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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Schlendrian, Korruption und Jesuitismus haben alle Säfte des großen Orga¬
nismus vergiftet. Das Volk besitzt unverwüstliche Anlagen und seine gesunde
Natur hat sich tapfer gegen den tückischen Peststoff gewehrt, der ihm planmäßig
eingeimpft wurde, aber geheilt ist der Schaden noch lange nicht. Mit der besten
Konstitution von der Welt bringt man eine solche Cur nicht über Nacht zu Stande.

Das "Perthalerthum" aber, welches die oben erwähnte Broschüre geißelt,
scheint für diese Nöthen kein Auge zu haben; es jubelt, es schwärmt und hat den
Messias schon gefunden im "östreichisch-kaiserlichen Bewußtsein;" in einer Bewußt¬
losigkeit, die nur geeignet wäre, Oestreich von Neuem dem deutschen Nationalgeist
zu entfremden, die Völker von der einzigen Heilquelle abzuwenden, aus der sie
Genesung schöpfen können. Erst wenn Oestreich einige Jahre lang innig und
unmittelbar mit dem ehemaligen "Ausland" verbrüdert ist, wird es gewahr
werden, wie viel es dem Anschluß an Deutschland zu verdanken und wessen Hilfe
es nöthig haben wird, um die Schätze in seinem eigenen Innern zu heben.




Eine klare und augenscheinlich getreue Schilderung des Mailänder Aufstandes
liefert die Times. Ihr Korrespondent ist ein Tourist, der mancher Herren Länder
im Sturme und vieler Städte Barrikaden gesehen hat. Er beurtheilt den "Job"
mit Sachkunde und Unparteilichkeit, ist voll froher Begeisterung für die "freie
und jetzt unsterbliche Großstadt (alt^)" Milano, ohne ungerechten Schimpf auf die
östreichischen Waffen zu werfen. Die volle Schuld am Ausbruch wie am Aus-
gang des Kampfes trägt das Wiener Cabinet. Hierin hatten wir recht vermuthet.
Den Mailändern ward keine officielle Kunde vom Sturze Metternich's, Nichts als
eine unbestimmte Zusage künftiger Reformen. Man zeigte also Schwäche und
flößte kein Vertrauen ein. Feldmarschall Radetzky sollte andererseits die Grenzen
seiner Vollmacht selbst bestimmen. Seine frühern Jnstructionen wurden nicht wi-
derrufen, während die Ungewißheit über den Gang der Wiener Revolution seine
Thatkraft lähmte. Die Herren in Wien wollten's eben darauf ankommen lassen.
Das Schießen in Mailand konnte ja der gute Kaiser in seiner Hofburg nicht hören!

Vor dem Rathhause in Mailand feuerten einige Soldaten auf eigene Faust --
nach altem Styl -- unter die Volkshaufen, welche über die verweigerte Bürger¬
bewaffnung murrten Dies Murren war freilich Rebellion -- nach der alten Zeit¬
rechnung. Woher sollten die Soldaten in Mailand wissen, wie viel es geschlagen
hatte? Wußten es doch die Herren in Wien selber nicht.. . So begann der
Aufruhr und Radetzky beging den ersten Fehler: er verachtete den Feind und
glaubte, durch einige Compagnien die Straßen vom "feigen italienischen Gesindel"
säubern zu können. Aber die paar Compagnien wurden geworfen, Barrikaden
stiegen aus der Erde und rückten, wie der Schild der Tunnelarbeiter unter der
Themse, immer weiter vor, die Soldaten immer weiter vor sich herschiebend. Nach


Schlendrian, Korruption und Jesuitismus haben alle Säfte des großen Orga¬
nismus vergiftet. Das Volk besitzt unverwüstliche Anlagen und seine gesunde
Natur hat sich tapfer gegen den tückischen Peststoff gewehrt, der ihm planmäßig
eingeimpft wurde, aber geheilt ist der Schaden noch lange nicht. Mit der besten
Konstitution von der Welt bringt man eine solche Cur nicht über Nacht zu Stande.

Das „Perthalerthum" aber, welches die oben erwähnte Broschüre geißelt,
scheint für diese Nöthen kein Auge zu haben; es jubelt, es schwärmt und hat den
Messias schon gefunden im „östreichisch-kaiserlichen Bewußtsein;" in einer Bewußt¬
losigkeit, die nur geeignet wäre, Oestreich von Neuem dem deutschen Nationalgeist
zu entfremden, die Völker von der einzigen Heilquelle abzuwenden, aus der sie
Genesung schöpfen können. Erst wenn Oestreich einige Jahre lang innig und
unmittelbar mit dem ehemaligen „Ausland" verbrüdert ist, wird es gewahr
werden, wie viel es dem Anschluß an Deutschland zu verdanken und wessen Hilfe
es nöthig haben wird, um die Schätze in seinem eigenen Innern zu heben.




