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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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tagen gestürzt. Ob das Haus Hohenzollem die Posenschen Polen, ob das Haus
Lothringen die galizischen Polen zu seinen Unterthanen zählt, das soll uns ganz
und gar nicht kümmern, denn wir selber haben aufgehört, Unterthanen zu sein,
und der alte Diensteifer, unsern Herren so viel andere Knechte wie möglich zu¬
zuführen, hat keinen Sinn mehr.

Die Frage ist vielmehr einfach die: liegt es im Interesse des preußischen
Volks, daß Posen mit ihm in Einem Staatsverbande stehe? und eben so in
Galizien.

Die Antwort ergibt sich leicht: es liegt in unserem Interesse, so rasch wie möglich
die polnischen Provinzen loszuwerden. Es liegt in unserem Interesse, auch wenn
kein polnisches Reich entstehen sollte. Ich will noch weiter gehen, obgleich ich ein¬
sehe, daß das eine schauderhafte Ketzerei ist: es liegt in unserem Interesse, auch
wenn sie an Rußland fallen sollten.

Der Grund ist klar. Die Polen wollen nicht Deutsche werden, und sie haben
Ausdauer genug, diesen Willen noch Jahrhunderte lang festzuhalten. So lange
Posen eine preußische Provinz bleibt, ist sie ein Krebsschaden in unserem eigenen
Fleisch. Sie werden direct oder indirect sich gegen den Staat auflehnen, möge
dieser eine Verfassung haben, welche er wolle. Man denke an die Verschwörung
von 1846. Wir haben die Insurgenten jetzt frei gegeben, aus Sympathien; aber
ist das ein normaler Zustand? Sollen wir fortwährend damit zu thun haben,
Amnestien zu ertheilen?

Unser Interesse erheischt es, die polnisch gesinnten Provinzen unseres Staats
loszulösen, aber es erheischt keineswegs, auf Kosten deutscher Provinzen, oder
auf Kosten eines weitaussehenden, gefährlichen, jedenfalls sehr blutigen Kriegs
die Wiederherstellung des seit 70 Jahren getheilten Polens zu veranlassen.

Es ist ein Wahnsinn, wenn die Polen verlangen, Preußen solle einen Krieg
gegen Rußland anfangen, um die polnische Provinz von Rußland loszureißen.
Dieser Krieg ist einmal ungewiß in seinem Ausgang, sodann jedenfalls gefährlich,
vielleicht verderblich für unsre östlichen Provinzen, er ist endlich störend für unsere
innere politische Entwickelung.

Er wäre aber auch eine Perfidie. Oestreich und Preußen haben die Jncvr-
porirung der russisch-polnischen Provinz nicht nur geschehen lassen, sie haben sie
begünstigt; wenn sie jetzt eine Jnsurrection Hervorriesen, so wäre das ein Friedens¬
bruch, eine Intervention, die wir bei uns nicht dulden wollen, die wir also auch
nirgendwo anders unternehmen sollen.

Die Redensarten "Vormauer gegen Rußland," "Krieg gegen die Barbarei"
u. dergl. sagen gar nichts. Wenn Deutschland sich jetzt wirklich consolidirt, so
braucht es 20 russische Kaiser nicht zu fürchten.


Grcnzbot-n. II. Is4S. 7

tagen gestürzt. Ob das Haus Hohenzollem die Posenschen Polen, ob das Haus
Lothringen die galizischen Polen zu seinen Unterthanen zählt, das soll uns ganz
und gar nicht kümmern, denn wir selber haben aufgehört, Unterthanen zu sein,
und der alte Diensteifer, unsern Herren so viel andere Knechte wie möglich zu¬
zuführen, hat keinen Sinn mehr.

Die Frage ist vielmehr einfach die: liegt es im Interesse des preußischen
Volks, daß Posen mit ihm in Einem Staatsverbande stehe? und eben so in
Galizien.

Die Antwort ergibt sich leicht: es liegt in unserem Interesse, so rasch wie möglich
die polnischen Provinzen loszuwerden. Es liegt in unserem Interesse, auch wenn
kein polnisches Reich entstehen sollte. Ich will noch weiter gehen, obgleich ich ein¬
sehe, daß das eine schauderhafte Ketzerei ist: es liegt in unserem Interesse, auch
wenn sie an Rußland fallen sollten.

Der Grund ist klar. Die Polen wollen nicht Deutsche werden, und sie haben
Ausdauer genug, diesen Willen noch Jahrhunderte lang festzuhalten. So lange
Posen eine preußische Provinz bleibt, ist sie ein Krebsschaden in unserem eigenen
Fleisch. Sie werden direct oder indirect sich gegen den Staat auflehnen, möge
dieser eine Verfassung haben, welche er wolle. Man denke an die Verschwörung
von 1846. Wir haben die Insurgenten jetzt frei gegeben, aus Sympathien; aber
ist das ein normaler Zustand? Sollen wir fortwährend damit zu thun haben,
Amnestien zu ertheilen?

