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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Horden in das Hofkriegsgebäude gedrungen und suchten den unglücklichen Latour.
Sie fanden ihn endlich, versteckt in einer Bodenkammer. Es war um ihn gesche¬
hen, Niemand vermochte ihn zu retten, Niemand wollte ihn retten. Siebenzig
Grenadiere standen mit schlotternden Knieen im Hofe des Gebäudes und sahen ih¬
ren Generalfeldzeugmeister morden -- Keiner regte sich. Ich schweige darüber,
wie der Unglückliche endete. Er endete sehr schnell. Mit mehreren Freunden war
ich inzwischen in die Sitzung des Reichstags gegangen, der sich, freilich in ziem¬
lich geringer Anzahl, zusammengefunden hatte. Es wurden darin die bekannten
Beschlüsse gefaßt, den Ministern Hornbostl und Dobblhoi versichert, daß sie ehr¬
liche Männer seien, eine Deputation an den Kaiser abgefertigt n. s. w. Ich werde
später manches Interessante über den Wiener Reichstag zu erzählen haben; am
K. October gingen zum ersten Male alle Anträge ohne Opposition durch. Rechte,
Linke und Centrum waren eine Dreieinigkeit geworden, Löhner schüttelte seinen
größten parlamentarischen Feinden die Hände und die liebenswürdigen Abgeord¬
neten aus Galizien und den fabelhaften Ländern der Bukowina und Herzegowina
machten noch größere Augen, als gewöhnlich.

Der Reichstag hatte sich auf eine halbe Stunde vertagt; ich wandelte mit
einem Freund über die in ein Feldlager verwandelte Bastei nach dein Kärnthner-
thore. Vor diesem begegneten uns große Haufen von Nationalgarde" aus der
Vorstadt Mieder. Sie trugen auf Bajonetten und Piken kleine Fetzen Tuch und
Leinwand und schienen in höchster Begeisterung zu sein. Was soll das bedeuten?
fragte ich einen bärtigen, etwas zerlumpten Arbeiter. Das sind Stücke von. sei¬
nen Kleidern, lautete die Antwort. Von wessen Kleidern? Nun, Latour; wir
haben ihn gehängt. -- Nein, nein, es ist nicht wahr, ist unmöglich! -- Was
unmöglich? Sehen Sie, und damit zog er einen rothen Kragen aus der Tasche,
der von Blut noch röther geworden war, hielt ihn uns vor die Augen und steckte
ihn schnell wieder ein, als fürchte er einen Raub des kostbaren Gutes; sehen Sie
diesen Kragen hab' ich ihm selber abgerissen. -- Wir glaubten nicht an die Schreck'
liebe That, glaubten sie nicht, trotz hundertfacher Bestätigung, die wir unterwegs
erhielten, als wir nach dem Hof eilten, um uns mit eigenen Augen zu überzeugen.
Aber es war nur zu wahr -- da hing der leblose Körper nur mit einem blutge¬
tränkten weise" Laken verhüllt, an der Laterne und um ihn herum tanzte el" mvrd-
beranschter Hause und verübte Thaten an dem Leichnam, welche die Thäter ans
immer aus den Reihen der Menschheit stoßen. Tausende Stande" auf dem Platz
und betrachteten wohlgefällig das Entsetzliche; zur Hälfte waren es Mädchen und
Weiber. Ich vermochte nicht zu bleiben -- ich habe Vieles erlebt und Vieles ge¬
sehen, aber was ich da gesehen, ist das Schrecklichste gewesen, verfolgte mich Tage
lang wie ein Gespenst und jagte in gräßlichen Träumen den Schlaf von meinem
Lager. Von dieser Stunde an schien mir über ganz Wien ein schwarzer Schleier
gebreitet!


Horden in das Hofkriegsgebäude gedrungen und suchten den unglücklichen Latour.
Sie fanden ihn endlich, versteckt in einer Bodenkammer. Es war um ihn gesche¬
hen, Niemand vermochte ihn zu retten, Niemand wollte ihn retten. Siebenzig
Grenadiere standen mit schlotternden Knieen im Hofe des Gebäudes und sahen ih¬
ren Generalfeldzeugmeister morden — Keiner regte sich. Ich schweige darüber,
wie der Unglückliche endete. Er endete sehr schnell. Mit mehreren Freunden war
ich inzwischen in die Sitzung des Reichstags gegangen, der sich, freilich in ziem¬
lich geringer Anzahl, zusammengefunden hatte. Es wurden darin die bekannten
Beschlüsse gefaßt, den Ministern Hornbostl und Dobblhoi versichert, daß sie ehr¬
liche Männer seien, eine Deputation an den Kaiser abgefertigt n. s. w. Ich werde
später manches Interessante über den Wiener Reichstag zu erzählen haben; am
K. October gingen zum ersten Male alle Anträge ohne Opposition durch. Rechte,
Linke und Centrum waren eine Dreieinigkeit geworden, Löhner schüttelte seinen
größten parlamentarischen Feinden die Hände und die liebenswürdigen Abgeord¬
neten aus Galizien und den fabelhaften Ländern der Bukowina und Herzegowina
machten noch größere Augen, als gewöhnlich.

Der Reichstag hatte sich auf eine halbe Stunde vertagt; ich wandelte mit
einem Freund über die in ein Feldlager verwandelte Bastei nach dein Kärnthner-
thore. Vor diesem begegneten uns große Haufen von Nationalgarde» aus der
Vorstadt Mieder. Sie trugen auf Bajonetten und Piken kleine Fetzen Tuch und
Leinwand und schienen in höchster Begeisterung zu sein. Was soll das bedeuten?
fragte ich einen bärtigen, etwas zerlumpten Arbeiter. Das sind Stücke von. sei¬
nen Kleidern, lautete die Antwort. Von wessen Kleidern? Nun, Latour; wir
haben ihn gehängt. — Nein, nein, es ist nicht wahr, ist unmöglich! — Was
unmöglich? Sehen Sie, und damit zog er einen rothen Kragen aus der Tasche,
der von Blut noch röther geworden war, hielt ihn uns vor die Augen und steckte
ihn schnell wieder ein, als fürchte er einen Raub des kostbaren Gutes; sehen Sie
diesen Kragen hab' ich ihm selber abgerissen. — Wir glaubten nicht an die Schreck'
liebe That, glaubten sie nicht, trotz hundertfacher Bestätigung, die wir unterwegs
erhielten, als wir nach dem Hof eilten, um uns mit eigenen Augen zu überzeugen.
Aber es war nur zu wahr — da hing der leblose Körper nur mit einem blutge¬
tränkten weise» Laken verhüllt, an der Laterne und um ihn herum tanzte el» mvrd-
beranschter Hause und verübte Thaten an dem Leichnam, welche die Thäter ans
immer aus den Reihen der Menschheit stoßen. Tausende Stande» auf dem Platz
und betrachteten wohlgefällig das Entsetzliche; zur Hälfte waren es Mädchen und
Weiber. Ich vermochte nicht zu bleiben — ich habe Vieles erlebt und Vieles ge¬
sehen, aber was ich da gesehen, ist das Schrecklichste gewesen, verfolgte mich Tage
lang wie ein Gespenst und jagte in gräßlichen Träumen den Schlaf von meinem
Lager. Von dieser Stunde an schien mir über ganz Wien ein schwarzer Schleier
gebreitet!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/141>, abgerufen am 22.07.2024.