Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.gleicht, se staunt man über die schlagende Aehnlichkeit, welche die dynastische Auf¬ Während die dynastische Residenz nach Ollmütz verlegt wird, mochten jene den lV. Kuh Wien. Es ist Sonntag d. >5. October, Vormittags acht Uhr, ich setze mich hin, um gleicht, se staunt man über die schlagende Aehnlichkeit, welche die dynastische Auf¬ Während die dynastische Residenz nach Ollmütz verlegt wird, mochten jene den lV. Kuh Wien. Es ist Sonntag d. >5. October, Vormittags acht Uhr, ich setze mich hin, um <TEI> <text> <body> <div> <div n="2"> <pb facs="#f0132" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276888"/> <p xml:id="ID_372" prev="#ID_371"> gleicht, se staunt man über die schlagende Aehnlichkeit, welche die dynastische Auf¬<lb/> fassung der Wiener Ereignisse mit dem slavischen Standpunkt hat. Darum hat sich<lb/> auch Graf Stadion, der offenbar in diplomatischen Zwecken, am U!. Oktober-, in<lb/> Prag eingetroffen ist, dem Inhalt und der Form nach mit der Erklärung der czechischen<lb/> Deputirten einverstanden erklärt. Sieht man die Sache bei Lichte an, so scheint Sta¬<lb/> dion den opponirenden Czechismus, das von der Provinz aus gegen die Hauptstadt<lb/> geschleuderte Veto für die Reaktion so ausbeuten zu wollen, wie es Lazansky nach<lb/> dem 15. Mai im Nationaikomit« versuchte, der damals seine reaktionären Absichten<lb/> unter dem SchaMeide der Swornost versteckte. Gesetzt auch, daß die Wiener Oktober«<lb/> bewegung keine nationale Wurzel hatte, so bekommt sie nachträglich durch die vom<lb/> Reichstage sich lossagenden czechischen Schismatiker in Prag eine nationelle Bedeutung,<lb/> und so wie Reichstagsmitglieder in Wien eine deutsche Deputation an den Kaiser ab¬<lb/> schickten, so senden wieder die Exdeputirten in Prag von czechischer Seite Brauner und<lb/> Heisere ans Hoflager ab.</p><lb/> <p xml:id="ID_373"> Während die dynastische Residenz nach Ollmütz verlegt wird, mochten jene den<lb/> Reichstag gern nach Brünn verlegen, wo sie die Majorität des Volkes hinter sich hät¬<lb/> ten, mit ungehemmter Zuversicht tagen, und zugleich das aufgelockerte Band zwischen<lb/> Böhmen und Mähren fester knüpfen könnten. Die Dynastie und die czechischen Depu¬<lb/> taten kommen darin überein, daß sie einen festen Puukt suchen, von dem aus sie die<lb/> Schicksale Oestreichs in dynastischem Sinne einer-, im slavischen Sinne anderseits besser<lb/> lenken könnten. Mögen sie nur nicht später den voreiligen Anschluß an jene Macht<lb/> bereuen, welche den gordischen Knoten der Wiener Wirren mit dem Schwerte der Mi¬<lb/> litärreaction zu zerhauen sich anschickt. Wenn auch Wien in dem Gebrauche der<lb/> freien Errungenschaften, in den Lebensfunktionen der Freiheit nicht sür Oestreich un-<lb/> bedingt maßgebend ist - so ist doch gewiß Wien in dem Verluste der Freiheit gleich<lb/> Oestreich, — ja man kann sagen, daß der Todesstoß auf die östreichische Freiheit nur<lb/><note type="byline"> I. K.</note> in Wien geführt werden kann. </p><lb/> </div> <div n="2"> <head> lV.<lb/> Kuh Wien.</head><lb/> <p xml:id="ID_374" next="#ID_375"> Es ist Sonntag d. >5. October, Vormittags acht Uhr, ich setze mich hin, um<lb/> an Sie zu schreiben, muß aber bemerken, daß Sie nur auf eine sehr tumultuarische<lb/> Korrespondenz zu rechnen haben; hoffentlich werden Sie den Mangel an künstlerischer<lb/> Abrundung in Anbetracht der Umstände verzeihen; wenn einem der Stoff in Gestalt<lb/> einer Barrikade ins Fenster wächst, als Sturmgeläute von den Thürmen, als Wirbel<lb/> der Allarmtrommel, als fernes Gewehrfeuer in die Ohren tönt, ist es schwer, die nö¬<lb/> thige Objectivität zu bewahren; mir in «i«-en! ist es unmöglich, wiewohl ich absichtlich<lb/> noch uicht auf die Straße gegangen bin, um so ruhig als möglich zu bleiben. Dicht<lb/> vor meinem Fenster erhebt sich eine stattliche Barrikade, ganz «Wunälim imo» ans den<lb/> viereckigen Würfeln des Wiener Straßenpflasters; davor lagert um ein loderndes Wacht¬<lb/> feuer eine Gruppe bewaffneter Arbeiter, die die Nacht dabei zugebracht haben, und jetzt<lb/> eifrig beschäftigt sind, wie es scheint mit den Vorbereitungen zum Kugelgießen; von<lb/> Zeit zu Zeit höre ich den eintönigen Ruf des Jungen, den sie an dem Durchgänge<lb/> der Barrikade mit einem Teller in der Hand ausgestellt haben, um von den Vorüber¬<lb/> gehenden eine kleine Gabe zu erbitten. „An Kreuzer, meine Herren, für die Arbeiter,<lb/> sür Blei zum Kugelgießen," und dann wieder, wenn er etwas bekommen hat, sein „I<lb/> dank schön" oder „I küß die Hand." Dicht daneben ist ein eleganter junger Mann,<lb/> seinem Aussehen nach ein Literat, mit dem hoffnungslosen Versuche beschäftigt, durch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0132]
