Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

rar achtungswerther wissenschaftlicher Strebungen, als Beförderer jugendlicher oder
Anhaltspunkte suchender Talente zu wirken Pflegte. Ein auch mir flüchtig von
ihm gegebenes Versprechen war hurtiger, als die heiligsten Zusicherungen Ande¬
rer; ja er that nicht selten mehr, als wozu er dem Protegv Hoffnung gemacht
hatte. Von seinem menschenfreundlichen Wirken zur Abhilfe materieller Noth,
so weit seine finanziell nicht außergewöhnlichen Kräfte reichten, wollen wir hier
nicht-näher reden, obwohl mancher hübsche Characterzng in dieser Richtung uns
bekannt wurde. Zählte Sieveking, eifriger Beschützer des "Rauben Hauses," der
Brüder-Anstalt in Horn, für Viele zu den Frommen, so übte er doch auch Werke
echter Frömmigkeit und Menschenliebe, die den irdischen Staub weit überdauern,
ihm über das Grab hinaus ein ehrenvolles Andenken sichern. Das Leben seiner
Schwester, Amalie Sieveking, Vorsteherin und Förderin vieler wohlthätigen An¬
stalten, gehörte fast ausschließlich einem solchen religiös-humanen Wirken seit vie¬
len Jahren an. Endlich haben wir noch Sieveking'S Stellung als Präses unserer
Censur-Commission in Erinnerung zu bringen. Es ist dies die höhere Instanz,
an welche man sich bei einem verweigerten Imprimatur der gewöhnlichen Censo¬
ren zu wenden hat. Ihr Ausspruch ist entscheidend. Sieveking war an diesem
Posten fern von aller Engherzigkeit und ängstlichen Kleinlichkeit. Ucberwiegcnden
Einflüssen, namentlich preußischen und dänischen, mußte er sich freilich fügen. Die
Mauer der Verhältnisse und nachbarlichen Rücksichten konnte anch er nicht mit
der höheren Freisinnigkeit einrennen. Aber wir fürchten, das mildere Censnr-
Princip Hamburgs ist mit Sieveking zu Grabe getragen worden. Möchten wir
uns täuschen! -- Alles in Allem: Deutschland hat einen Ehrenmann, Hamburg
eine schwer zu ersetzende Intelligenz an Karl Sieveking verloren.


III.

Gerüchte über den Tod der Gräfin Görlitz. -- Die Garcia und die Rachel. -- Der
Beschluß des deutschen Bundestages über die Krakauer Frage.

Ganz ungemeines Aussehen hat auch hier, wie Sie sich denken können, der
seltsame Tod der Gräfin Görlitz gemacht, den das Gerücht mit der Ermordung
eines sehr nahen Verwandten der Gräfin in Zusammenhang bringen wollte, der
vor ungefähr zwei Jahren hier bei Hellem Tage in seinem Zimmer erdrosselt wor¬
den ist. Das Abenteuerliche einer solchen Vermuthung liegt indessen aus flacher
Hand. Nichtsdestoweniger bleibt der Tod der Gräfin immer höchst räthselhaft,
und es ist gewiß sehr zu bedauern -- falls sich das Gerücht bestätigen sollte --
daß das Darmstädter Hofgericht die Section, welche von dem Stadtgericht und
dem Physikate beantragt worden sein soll, nicht verfügt hat, dem Vernehmen
nach anf Ansuchen des Grafen Görlitz, welcher seiner Gemahlin vor Jahren das
Versprechen gegeben hat, sie nach ihrem Tode nicht seciren zu lassen. Jedenfalls
hätten die Ergebnisse der Section allein die vielen einander widersprechenden Ge-


rar achtungswerther wissenschaftlicher Strebungen, als Beförderer jugendlicher oder
Anhaltspunkte suchender Talente zu wirken Pflegte. Ein auch mir flüchtig von
ihm gegebenes Versprechen war hurtiger, als die heiligsten Zusicherungen Ande¬
rer; ja er that nicht selten mehr, als wozu er dem Protegv Hoffnung gemacht
hatte. Von seinem menschenfreundlichen Wirken zur Abhilfe materieller Noth,
so weit seine finanziell nicht außergewöhnlichen Kräfte reichten, wollen wir hier
nicht-näher reden, obwohl mancher hübsche Characterzng in dieser Richtung uns
bekannt wurde. Zählte Sieveking, eifriger Beschützer des „Rauben Hauses," der
Brüder-Anstalt in Horn, für Viele zu den Frommen, so übte er doch auch Werke
echter Frömmigkeit und Menschenliebe, die den irdischen Staub weit überdauern,
ihm über das Grab hinaus ein ehrenvolles Andenken sichern. Das Leben seiner
Schwester, Amalie Sieveking, Vorsteherin und Förderin vieler wohlthätigen An¬
stalten, gehörte fast ausschließlich einem solchen religiös-humanen Wirken seit vie¬
len Jahren an. Endlich haben wir noch Sieveking'S Stellung als Präses unserer
Censur-Commission in Erinnerung zu bringen. Es ist dies die höhere Instanz,
an welche man sich bei einem verweigerten Imprimatur der gewöhnlichen Censo¬
ren zu wenden hat. Ihr Ausspruch ist entscheidend. Sieveking war an diesem
Posten fern von aller Engherzigkeit und ängstlichen Kleinlichkeit. Ucberwiegcnden
Einflüssen, namentlich preußischen und dänischen, mußte er sich freilich fügen. Die
Mauer der Verhältnisse und nachbarlichen Rücksichten konnte anch er nicht mit
der höheren Freisinnigkeit einrennen. Aber wir fürchten, das mildere Censnr-
Princip Hamburgs ist mit Sieveking zu Grabe getragen worden. Möchten wir
uns täuschen! — Alles in Allem: Deutschland hat einen Ehrenmann, Hamburg
eine schwer zu ersetzende Intelligenz an Karl Sieveking verloren.


