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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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wir gegen die Rechte, wenn sie sich zur Vehikel der ultramontanen Partei her¬
gibt, worin freilich die äußerste Linke redlich mit ihr wetteifert. Die richtige
Partei ist also diejenige, welche mit der Rechten die Anarchie, mit der Linken
das Privilegium bekämpft. Eine solche Partei -- nicht etwa das linke Centrum,
dieser widerliche Abklatsch des Radikalismus in Glacehandschuhen -- findet sich in
der Regel in der Majorität. Die Abstimmung erfolgt in den meisten Fällen ---
einzelne Ausbrüche der Leidenschaft abgerechnet -- in dem richtigen Sinne, und
dieses Hervortreten einer vernünftigen Mitte entschädigt durch seinen moralischen
Eindruck für das Schwankende in der Stellung des Parlaments, wenn wir seine
gesetzliche Begründung ins Auge fassen.

Aber nicht für die Dauer! Sie muß aus ihrer Unklarheit jetzt heraustreten.
Die Entscheidung der östreichischen Verhältnisse treibt sie dazu. Die Linke hat
Recht gehabt, ihre Abgeordneten mit Glückwünschen nach Wien zu entsenden, denn
es ist ihre Sache, die dort für den Augenblick den Sieg erfocht -- die Anarchie!
Aber sie hat sich damit zugleich dccouvrirt. Der Aufstand in Wien war nicht
blos gegen die sogenannte Reaction, gegen den Kaiser gerichtet; er war gegen
die Majorität des Reichstags. Die Horden, welche in Frankfurt mit kleiner An¬
strengung besiegt wurden, behaupteten in Wien unter günstigen Umständen den Platz.
Der Reichstag wird gesprengt, der Kaiser zur Flucht gezwungen -- denn wo
kannibalische Auftritte, wie der greuelvolle Mord Latour's, von der Masse gebil¬
ligt worden, wo ähnliche Scenen jeden Angenblick sich erneuen, da Hort das Ge¬
setz auf und die Gewalt muß spreche". Bald werden die Wiener Radikalen sel¬
ber sich entsetzen über den Geist, den sie heraufbeschworen, und der sich nicht
mehr wird bannen lassen. Wie wenig sie sich über ihr eignes Unternehmen klar
sind, zeigt die von Borrvsch verfaßte Adresse an den Kaiser. Das Rumpfpar¬
lament wünscht darin das Zusammentreten eines Nationalcongresses der östreichi¬
schen Völker zur Ausgleichung der nationalen Differenzen, fügt aber hinzu, daß
es das keineswegs so verstanden wissen wolle, als ob durch diesen gesetzlichen Weg
z. B. Ungarn "uf eine ähnliche Weise, wie früher durch militärische Mittel, dem
Kaiserstaat erhalten werden dürfe. Das heißt also, wenn die Majorität des Con-
gresses sich für Aufrechthaltung des Kaiserstaates aussprechen solle, so dürfe das
eben so wenig Geltung haben, als die Beschlüsse des gegenwärtigen "Slavischen"
Reichstags. Das ist die radikale Logik dieser Freiheitsköche, das ihre "Volks-
souveränität"! Sie haben die Volkssouveränität des Wiener Proletariats spre¬
chen lassen, die Volkssouveränität der kroatischen Säbel wird ihnen antworten.
Ein entsetzlicher Ausgang, mich welcher Seite hin anch die Wagschale der Entschei¬
dung fallen möge! Aber ein unvermeidlicher Ausgang, wenn man die Stimme
des Gesetzes zum Schweigen bringt, und in der Ungeduld, seine Zwecke zu rea-
lisiren, an die Souveränität der Fäuste appellirt! Die Verwicklung ist jetzt so


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wir gegen die Rechte, wenn sie sich zur Vehikel der ultramontanen Partei her¬
gibt, worin freilich die äußerste Linke redlich mit ihr wetteifert. Die richtige
Partei ist also diejenige, welche mit der Rechten die Anarchie, mit der Linken
das Privilegium bekämpft. Eine solche Partei — nicht etwa das linke Centrum,
dieser widerliche Abklatsch des Radikalismus in Glacehandschuhen — findet sich in
der Regel in der Majorität. Die Abstimmung erfolgt in den meisten Fällen —-
einzelne Ausbrüche der Leidenschaft abgerechnet — in dem richtigen Sinne, und
dieses Hervortreten einer vernünftigen Mitte entschädigt durch seinen moralischen
Eindruck für das Schwankende in der Stellung des Parlaments, wenn wir seine
gesetzliche Begründung ins Auge fassen.

Aber nicht für die Dauer! Sie muß aus ihrer Unklarheit jetzt heraustreten.
Die Entscheidung der östreichischen Verhältnisse treibt sie dazu. Die Linke hat
Recht gehabt, ihre Abgeordneten mit Glückwünschen nach Wien zu entsenden, denn
es ist ihre Sache, die dort für den Augenblick den Sieg erfocht — die Anarchie!
Aber sie hat sich damit zugleich dccouvrirt. Der Aufstand in Wien war nicht
blos gegen die sogenannte Reaction, gegen den Kaiser gerichtet; er war gegen
die Majorität des Reichstags. Die Horden, welche in Frankfurt mit kleiner An¬
strengung besiegt wurden, behaupteten in Wien unter günstigen Umständen den Platz.
Der Reichstag wird gesprengt, der Kaiser zur Flucht gezwungen — denn wo
kannibalische Auftritte, wie der greuelvolle Mord Latour's, von der Masse gebil¬
ligt worden, wo ähnliche Scenen jeden Angenblick sich erneuen, da Hort das Ge¬
setz auf und die Gewalt muß spreche». Bald werden die Wiener Radikalen sel¬
ber sich entsetzen über den Geist, den sie heraufbeschworen, und der sich nicht
mehr wird bannen lassen. Wie wenig sie sich über ihr eignes Unternehmen klar
sind, zeigt die von Borrvsch verfaßte Adresse an den Kaiser. Das Rumpfpar¬
lament wünscht darin das Zusammentreten eines Nationalcongresses der östreichi¬
schen Völker zur Ausgleichung der nationalen Differenzen, fügt aber hinzu, daß
es das keineswegs so verstanden wissen wolle, als ob durch diesen gesetzlichen Weg
z. B. Ungarn «uf eine ähnliche Weise, wie früher durch militärische Mittel, dem
Kaiserstaat erhalten werden dürfe. Das heißt also, wenn die Majorität des Con-
gresses sich für Aufrechthaltung des Kaiserstaates aussprechen solle, so dürfe das
eben so wenig Geltung haben, als die Beschlüsse des gegenwärtigen „Slavischen"
Reichstags. Das ist die radikale Logik dieser Freiheitsköche, das ihre „Volks-
souveränität"! Sie haben die Volkssouveränität des Wiener Proletariats spre¬
chen lassen, die Volkssouveränität der kroatischen Säbel wird ihnen antworten.
Ein entsetzlicher Ausgang, mich welcher Seite hin anch die Wagschale der Entschei¬
dung fallen möge! Aber ein unvermeidlicher Ausgang, wenn man die Stimme
des Gesetzes zum Schweigen bringt, und in der Ungeduld, seine Zwecke zu rea-
lisiren, an die Souveränität der Fäuste appellirt! Die Verwicklung ist jetzt so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/115>, abgerufen am 26.12.2024.