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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Um diesen allein normalen Prozeß rein sich entwickeln zu lassen, hatte
der Verfasser nicht übel Lust, eine chinesische Mauer um die schweizer Berge
aufzurichten, wenn diese Lust nicht durch sein Gewissen paralysirt würde.
Er beschwert sich über die Schweizer, die in Berlin studiren. "Sie möchten
also Ihren jungen Leuten den Besuch unserer Universitäten verbieten?"
"Die Maßregel würde etwas für sich haben, obschon die Freiheit
niemals ungestraft sich selbst untreu wird."

Die historische Skizze voll den schweizer Bewegungen seit 1798 ist sehr
instructiv, und wir erhalten ein anschauliches Bild voll dem politischen Trei¬
ben, welches sich in der mannigfaltigsten Tendenz in diesem kleinen, aber
energischen Gemeinwesen durchkreuzt.

Ans die Anfechtungen der Repräsentativverfassung wollen wir nicht weiter
eingehen, eben so wenig wollen wir rechten mit dem Verf., wenn er die von
einem Ausländer der Schweiz aufgedrungene Verfassung sür die bestmögliche
erklärt, wenn er in Napoleon die Kunst findet, ein freies Gemeinwesen zu
organisiren, wenn er also glaubt, man könne einem Volk die Freiheit schen¬
ken, und wenn er dieses freigelassene Volk der alten Welt als Muster ent¬
gegenstellt.

Als Ziel der neuen Bewegungen in der Schweiz stellt er dar: "Bekäm¬
pfung und allmälige Vernichtung des Nepräsentativsystems, an dessen Stelle
sich die einen neuen Organismus suchende wahre Demokratie zu setzen strebt."
Von diesem Standpunkt ans werden dann mich die verschiedenen Parteien
klassifizirt, und überall ist das Bestreben unverkennbar, in die Verwickelung
individueller, local-politischer Interessen ein allgemeines welthistorisches Mo¬
ment zu legen. Näher spezialisirt wird jene Tendenz durch das Verlangen
einer Berathung aller Gesetze in den Gemeindeversammlungen, einer Jury
und der Wahl der Räthe durch das Volk. Schließlich werden die Züge der
Freischaaren ihren Motiven und ihrem Ausgange nach erklärt.

Jedenfalls wird das Verständniß der schweizer Ereignisse durch diesen
Aufsatz um ein Wesentliches gefördert werden.

Eine Ergänzung findet er in dem folgenden Aufsatz, die Verfassungs¬
änderung im Canton Bern, der zuerst die Verfassung von 1831 dar¬
stellt, dann die Volksbewegung von 1845, die dnrch die Jesuitenfrage und
die Freischaareuzüge angeregt wurde und endlich die Verfassung von 1846.
Hier haben wir das Detail zu jenen allgemeinen Formen. Wenn nur in
diesen politischen Darstellungen nicht immer einzelne, gemachte Kategorien
den gesunden Blick des Politikers verwirrten! Seit L. Blaue werden unsre
Radicalen unablässig durch das Gespenst der Bourgeoisie verfolgt, diesem


Um diesen allein normalen Prozeß rein sich entwickeln zu lassen, hatte
der Verfasser nicht übel Lust, eine chinesische Mauer um die schweizer Berge
aufzurichten, wenn diese Lust nicht durch sein Gewissen paralysirt würde.
Er beschwert sich über die Schweizer, die in Berlin studiren. „Sie möchten
also Ihren jungen Leuten den Besuch unserer Universitäten verbieten?"
„Die Maßregel würde etwas für sich haben, obschon die Freiheit
niemals ungestraft sich selbst untreu wird."

Die historische Skizze voll den schweizer Bewegungen seit 1798 ist sehr
instructiv, und wir erhalten ein anschauliches Bild voll dem politischen Trei¬
ben, welches sich in der mannigfaltigsten Tendenz in diesem kleinen, aber
energischen Gemeinwesen durchkreuzt.

Ans die Anfechtungen der Repräsentativverfassung wollen wir nicht weiter
eingehen, eben so wenig wollen wir rechten mit dem Verf., wenn er die von
einem Ausländer der Schweiz aufgedrungene Verfassung sür die bestmögliche
erklärt, wenn er in Napoleon die Kunst findet, ein freies Gemeinwesen zu
organisiren, wenn er also glaubt, man könne einem Volk die Freiheit schen¬
ken, und wenn er dieses freigelassene Volk der alten Welt als Muster ent¬
gegenstellt.

Als Ziel der neuen Bewegungen in der Schweiz stellt er dar: „Bekäm¬
pfung und allmälige Vernichtung des Nepräsentativsystems, an dessen Stelle
sich die einen neuen Organismus suchende wahre Demokratie zu setzen strebt."
Von diesem Standpunkt ans werden dann mich die verschiedenen Parteien
klassifizirt, und überall ist das Bestreben unverkennbar, in die Verwickelung
individueller, local-politischer Interessen ein allgemeines welthistorisches Mo¬
ment zu legen. Näher spezialisirt wird jene Tendenz durch das Verlangen
einer Berathung aller Gesetze in den Gemeindeversammlungen, einer Jury
und der Wahl der Räthe durch das Volk. Schließlich werden die Züge der
Freischaaren ihren Motiven und ihrem Ausgange nach erklärt.

Jedenfalls wird das Verständniß der schweizer Ereignisse durch diesen
Aufsatz um ein Wesentliches gefördert werden.

Eine Ergänzung findet er in dem folgenden Aufsatz, die Verfassungs¬
änderung im Canton Bern, der zuerst die Verfassung von 1831 dar¬
stellt, dann die Volksbewegung von 1845, die dnrch die Jesuitenfrage und
die Freischaareuzüge angeregt wurde und endlich die Verfassung von 1846.
Hier haben wir das Detail zu jenen allgemeinen Formen. Wenn nur in
diesen politischen Darstellungen nicht immer einzelne, gemachte Kategorien
den gesunden Blick des Politikers verwirrten! Seit L. Blaue werden unsre
Radicalen unablässig durch das Gespenst der Bourgeoisie verfolgt, diesem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/97>, abgerufen am 28.07.2024.