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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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tiede reitet ihr das gute Roß, das Volk, das ihr zu euch gelockt habt und treibt
es in die Gewitternacht hinein, ohne Richtung, ohne Ziel, nützen soll's euch, das
allein steht fest; und wenn ihr es mit der Zunge zum Gallop reizt, so setzen eure
eigenen Worte euch selbst in Eifer und Wuth, immer toller wird euer Zuruf,
immer wilder die Sprünge des Gauls, bis ihr mit einander in den lauernden
Abgrund stürzt. Wäre es nicht so trostlos, es wäre sehr ergötzlich die Tages¬
empfindungen eines solchen Gassenhänptlings wie du bist zu zergliedern. Am Mor¬
gen bis zehn Uhr Nüchternheit, persönliche Furcht, Bedenken; um zehn Uhr die
erste Nachricht von einer neuen Verschwörung der Scheusale Dobblhos, Jellachich,
Windischgrätz und Radetzky, welche beschlossen haben, alle freien Männer an den
Nasenlöchern aufzuhängen. Von it bis 12 libr Fabrikation der betreffenden Pla¬
kate, Nachmittag Besichtigung der Stadt, des Glacis und der Leopoldstadt, tiefere
Ausbildung der socialen Reformpläne nach Beobachtung eines dicken reichen Herrn,
Verstärkung des Hasses gegen die Camanlla durch argwöhnische Beobachtung einer
alten Dame mit einem Bedienten. Zum Abend große That, Aufstachlung der
berufenen Versammlung in folgender Ordnung: das Ministerium verräth die Frei¬
heit, die Reichen verrathen die Armuth, das Ministerium muß fort, die Reichen
müssen fort, wir müssen regieren, wir müssen reich werden. Das wird beschlossen,
der Abend endet in fliegender Hitze.----- Aber das ist ein schlechtes Zerrbild
und unsere Demokratie fühlt sich dadurch nicht getroffen, sie hat guten Willen,
ehrliche Liebe und wo es ihr an Urtheil fehlt, ist wenigstens eine Fülle von Kraft
vorhanden. -- Das Zerrbild paßt doch, meine Herren. Die demokratische Partei
unserer Stadt enthält viele brave Leute, treuherzige Männer anch unter denen,
welche die active Rolle in unseren Clubs spielen, aber sie ist ganz auf
demselben Wege, den der vorgeführte Schelm geht. Und ich behaupte ernst
und traurig, in ganz Wien sind nicht zehn Männer, welche wissen, was
Demokratie bedeutet, welche im Stande sind zu sagen: Demokratie will nicht
Souveränität des Volkes, weil diese vorläufig baarer Unsinn ist, sondern Orga¬
nisation des Volkes durch Selbstregiinent. Merkt auf, an dem Tage, wo wir
die Einsicht erwerben, daß die ganze Souveränitätsfrage nichts als ein Ueberrest
mittelalterlicher Romantik, geistiger Unklarheit ist, daß däs Volk eben so wenig
souverän sein könne, als der Kaiser, oder ein Reichstag, oder ein Haufe von Pa¬
trioten im Prater, an dem Tage wollen wir ein Freudenfeuer anzünden und den
ganzen Wust von Plataeer/ Tageblättern und Adressen fröhlich und gesichert ver¬
brennen. Bis dahin mögt ihr ohne Gefahr unsere Demokraten für falsche Apostel
und unfreundliche Betrüger ansehen und eine Zeit beklagen, in welcher politische
Schülerhaftigkeit das Regiment führt. Ein sauberes Regiment! Der gegenwärtige
Zustand Wiens ist wahrhaft verzweifelt, nicht weil er trostlos aussieht, im Gegen¬
theil wir haben unendlichen Muth und unermeßliche Hoffnung die Welt zu retten,
sondern deshalb, weil wir noch nicht recht wissen, wie wir sie retten werden.