III.

Gerüchte über den Tod der Gräfin Görlitz. — Die Garcia und die Rachel. — Der
Beschluß des deutschen Bundestages über die Krakauer Frage.

Ganz ungemeines Aussehen hat auch hier, wie Sie sich denken können, der
seltsame Tod der Gräfin Görlitz gemacht, den das Gerücht mit der Ermordung
eines sehr nahen Verwandten der Gräfin in Zusammenhang bringen wollte, der
vor ungefähr zwei Jahren hier bei Hellem Tage in seinem Zimmer erdrosselt wor¬
den ist. Das Abenteuerliche einer solchen Vermuthung liegt indessen aus flacher
Hand. Nichtsdestoweniger bleibt der Tod der Gräfin immer höchst räthselhaft,
und es ist gewiß sehr zu bedauern — falls sich das Gerücht bestätigen sollte —
daß das Darmstädter Hofgericht die Section, welche von dem Stadtgericht und
dem Physikate beantragt worden sein soll, nicht verfügt hat, dem Vernehmen
nach anf Ansuchen des Grafen Görlitz, welcher seiner Gemahlin vor Jahren das
Versprechen gegeben hat, sie nach ihrem Tode nicht seciren zu lassen. Jedenfalls
hätten die Ergebnisse der Section allein die vielen einander widersprechenden Ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0091" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184251"/>
            <p xml:id="ID_260" prev="#ID_259"> rar achtungswerther wissenschaftlicher Strebungen, als Beförderer jugendlicher oder<lb/>
Anhaltspunkte suchender Talente zu wirken Pflegte. Ein auch mir flüchtig von<lb/>
ihm gegebenes Versprechen war hurtiger, als die heiligsten Zusicherungen Ande¬<lb/>
rer; ja er that nicht selten mehr, als wozu er dem Protegv Hoffnung gemacht<lb/>
hatte. Von seinem menschenfreundlichen Wirken zur Abhilfe materieller Noth,<lb/>
so weit seine finanziell nicht außergewöhnlichen Kräfte reichten, wollen wir hier<lb/>
nicht-näher reden, obwohl mancher hübsche Characterzng in dieser Richtung uns<lb/>
bekannt wurde. Zählte Sieveking, eifriger Beschützer des &#x201E;Rauben Hauses," der<lb/>
Brüder-Anstalt in Horn, für Viele zu den Frommen, so übte er doch auch Werke<lb/>
echter Frömmigkeit und Menschenliebe, die den irdischen Staub weit überdauern,<lb/>
ihm über das Grab hinaus ein ehrenvolles Andenken sichern. Das Leben seiner<lb/>
Schwester, Amalie Sieveking, Vorsteherin und Förderin vieler wohlthätigen An¬<lb/>
stalten, gehörte fast ausschließlich einem solchen religiös-humanen Wirken seit vie¬<lb/>
len Jahren an. Endlich haben wir noch Sieveking'S Stellung als Präses unserer<lb/>
Censur-Commission in Erinnerung zu bringen. Es ist dies die höhere Instanz,<lb/>
an welche man sich bei einem verweigerten Imprimatur der gewöhnlichen Censo¬<lb/>
ren zu wenden hat. Ihr Ausspruch ist entscheidend. Sieveking war an diesem<lb/>
Posten fern von aller Engherzigkeit und ängstlichen Kleinlichkeit. Ucberwiegcnden<lb/>
Einflüssen, namentlich preußischen und dänischen, mußte er sich freilich fügen. Die<lb/>
Mauer der Verhältnisse und nachbarlichen Rücksichten konnte anch er nicht mit<lb/>
der höheren Freisinnigkeit einrennen. Aber wir fürchten, das mildere Censnr-<lb/>
Princip Hamburgs ist mit Sieveking zu Grabe getragen worden. Möchten wir<lb/>
uns täuschen! &#x2014; Alles in Allem: Deutschland hat einen Ehrenmann, Hamburg<lb/>
eine schwer zu ersetzende Intelligenz an Karl Sieveking verloren.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> III.<lb/></head><lb/>
            <note type="argument"> Gerüchte über den Tod der Gräfin Görlitz. &#x2014; Die Garcia und die Rachel. &#x2014; Der<lb/>
Beschluß des deutschen Bundestages über die Krakauer Frage.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_261" next="#ID_262"> Ganz ungemeines Aussehen hat auch hier, wie Sie sich denken können, der<lb/>
seltsame Tod der Gräfin Görlitz gemacht, den das Gerücht mit der Ermordung<lb/>
eines sehr nahen Verwandten der Gräfin in Zusammenhang bringen wollte, der<lb/>
