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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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sein werden. Wodurch er sich so allgemein und durchgängig bei der Her¬
ren- und Damenwelt, bei Hoch und Niedrig unangenehm gemacht, ist schwer
zu sagen. Es können nicht blos seine Schriften sein, es muß auch sein
Leben und seine Persönlichkeit dazu beigetragen haben, einen solchen wirk¬
lichen Widerwillen gegen ihn hervorzurufen. Und nun, da das Monstrum
der öffentlichen Meinung einmal in ganzer schrecklicher Größe dasteht, wür¬
den schwerlich Thaten oder Worte es bannen! Auch hat er es mit Beiden
uicht einmal versucht. Seine "Lucretia" ist wenigstens nicht geeignet, eine
günstige Stimme für ihn hervorzurufen, und man kann wirklich im wahren
Sinne des Wortes sagen, daß ganz England sich beim Erscheinen desselben
in einem Ausruf des Entsetzens und der Verdammung vereinigt. Er soll
sehr eitel sein, und darum kleine Angriffe, als dem Neide entspringend,
gerne übersehen. Diesmal aber war es vergebens, daß er Auge und Ohren
verschloß. Jedes Journal, das er in die Hand nahm, jede Zeitung, in die
er blickte, nannte ihn einen Volks - und Sittenverderber, einen Mann, der
eine Freude an Verbrechen finde, der die Helden seiner Romane ans den
Hefen des Volks auswählte, der das Laster durch seine Darstellung ver¬
führerisch und nachahmungswürdig mache! -- Und diese Anklagen wieder¬
holten sich, ohne daß sich eine Stimme zu seiner Vertheidigung erhoben
hätte! War da nicht zu besorgen, daß sie nicht ganz ohne Grund seien?
Sir Lytton Bulwer fühlte sich aufs Tiefste verletzt: er war als Mensch
und als Schriftsteller angegriffen und ohne Gnade verdammt. Keine Tu¬
gend, kein Verdienst, keine einzige gute Seite hatte man ihm gelassen!
Und kein Freund fand sich, in der ganzen literarischen Welt keiner, der ein
Wort sür ihn gesprochen hätte! -- Was blieb ihm übrig, als selbst zur
Feder zu greifen und einen verzweifelten Versuch zu machen, das Publikum
von seinen bessern Absichten zu überzeugen. -- In einem kleinen Buche von
60 Seiten, betitelt: vorcl to tuo labile," von dem Verfasser der Lu¬
cretia, führt er an, daß von 16 Werken, die er geschrieben, nur drei Ver¬
brecher als Helden haben, Paul Cliffvrd, Eugen Aram und Lucretia; daß
die Schuld zu allen Zeiten dem Drama zur Grundlage gedient und auch
im Romane erlaubt sei; daß die englischen Zeitungen ein Quodlibet vou
Verbrechen aller Art wären und man sie darum doch noch nie für unmora¬
lisch und verderblich gehalten hätte. Seine Vertheidigung ist geistreich und
gewandt, sie entspricht in jedem Bezug dem, was man von einem Manne
wie Bulwer erwarten konnte, und hat vieles für sich. Doch hat sie Nie¬
mand bekehrt. Fest und unabänderlich steht die Meinung: Bulwer sei kein
guter Mensch. -- Dies ausgesprochen macht man sich aus dem geistreichen


sein werden. Wodurch er sich so allgemein und durchgängig bei der Her¬
ren- und Damenwelt, bei Hoch und Niedrig unangenehm gemacht, ist schwer
zu sagen. Es können nicht blos seine Schriften sein, es muß auch sein
Leben und seine Persönlichkeit dazu beigetragen haben, einen solchen wirk¬
lichen Widerwillen gegen ihn hervorzurufen. Und nun, da das Monstrum
der öffentlichen Meinung einmal in ganzer schrecklicher Größe dasteht, wür¬
den schwerlich Thaten oder Worte es bannen! Auch hat er es mit Beiden
uicht einmal versucht. Seine „Lucretia" ist wenigstens nicht geeignet, eine
günstige Stimme für ihn hervorzurufen, und man kann wirklich im wahren
Sinne des Wortes sagen, daß ganz England sich beim Erscheinen desselben
in einem Ausruf des Entsetzens und der Verdammung vereinigt. Er soll
sehr eitel sein, und darum kleine Angriffe, als dem Neide entspringend,
gerne übersehen. Diesmal aber war es vergebens, daß er Auge und Ohren
verschloß. Jedes Journal, das er in die Hand nahm, jede Zeitung, in die
er blickte, nannte ihn einen Volks - und Sittenverderber, einen Mann, der
eine Freude an Verbrechen finde, der die Helden seiner Romane ans den
Hefen des Volks auswählte, der das Laster durch seine Darstellung ver¬
führerisch und nachahmungswürdig mache! — Und diese Anklagen wieder¬
holten sich, ohne daß sich eine Stimme zu seiner Vertheidigung erhoben
hätte! War da nicht zu besorgen, daß sie nicht ganz ohne Grund seien?
Sir Lytton Bulwer fühlte sich aufs Tiefste verletzt: er war als Mensch
und als Schriftsteller angegriffen und ohne Gnade verdammt. Keine Tu¬
gend, kein Verdienst, keine einzige gute Seite hatte man ihm gelassen!
Und kein Freund fand sich, in der ganzen literarischen Welt keiner, der ein
Wort sür ihn gesprochen hätte! — Was blieb ihm übrig, als selbst zur
Feder zu greifen und einen verzweifelten Versuch zu machen, das Publikum
von seinen bessern Absichten zu überzeugen. — In einem kleinen Buche von
60 Seiten, betitelt: vorcl to tuo labile," von dem Verfasser der Lu¬
cretia, führt er an, daß von 16 Werken, die er geschrieben, nur drei Ver¬
brecher als Helden haben, Paul Cliffvrd, Eugen Aram und Lucretia; daß
die Schuld zu allen Zeiten dem Drama zur Grundlage gedient und auch
im Romane erlaubt sei; daß die englischen Zeitungen ein Quodlibet vou
Verbrechen aller Art wären und man sie darum doch noch nie für unmora¬
lisch und verderblich gehalten hätte. Seine Vertheidigung ist geistreich und
gewandt, sie entspricht in jedem Bezug dem, was man von einem Manne
wie Bulwer erwarten konnte, und hat vieles für sich. Doch hat sie Nie¬
mand bekehrt. Fest und unabänderlich steht die Meinung: Bulwer sei kein
guter Mensch. — Dies ausgesprochen macht man sich aus dem geistreichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/9>, abgerufen am 01.09.2024.