<lb/>
Wien wie eine Wetterfahne im April; das Handbillet des Kaisers an den Minister<lb/>
Hornbostl, worin er denselben zu sich einlud, um seine Befehle zu contrasigniren<lb/>
schien Plötzlich Alles wieder gut gemacht zu haben. Als Hornbostl es im Reichstag<lb/>
vorgelesen hatte, siel man sich einander um den Hals, jubelte und triumphirte, nach<lb/>
allen Wachtposten brachten Boten die freudige Kunde &gt;&#x2014; von was? Je nun,<lb/>
man wollte darin, daß der Kaiser &#x201E;Mein lieber Hornbostl" geschrieben hatte,<lb/>
ein Zugeständniß, einen ersten Schritt zur Versöhnung und Rückkehr sehen. Von<lb/>
diesem Ereigniß an gewann der Wiener wieder sein altes Naturell. Merkwürdige,<lb/>
sorglose Nation, Kindern gleich, die aus Gräbern und an Abgründen so unbe¬<lb/>
fangen spielen und scherzen wie in der sicheren Ammenstube. Sonntags am 8.<lb/>
da spazierte, was noch in Wien war, heiter wie immer und in Feierkleidern durch</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Brenzbotm. IV. 184»- 18</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0145] thvr, auf der Bnrgbastei die Compagnien, in die man sie eingetheilt hatte, über¬ zahlt, und ich glaube, daß meine Schätzung so ziemlich richtig gewesen sein wird. Und unter diesen Ucberläufern waren, so sagte wenigstens die geheime Tageschro¬ nik, gar Viele, welche nnr die Fleischtöpfe Aegyptens in die Stadt gelockt hatten, die sich drei, vier Tage recht satt aßen und tranken, auch angebotnes Geld mit Willigkeit hinnahmen und dann an einem schönen Morgen wiederum zu ihren al¬ ten Fahnen desertirten. Argwöhnische Politiker wollten sogar in dem Umstand, daß unverhältnißmäßig viele Artilleristen übergingen eine ungewöhnlich schlaue Kriegslist des Grasen Auersperg entdecken. Vom Landsturm habe ich wenig ge¬ sehen, einen Haufen von höchstens 50 Sensenmännern ausgenommen, der in den ersten Tagen in der Vorstadt Mieder campirte. Ueberhaupt verhielt sich das Land¬ volk der Umgegend indifferent und passiv, während doch später die Steyrer Berg¬ schützen und die Brunner Studenten zur Hilfe herbeieilten. Wenn der Muth und die Hoffnung eines Volkes durch Proklamationen angefeuert werden können, so ist in dieser Hinsicht in Wien das Möglichste geschehen. Freilich mußte in den¬ selben gar Manches anders dargestellt werden, als es sich in der Wirklichkeit ver¬ hielt, so daß denn unter Vielem dem braven Barus von seiner Truppenzahl 2V,0W im Reichstag eine runde Null gestrichen worden ist. Was die Wiener am meisten kränkte, das war, daß der gute Kaiser, daß der ehrliche Ferdinand geflohen war. Und doch liebten sie ihn Alle und hätten ihm gewiß nichts zu Leide ge¬ than , höchstens den Ludwig und die Sophie ein Bischen gehängt. Des Kaisers Abreise von Schönbrunn war eine vollständige, bestürzte Flucht; fast mit der Eile der Todesangst wurden die Effecten ans die Wagen geworfen und ein Augenzeuge erzählte, mir, der „gute Ferdinand" sei bei einer Kutsche gestanden, auf welcher seine gefiederten Lieblinge in ihren Bauern gepackt wurden und dicke, dicke Thrä¬ nentropfen seien fortwährend über seine bleichen Wangen gerollt. Das drohende Manifest, das der Kaiser zurückgelassen, mehrte noch die Spannung gegen ihn und verstärkte den Uebermuth des sieghaften Volkes. Aber das letztere ist in Wien wie eine Wetterfahne im April; das Handbillet des Kaisers an den Minister Hornbostl, worin er denselben zu sich einlud, um seine Befehle zu contrasigniren schien Plötzlich Alles wieder gut gemacht zu haben. Als Hornbostl es im Reichstag vorgelesen hatte, siel man sich einander um den Hals, jubelte und triumphirte, nach allen Wachtposten brachten Boten die freudige Kunde >— von was? Je nun, man wollte darin, daß der Kaiser „Mein lieber Hornbostl" geschrieben hatte, ein Zugeständniß, einen ersten Schritt zur Versöhnung und Rückkehr sehen. Von diesem Ereigniß an gewann der Wiener wieder sein altes Naturell. Merkwürdige, sorglose Nation, Kindern gleich, die aus Gräbern und an Abgründen so unbe¬ fangen spielen und scherzen wie in der sicheren Ammenstube. Sonntags am 8. da spazierte, was noch in Wien war, heiter wie immer und in Feierkleidern durch Brenzbotm. IV. 184»- 18

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/145
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/145>, abgerufen am 22.07.2024.