vor ungefähr zwei Jahren hier bei Hellem Tage in seinem Zimmer erdrosselt wor¬<lb/>
den ist. Das Abenteuerliche einer solchen Vermuthung liegt indessen aus flacher<lb/>
Hand. Nichtsdestoweniger bleibt der Tod der Gräfin immer höchst räthselhaft,<lb/>
und es ist gewiß sehr zu bedauern &#x2014; falls sich das Gerücht bestätigen sollte &#x2014;<lb/>
daß das Darmstädter Hofgericht die Section, welche von dem Stadtgericht und<lb/>
dem Physikate beantragt worden sein soll, nicht verfügt hat, dem Vernehmen<lb/>
nach anf Ansuchen des Grafen Görlitz, welcher seiner Gemahlin vor Jahren das<lb/>
Versprechen gegeben hat, sie nach ihrem Tode nicht seciren zu lassen. Jedenfalls<lb/>
hätten die Ergebnisse der Section allein die vielen einander widersprechenden Ge-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0091] rar achtungswerther wissenschaftlicher Strebungen, als Beförderer jugendlicher oder Anhaltspunkte suchender Talente zu wirken Pflegte. Ein auch mir flüchtig von ihm gegebenes Versprechen war hurtiger, als die heiligsten Zusicherungen Ande¬ rer; ja er that nicht selten mehr, als wozu er dem Protegv Hoffnung gemacht hatte. Von seinem menschenfreundlichen Wirken zur Abhilfe materieller Noth, so weit seine finanziell nicht außergewöhnlichen Kräfte reichten, wollen wir hier nicht-näher reden, obwohl mancher hübsche Characterzng in dieser Richtung uns bekannt wurde. Zählte Sieveking, eifriger Beschützer des „Rauben Hauses," der Brüder-Anstalt in Horn, für Viele zu den Frommen, so übte er doch auch Werke echter Frömmigkeit und Menschenliebe, die den irdischen Staub weit überdauern, ihm über das Grab hinaus ein ehrenvolles Andenken sichern. Das Leben seiner Schwester, Amalie Sieveking, Vorsteherin und Förderin vieler wohlthätigen An¬ stalten, gehörte fast ausschließlich einem solchen religiös-humanen Wirken seit vie¬ len Jahren an. Endlich haben wir noch Sieveking'S Stellung als Präses unserer Censur-Commission in Erinnerung zu bringen. Es ist dies die höhere Instanz, an welche man sich bei einem verweigerten Imprimatur der gewöhnlichen Censo¬ ren zu wenden hat. Ihr Ausspruch ist entscheidend. Sieveking war an diesem Posten fern von aller Engherzigkeit und ängstlichen Kleinlichkeit. Ucberwiegcnden Einflüssen, namentlich preußischen und dänischen, mußte er sich freilich fügen. Die Mauer der Verhältnisse und nachbarlichen Rücksichten konnte anch er nicht mit der höheren Freisinnigkeit einrennen. Aber wir fürchten, das mildere Censnr- Princip Hamburgs ist mit Sieveking zu Grabe getragen worden. Möchten wir uns täuschen! — Alles in Allem: Deutschland hat einen Ehrenmann, Hamburg eine schwer zu ersetzende Intelligenz an Karl Sieveking verloren. III. Gerüchte über den Tod der Gräfin Görlitz. — Die Garcia und die Rachel. — Der Beschluß des deutschen Bundestages über die Krakauer Frage. Ganz ungemeines Aussehen hat auch hier, wie Sie sich denken können, der seltsame Tod der Gräfin Görlitz gemacht, den das Gerücht mit der Ermordung eines sehr nahen Verwandten der Gräfin in Zusammenhang bringen wollte, der vor ungefähr zwei Jahren hier bei Hellem Tage in seinem Zimmer erdrosselt wor¬ den ist. Das Abenteuerliche einer solchen Vermuthung liegt indessen aus flacher Hand. Nichtsdestoweniger bleibt der Tod der Gräfin immer höchst räthselhaft, und es ist gewiß sehr zu bedauern — falls sich das Gerücht bestätigen sollte — daß das Darmstädter Hofgericht die Section, welche von dem Stadtgericht und dem Physikate beantragt worden sein soll, nicht verfügt hat, dem Vernehmen nach anf Ansuchen des Grafen Görlitz, welcher seiner Gemahlin vor Jahren das Versprechen gegeben hat, sie nach ihrem Tode nicht seciren zu lassen. Jedenfalls hätten die Ergebnisse der Section allein die vielen einander widersprechenden Ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/91
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/91>, abgerufen am 28.07.2024.