tiede reitet ihr das gute Roß, das Volk, das ihr zu euch gelockt habt und treibt
es in die Gewitternacht hinein, ohne Richtung, ohne Ziel, nützen soll's euch, das
allein steht fest; und wenn ihr es mit der Zunge zum Gallop reizt, so setzen eure
eigenen Worte euch selbst in Eifer und Wuth, immer toller wird euer Zuruf,
immer wilder die Sprünge des Gauls, bis ihr mit einander in den lauernden
Abgrund stürzt. Wäre es nicht so trostlos, es wäre sehr ergötzlich die Tages¬
empfindungen eines solchen Gassenhänptlings wie du bist zu zergliedern. Am Mor¬
gen bis zehn Uhr Nüchternheit, persönliche Furcht, Bedenken; um zehn Uhr die
erste Nachricht von einer neuen Verschwörung der Scheusale Dobblhos, Jellachich,
Windischgrätz und Radetzky, welche beschlossen haben, alle freien Männer an den
Nasenlöchern aufzuhängen. Von it bis 12 libr Fabrikation der betreffenden Pla¬
kate, Nachmittag Besichtigung der Stadt, des Glacis und der Leopoldstadt, tiefere
Ausbildung der socialen Reformpläne nach Beobachtung eines dicken reichen Herrn,
Verstärkung des Hasses gegen die Camanlla durch argwöhnische Beobachtung einer
alten Dame mit einem Bedienten. Zum Abend große That, Aufstachlung der
berufenen Versammlung in folgender Ordnung: das Ministerium verräth die Frei¬
heit, die Reichen verrathen die Armuth, das Ministerium muß fort, die Reichen
müssen fort, wir müssen regieren, wir müssen reich werden. Das wird beschlossen,
der Abend endet in fliegender Hitze.----- Aber das ist ein schlechtes Zerrbild
und unsere Demokratie fühlt sich dadurch nicht getroffen, sie hat guten Willen,
ehrliche Liebe und wo es ihr an Urtheil fehlt, ist wenigstens eine Fülle von Kraft
vorhanden. — Das Zerrbild paßt doch, meine Herren. Die demokratische Partei
unserer Stadt enthält viele brave Leute, treuherzige Männer anch unter denen,
welche die active Rolle in unseren Clubs spielen, aber sie ist ganz auf
demselben Wege, den der vorgeführte Schelm geht. Und ich behaupte ernst
und traurig, in ganz Wien sind nicht zehn Männer, welche wissen, was
Demokratie bedeutet, welche im Stande sind zu sagen: Demokratie will nicht
Souveränität des Volkes, weil diese vorläufig baarer Unsinn ist, sondern Orga¬
nisation des Volkes durch Selbstregiinent. Merkt auf, an dem Tage, wo wir
die Einsicht erwerben, daß die ganze Souveränitätsfrage nichts als ein Ueberrest
mittelalterlicher Romantik, geistiger Unklarheit ist, daß däs Volk eben so wenig
souverän sein könne, als der Kaiser, oder ein Reichstag, oder ein Haufe von Pa¬
trioten im Prater, an dem Tage wollen wir ein Freudenfeuer anzünden und den
ganzen Wust von Plataeer/ Tageblättern und Adressen fröhlich und gesichert ver¬
brennen. Bis dahin mögt ihr ohne Gefahr unsere Demokraten für falsche Apostel
und unfreundliche Betrüger ansehen und eine Zeit beklagen, in welcher politische
Schülerhaftigkeit das Regiment führt. Ein sauberes Regiment! Der gegenwärtige
Zustand Wiens ist wahrhaft verzweifelt, nicht weil er trostlos aussieht, im Gegen¬
theil wir haben unendlichen Muth und unermeßliche Hoffnung die Welt zu retten,
sondern deshalb, weil wir noch nicht recht wissen, wie wir sie retten werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/12>, abgerufen am 03.07.2024.