Unser Interesse erheischt es, die polnisch gesinnten Provinzen unseres Staats
loszulösen, aber es erheischt keineswegs, auf Kosten deutscher Provinzen, oder
auf Kosten eines weitaussehenden, gefährlichen, jedenfalls sehr blutigen Kriegs
die Wiederherstellung des seit 70 Jahren getheilten Polens zu veranlassen.

Es ist ein Wahnsinn, wenn die Polen verlangen, Preußen solle einen Krieg
gegen Rußland anfangen, um die polnische Provinz von Rußland loszureißen.
Dieser Krieg ist einmal ungewiß in seinem Ausgang, sodann jedenfalls gefährlich,
vielleicht verderblich für unsre östlichen Provinzen, er ist endlich störend für unsere
innere politische Entwickelung.

Er wäre aber auch eine Perfidie. Oestreich und Preußen haben die Jncvr-
porirung der russisch-polnischen Provinz nicht nur geschehen lassen, sie haben sie
begünstigt; wenn sie jetzt eine Jnsurrection Hervorriesen, so wäre das ein Friedens¬
bruch, eine Intervention, die wir bei uns nicht dulden wollen, die wir also auch
nirgendwo anders unternehmen sollen.

Die Redensarten „Vormauer gegen Rußland," „Krieg gegen die Barbarei"
u. dergl. sagen gar nichts. Wenn Deutschland sich jetzt wirklich consolidirt, so
braucht es 20 russische Kaiser nicht zu fürchten.


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[0059] tagen gestürzt. Ob das Haus Hohenzollem die Posenschen Polen, ob das Haus Lothringen die galizischen Polen zu seinen Unterthanen zählt, das soll uns ganz und gar nicht kümmern, denn wir selber haben aufgehört, Unterthanen zu sein, und der alte Diensteifer, unsern Herren so viel andere Knechte wie möglich zu¬ zuführen, hat keinen Sinn mehr. Die Frage ist vielmehr einfach die: liegt es im Interesse des preußischen Volks, daß Posen mit ihm in Einem Staatsverbande stehe? und eben so in Galizien. Die Antwort ergibt sich leicht: es liegt in unserem Interesse, so rasch wie möglich die polnischen Provinzen loszuwerden. Es liegt in unserem Interesse, auch wenn kein polnisches Reich entstehen sollte. Ich will noch weiter gehen, obgleich ich ein¬ sehe, daß das eine schauderhafte Ketzerei ist: es liegt in unserem Interesse, auch wenn sie an Rußland fallen sollten. Der Grund ist klar. Die Polen wollen nicht Deutsche werden, und sie haben Ausdauer genug, diesen Willen noch Jahrhunderte lang festzuhalten. So lange Posen eine preußische Provinz bleibt, ist sie ein Krebsschaden in unserem eigenen Fleisch. Sie werden direct oder indirect sich gegen den Staat auflehnen, möge dieser eine Verfassung haben, welche er wolle. Man denke an die Verschwörung von 1846. Wir haben die Insurgenten jetzt frei gegeben, aus Sympathien; aber ist das ein normaler Zustand? Sollen wir fortwährend damit zu thun haben, Amnestien zu ertheilen? Unser Interesse erheischt es, die polnisch gesinnten Provinzen unseres Staats loszulösen, aber es erheischt keineswegs, auf Kosten deutscher Provinzen, oder auf Kosten eines weitaussehenden, gefährlichen, jedenfalls sehr blutigen Kriegs die Wiederherstellung des seit 70 Jahren getheilten Polens zu veranlassen. Es ist ein Wahnsinn, wenn die Polen verlangen, Preußen solle einen Krieg gegen Rußland anfangen, um die polnische Provinz von Rußland loszureißen. Dieser Krieg ist einmal ungewiß in seinem Ausgang, sodann jedenfalls gefährlich, vielleicht verderblich für unsre östlichen Provinzen, er ist endlich störend für unsere innere politische Entwickelung. Er wäre aber auch eine Perfidie. Oestreich und Preußen haben die Jncvr- porirung der russisch-polnischen Provinz nicht nur geschehen lassen, sie haben sie begünstigt; wenn sie jetzt eine Jnsurrection Hervorriesen, so wäre das ein Friedens¬ bruch, eine Intervention, die wir bei uns nicht dulden wollen, die wir also auch nirgendwo anders unternehmen sollen. Die Redensarten „Vormauer gegen Rußland," „Krieg gegen die Barbarei" u. dergl. sagen gar nichts. Wenn Deutschland sich jetzt wirklich consolidirt, so braucht es 20 russische Kaiser nicht zu fürchten. Grcnzbot-n. II. Is4S. 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/59>, abgerufen am 23.07.2024.