gleicht, se staunt man über die schlagende Aehnlichkeit, welche die dynastische Auf¬
fassung der Wiener Ereignisse mit dem slavischen Standpunkt hat. Darum hat sich
auch Graf Stadion, der offenbar in diplomatischen Zwecken, am U!. Oktober-, in
Prag eingetroffen ist, dem Inhalt und der Form nach mit der Erklärung der czechischen
Deputirten einverstanden erklärt. Sieht man die Sache bei Lichte an, so scheint Sta¬
dion den opponirenden Czechismus, das von der Provinz aus gegen die Hauptstadt
geschleuderte Veto für die Reaktion so ausbeuten zu wollen, wie es Lazansky nach
dem 15. Mai im Nationaikomit« versuchte, der damals seine reaktionären Absichten
unter dem SchaMeide der Swornost versteckte. Gesetzt auch, daß die Wiener Oktober«
bewegung keine nationale Wurzel hatte, so bekommt sie nachträglich durch die vom
Reichstage sich lossagenden czechischen Schismatiker in Prag eine nationelle Bedeutung,
und so wie Reichstagsmitglieder in Wien eine deutsche Deputation an den Kaiser ab¬
schickten, so senden wieder die Exdeputirten in Prag von czechischer Seite Brauner und
Heisere ans Hoflager ab.
Während die dynastische Residenz nach Ollmütz verlegt wird, mochten jene den
Reichstag gern nach Brünn verlegen, wo sie die Majorität des Volkes hinter sich hät¬
ten, mit ungehemmter Zuversicht tagen, und zugleich das aufgelockerte Band zwischen
Böhmen und Mähren fester knüpfen könnten. Die Dynastie und die czechischen Depu¬
taten kommen darin überein, daß sie einen festen Puukt suchen, von dem aus sie die
Schicksale Oestreichs in dynastischem Sinne einer-, im slavischen Sinne anderseits besser
lenken könnten. Mögen sie nur nicht später den voreiligen Anschluß an jene Macht
bereuen, welche den gordischen Knoten der Wiener Wirren mit dem Schwerte der Mi¬
litärreaction zu zerhauen sich anschickt. Wenn auch Wien in dem Gebrauche der
freien Errungenschaften, in den Lebensfunktionen der Freiheit nicht sür Oestreich un-
bedingt maßgebend ist - so ist doch gewiß Wien in dem Verluste der Freiheit gleich
Oestreich, — ja man kann sagen, daß der Todesstoß auf die östreichische Freiheit nur
I. K. in Wien geführt werden kann.
lV.
Kuh Wien.
Es ist Sonntag d. >5. October, Vormittags acht Uhr, ich setze mich hin, um
an Sie zu schreiben, muß aber bemerken, daß Sie nur auf eine sehr tumultuarische
Korrespondenz zu rechnen haben; hoffentlich werden Sie den Mangel an künstlerischer
Abrundung in Anbetracht der Umstände verzeihen; wenn einem der Stoff in Gestalt
einer Barrikade ins Fenster wächst, als Sturmgeläute von den Thürmen, als Wirbel
der Allarmtrommel, als fernes Gewehrfeuer in die Ohren tönt, ist es schwer, die nö¬
thige Objectivität zu bewahren; mir in «i«-en! ist es unmöglich, wiewohl ich absichtlich
noch uicht auf die Straße gegangen bin, um so ruhig als möglich zu bleiben. Dicht
vor meinem Fenster erhebt sich eine stattliche Barrikade, ganz «Wunälim imo» ans den
viereckigen Würfeln des Wiener Straßenpflasters; davor lagert um ein loderndes Wacht¬
feuer eine Gruppe bewaffneter Arbeiter, die die Nacht dabei zugebracht haben, und jetzt
eifrig beschäftigt sind, wie es scheint mit den Vorbereitungen zum Kugelgießen; von
Zeit zu Zeit höre ich den eintönigen Ruf des Jungen, den sie an dem Durchgänge
der Barrikade mit einem Teller in der Hand ausgestellt haben, um von den Vorüber¬
gehenden eine kleine Gabe zu erbitten. „An Kreuzer, meine Herren, für die Arbeiter,
sür Blei zum Kugelgießen," und dann wieder, wenn er etwas bekommen hat, sein „I
dank schön" oder „I küß die Hand." Dicht daneben ist ein eleganter junger Mann,
seinem Aussehen nach ein Literat, mit dem hoffnungslosen Versuche beschäftigt, durch
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