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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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solche Genossenschaft ihnen selbst sehr unbequem werden, und sie werden mit Recht
schnell genug darauf dringen, daß der Staat ihre Pflichten übernehme. Und da
hier überall die Nothwendigkeit fühlbar werden muß, daß der Staat selbst ein¬
greife, so wird der Dirigent des Bezirks ein Staatsbeamter sein müssen. In ihm
erhalten die kleineren Bildungen des Völkerlebens, Communen und Kreise einen
bestimmten Abschluß und feste Verbindung mit dem Staat. Sein Amt wird sein
das Leben der Communen und Kreise so weit zu überwachen, als der Staat
dazu gesetzlich berechtigt ist. Er wird durch öftere Reisen und Beobachtung des
Details mit den Verhältnissen seines Bezirks genau vertraut werden, wird in
Landespolizeisachen die vorgesetzte Behörde der Kreis- und Gemeindedirigenten
sein, wird die Oberaufsicht über Straßen, Staatsgebäude und Staatsinstitute des
Bezirks haben, wird das Organ werden, durch welches die Bezirksinteresseu ihre
Anerkennung im Staatshaushalt finden; wird in regelmäßig wiederkehrenden Con-
ferenzen mit den Bezirksvorständen zusammentreten und wird bei Streitigkeiten der
Gemeinden mit ihrem Kreise, oder der Kreise untereinander, falls diese nicht durch
em freies Schiedsgericht erledigt werden, den Obmann und Richter abgeben.

Bei solcher Organisation wird das Volk freie Selbstbestimmung in Gemeinden
und Kreisen und seiner Nationalversammlung erhalten und eine starke Executiv-
gewalt durch das Staatsministerium und die von ihm abhängigen Dirigenten der
Bezirke durchsetzen. Die Völker errichten jetzt den Bau ihres neuen Staates,
möge keiner der deutschen Stämme vergessen, daß Freiheit des Ganzen nur mög¬
lich wird, Unterordnung des Einzelnen unter die Interessen der Gesammtheit.




Was hier angedeutet wurde, wird in manchen Staaten ziemlich radikal, in
Preußen sehr gemäßigt klingen. Von den deutscheu Staaten ist Oestreich in der
Organisation seines Volkslebens am meisten zurück, Sachsen besitzt eine gute Ver¬
fassung der Landgemeinden, eine schlechte in seinen Städten; in Preußen ist um¬
gekehrt die Verfassung der Landgemeinden in allen Theilen der Monarchie, welche
die alte und revidirte Städteordnung erhalten haben, hinter der Bildung der
Stadtcommunen zurückgeblieben. Der ministerielle Entwurf einer Gemeindeordnung,
welcher der Nationalversammlung zu Berlin vorgelegt ist, beabsichtigt eine gleich¬
mäßige Umgestaltung der Communalverhältnisse von Stadt und Land. Gleichen
Zweck hat ein Opposttionsentwurf, der von sechs Deputirten der Linken in Berlin
eingereicht wurde. Ueber beide einige Worte.

Beide Entwürfe einer Communalverfassung zeigen hie und da Mangel an
Gründlichkeit, Mißtrauen und einige Herrschsucht sind aus beiden zu lesen. Der
Regieruugsentwurf ist aber bei weitem verständiger und praktischer, als die Oppo-
sitionsforderung, welche leider beweist, wie leichtsinnig und kurzsichtig diese Partei
zur Zeit noch die Politik betreibt.


solche Genossenschaft ihnen selbst sehr unbequem werden, und sie werden mit Recht
schnell genug darauf dringen, daß der Staat ihre Pflichten übernehme. Und da
hier überall die Nothwendigkeit fühlbar werden muß, daß der Staat selbst ein¬
greife, so wird der Dirigent des Bezirks ein Staatsbeamter sein müssen. In ihm
erhalten die kleineren Bildungen des Völkerlebens, Communen und Kreise einen
bestimmten Abschluß und feste Verbindung mit dem Staat. Sein Amt wird sein
das Leben der Communen und Kreise so weit zu überwachen, als der Staat
dazu gesetzlich berechtigt ist. Er wird durch öftere Reisen und Beobachtung des
Details mit den Verhältnissen seines Bezirks genau vertraut werden, wird in
Landespolizeisachen die vorgesetzte Behörde der Kreis- und Gemeindedirigenten
sein, wird die Oberaufsicht über Straßen, Staatsgebäude und Staatsinstitute des
Bezirks haben, wird das Organ werden, durch welches die Bezirksinteresseu ihre
Anerkennung im Staatshaushalt finden; wird in regelmäßig wiederkehrenden Con-
ferenzen mit den Bezirksvorständen zusammentreten und wird bei Streitigkeiten der
Gemeinden mit ihrem Kreise, oder der Kreise untereinander, falls diese nicht durch
em freies Schiedsgericht erledigt werden, den Obmann und Richter abgeben.

Bei solcher Organisation wird das Volk freie Selbstbestimmung in Gemeinden
und Kreisen und seiner Nationalversammlung erhalten und eine starke Executiv-
gewalt durch das Staatsministerium und die von ihm abhängigen Dirigenten der
Bezirke durchsetzen. Die Völker errichten jetzt den Bau ihres neuen Staates,
möge keiner der deutschen Stämme vergessen, daß Freiheit des Ganzen nur mög¬
lich wird, Unterordnung des Einzelnen unter die Interessen der Gesammtheit.




Was hier angedeutet wurde, wird in manchen Staaten ziemlich radikal, in
Preußen sehr gemäßigt klingen. Von den deutscheu Staaten ist Oestreich in der
Organisation seines Volkslebens am meisten zurück, Sachsen besitzt eine gute Ver¬
fassung der Landgemeinden, eine schlechte in seinen Städten; in Preußen ist um¬
gekehrt die Verfassung der Landgemeinden in allen Theilen der Monarchie, welche
die alte und revidirte Städteordnung erhalten haben, hinter der Bildung der
Stadtcommunen zurückgeblieben. Der ministerielle Entwurf einer Gemeindeordnung,
welcher der Nationalversammlung zu Berlin vorgelegt ist, beabsichtigt eine gleich¬
mäßige Umgestaltung der Communalverhältnisse von Stadt und Land. Gleichen
Zweck hat ein Opposttionsentwurf, der von sechs Deputirten der Linken in Berlin
eingereicht wurde. Ueber beide einige Worte.

Beide Entwürfe einer Communalverfassung zeigen hie und da Mangel an
Gründlichkeit, Mißtrauen und einige Herrschsucht sind aus beiden zu lesen. Der
Regieruugsentwurf ist aber bei weitem verständiger und praktischer, als die Oppo-
sitionsforderung, welche leider beweist, wie leichtsinnig und kurzsichtig diese Partei
zur Zeit noch die Politik betreibt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/100>, abgerufen am 01.10.2024.