Eine klare und augenscheinlich getreue Schilderung des Mailänder Aufstandes
liefert die Times. Ihr Korrespondent ist ein Tourist, der mancher Herren Länder
im Sturme und vieler Städte Barrikaden gesehen hat. Er beurtheilt den „Job"
mit Sachkunde und Unparteilichkeit, ist voll froher Begeisterung für die „freie
und jetzt unsterbliche Großstadt (alt^)" Milano, ohne ungerechten Schimpf auf die
östreichischen Waffen zu werfen. Die volle Schuld am Ausbruch wie am Aus-
gang des Kampfes trägt das Wiener Cabinet. Hierin hatten wir recht vermuthet.
Den Mailändern ward keine officielle Kunde vom Sturze Metternich's, Nichts als
eine unbestimmte Zusage künftiger Reformen. Man zeigte also Schwäche und
flößte kein Vertrauen ein. Feldmarschall Radetzky sollte andererseits die Grenzen
seiner Vollmacht selbst bestimmen. Seine frühern Jnstructionen wurden nicht wi-
derrufen, während die Ungewißheit über den Gang der Wiener Revolution seine
Thatkraft lähmte. Die Herren in Wien wollten's eben darauf ankommen lassen.
Das Schießen in Mailand konnte ja der gute Kaiser in seiner Hofburg nicht hören!

Vor dem Rathhause in Mailand feuerten einige Soldaten auf eigene Faust —
nach altem Styl — unter die Volkshaufen, welche über die verweigerte Bürger¬
bewaffnung murrten Dies Murren war freilich Rebellion — nach der alten Zeit¬
rechnung. Woher sollten die Soldaten in Mailand wissen, wie viel es geschlagen
hatte? Wußten es doch die Herren in Wien selber nicht.. . So begann der
Aufruhr und Radetzky beging den ersten Fehler: er verachtete den Feind und
glaubte, durch einige Compagnien die Straßen vom „feigen italienischen Gesindel"
säubern zu können. Aber die paar Compagnien wurden geworfen, Barrikaden
stiegen aus der Erde und rückten, wie der Schild der Tunnelarbeiter unter der
Themse, immer weiter vor, die Soldaten immer weiter vor sich herschiebend. Nach


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[0082] Schlendrian, Korruption und Jesuitismus haben alle Säfte des großen Orga¬ nismus vergiftet. Das Volk besitzt unverwüstliche Anlagen und seine gesunde Natur hat sich tapfer gegen den tückischen Peststoff gewehrt, der ihm planmäßig eingeimpft wurde, aber geheilt ist der Schaden noch lange nicht. Mit der besten Konstitution von der Welt bringt man eine solche Cur nicht über Nacht zu Stande. Das „Perthalerthum" aber, welches die oben erwähnte Broschüre geißelt, scheint für diese Nöthen kein Auge zu haben; es jubelt, es schwärmt und hat den Messias schon gefunden im „östreichisch-kaiserlichen Bewußtsein;" in einer Bewußt¬ losigkeit, die nur geeignet wäre, Oestreich von Neuem dem deutschen Nationalgeist zu entfremden, die Völker von der einzigen Heilquelle abzuwenden, aus der sie Genesung schöpfen können. Erst wenn Oestreich einige Jahre lang innig und unmittelbar mit dem ehemaligen „Ausland" verbrüdert ist, wird es gewahr werden, wie viel es dem Anschluß an Deutschland zu verdanken und wessen Hilfe es nöthig haben wird, um die Schätze in seinem eigenen Innern zu heben. Eine klare und augenscheinlich getreue Schilderung des Mailänder Aufstandes liefert die Times. Ihr Korrespondent ist ein Tourist, der mancher Herren Länder im Sturme und vieler Städte Barrikaden gesehen hat. Er beurtheilt den „Job" mit Sachkunde und Unparteilichkeit, ist voll froher Begeisterung für die „freie und jetzt unsterbliche Großstadt (alt^)" Milano, ohne ungerechten Schimpf auf die östreichischen Waffen zu werfen. Die volle Schuld am Ausbruch wie am Aus- gang des Kampfes trägt das Wiener Cabinet. Hierin hatten wir recht vermuthet. Den Mailändern ward keine officielle Kunde vom Sturze Metternich's, Nichts als eine unbestimmte Zusage künftiger Reformen. Man zeigte also Schwäche und flößte kein Vertrauen ein. Feldmarschall Radetzky sollte andererseits die Grenzen seiner Vollmacht selbst bestimmen. Seine frühern Jnstructionen wurden nicht wi- derrufen, während die Ungewißheit über den Gang der Wiener Revolution seine Thatkraft lähmte. Die Herren in Wien wollten's eben darauf ankommen lassen. Das Schießen in Mailand konnte ja der gute Kaiser in seiner Hofburg nicht hören! Vor dem Rathhause in Mailand feuerten einige Soldaten auf eigene Faust — nach altem Styl — unter die Volkshaufen, welche über die verweigerte Bürger¬ bewaffnung murrten Dies Murren war freilich Rebellion — nach der alten Zeit¬ rechnung. Woher sollten die Soldaten in Mailand wissen, wie viel es geschlagen hatte? Wußten es doch die Herren in Wien selber nicht.. . So begann der Aufruhr und Radetzky beging den ersten Fehler: er verachtete den Feind und glaubte, durch einige Compagnien die Straßen vom „feigen italienischen Gesindel" säubern zu können. Aber die paar Compagnien wurden geworfen, Barrikaden stiegen aus der Erde und rückten, wie der Schild der Tunnelarbeiter unter der Themse, immer weiter vor, die Soldaten immer weiter vor sich herschiebend. Nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/82>, abgerufen am 22.07.2024.