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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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dunkeln Ausdruck, der ungefähr dasjenige bezeichnet, was man sonst den
gebildeten Mittelstand nannte. Alles Greuliche, was die Phantasie, nur
irgend erträumen kann, wird dieser Kategorie aufgebürdet. Mail höre:
"Von den Negiernugsräthen waren die meisten reine Nullen -- die Bour¬
geoisie ist ja durchweg so beschränkt!" Ferner. "Die Bourgeoisie begrüßte
diese Nachricht mit einem Jubel, dessen nur so ein Bourgeois, ein herzloses,
entartetes Subject fähig ist." Wie ist es möglich, Geschichte zu schreiben,
wenn man den Kopf voll hat von solchen Schreckbildern!
Wir kommen nun auf ein größer angelegtes Werk:

Die Schweiz und ihre Zustände. Neisccrinncningcn von Th. Mügge.
' 3 Bde. Hannover 1847. Kius,

Schon die äußere Form dieser Schrift schließt natürlich alles Syste¬
matische aus. Von einer zu/ammeuhäugendcn politischen Schilderung der
Schweiz und ihrer Zustände ist nicht die Rede; eben so wenig von der
pikanten poetisch-phantastischen Subjectivität, wie sie seit Heine's Reise-
bildern in derartigen Darstellungen Sitte oder Manier war. Die Schilde¬
rung schmeckt weder nach dem statistischen Bureau, noch nach dem jungen
Deutschland. Wir finden uus vielmehr ans bekanntem, naturwüchsigen Bo¬
den. Wer kennt nicht jene Reisebeschreibungen ans den Zeiten Nicolai'ö
und Bertuch's, zopfigen Angedenkens, wenigstens von Hörensagen! Der
Reisebeschreiber kommt in ein Wirthshaus, die Gespräche, werden geschildert,
das Bier, der Kaffee, der Preiscourant; er sieht sich die Stadt an: so
sehen die Hänser aus, so die Kirchen, so pflegeu die Menschen auf der
Straße zugehen; das Straßenpflaster; Bildergallerie; was spricht die Stadt
vom Magistrat? Steuerwesen; wann wurde die Stadt gegründet? kurze
Geschichte; merkwürdige Männer die dort geboren sind; Umgegend; Pvsteu-
ciurichtuug; ewiges gegen den Obscurantismus n. s. w. Damit soll Herrn
Mügge durchaus kein Vorwurf gemacht werden, als ob er auch noch ein
Epigone der Zopfzeit sei; er kann sich rühmen, in dem elegantesten aller
Feuilletonisten, dem Ritter sämmtlicher Fez-Marokkanischen Orden, dem
Freunde des Herzogs v. Montpensier, dem großen Nu,>'"j"ii> do W ?.nit";to,lo,
einen frnchbareu Kollegen und Nebenbuhler zu habe", uur daß der Fran¬
zose sich's überall leichter macht, und aus irgend einem Schnlcompendium
abschreibt, was die deutsche Gründlichkeit sich wenigstens einigermaßen selbst
ansehn zu müssen glaubt. In Saucen ist die pariser Küche freilich pikant.

Die Gastwirthe der Schweiz, ihre Conspiration gegen die Fremden, ihr
schlechter Kaffee und ihre unsubstanticllcn Speisen eröffnen die Scene; dar-


dunkeln Ausdruck, der ungefähr dasjenige bezeichnet, was man sonst den
gebildeten Mittelstand nannte. Alles Greuliche, was die Phantasie, nur
irgend erträumen kann, wird dieser Kategorie aufgebürdet. Mail höre:
„Von den Negiernugsräthen waren die meisten reine Nullen — die Bour¬
geoisie ist ja durchweg so beschränkt!" Ferner. „Die Bourgeoisie begrüßte
diese Nachricht mit einem Jubel, dessen nur so ein Bourgeois, ein herzloses,
entartetes Subject fähig ist." Wie ist es möglich, Geschichte zu schreiben,
wenn man den Kopf voll hat von solchen Schreckbildern!
Wir kommen nun auf ein größer angelegtes Werk:

Die Schweiz und ihre Zustände. Neisccrinncningcn von Th. Mügge.
' 3 Bde. Hannover 1847. Kius,

Schon die äußere Form dieser Schrift schließt natürlich alles Syste¬
matische aus. Von einer zu/ammeuhäugendcn politischen Schilderung der
Schweiz und ihrer Zustände ist nicht die Rede; eben so wenig von der
pikanten poetisch-phantastischen Subjectivität, wie sie seit Heine's Reise-
bildern in derartigen Darstellungen Sitte oder Manier war. Die Schilde¬
rung schmeckt weder nach dem statistischen Bureau, noch nach dem jungen
Deutschland. Wir finden uus vielmehr ans bekanntem, naturwüchsigen Bo¬
den. Wer kennt nicht jene Reisebeschreibungen ans den Zeiten Nicolai'ö
und Bertuch's, zopfigen Angedenkens, wenigstens von Hörensagen! Der
Reisebeschreiber kommt in ein Wirthshaus, die Gespräche, werden geschildert,
das Bier, der Kaffee, der Preiscourant; er sieht sich die Stadt an: so
sehen die Hänser aus, so die Kirchen, so pflegeu die Menschen auf der
Straße zugehen; das Straßenpflaster; Bildergallerie; was spricht die Stadt
vom Magistrat? Steuerwesen; wann wurde die Stadt gegründet? kurze
Geschichte; merkwürdige Männer die dort geboren sind; Umgegend; Pvsteu-
ciurichtuug; ewiges gegen den Obscurantismus n. s. w. Damit soll Herrn
Mügge durchaus kein Vorwurf gemacht werden, als ob er auch noch ein
Epigone der Zopfzeit sei; er kann sich rühmen, in dem elegantesten aller
Feuilletonisten, dem Ritter sämmtlicher Fez-Marokkanischen Orden, dem
Freunde des Herzogs v. Montpensier, dem großen Nu,>'«j»ii> do W ?.nit«;to,lo,
einen frnchbareu Kollegen und Nebenbuhler zu habe», uur daß der Fran¬
zose sich's überall leichter macht, und aus irgend einem Schnlcompendium
abschreibt, was die deutsche Gründlichkeit sich wenigstens einigermaßen selbst
ansehn zu müssen glaubt. In Saucen ist die pariser Küche freilich pikant.

Die Gastwirthe der Schweiz, ihre Conspiration gegen die Fremden, ihr
schlechter Kaffee und ihre unsubstanticllcn Speisen eröffnen die Scene; dar-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/98>, abgerufen am 28.07.2024.