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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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und Reichsgerichte sinnloser Schall und gleisender Spott waren? wo die
Masse der Nation in der Trunkenheit planmäßiger Barbarei begraben lag
und die angeklebte, französische Bildung der eitlen, unthätigen, schwelgeri¬
schen Großen weder mächtige Talente, noch hervorragende Charaktere auf¬
kommen ließ? wo eine Nation von lauter Edelleuten und zahlreichen Kampf¬
helden in lauter unzusammenhängenden, vereinzelten, wenn auch heroische"
Widerstandsgefechten, ohne eine einzige Schlacht, ohne eine einzige hart¬
näckige Belagerung, politisch vernichtet, ohne weiteres aus dem Verzeichniß
der Nationen gestrichen und ohne Ende, nur Ehre und wiederum Ehre im
vollen Munde, von den Nachbarn unter die Füße getreten und so behandelt
ward, wie sie selber "die Ihrigen" behandelte. -- Das ist der Adel -- ohne
Volk?? -- Was hülfe es, den polnischen Leichnam zu galva-
nisiren? Die Tage der Recken und Riesen sind dahin und in der Neuzeit
ist kein Mittelalter mehr, so wenig als Tag in der Nacht. Wer vermöchte
Venedig und Genua, Königinnen der Meere, wieder aufsteigen zu lassen in
der alten Sonnenpracht! Zwar ist die Schule Rudolpl/s II. abermal un-
ermüdet, Menschen auf der Retorte zu machen, Mumien zu belebe", wie
wir (so vieler tvdtgcborner oder scheintodter innerer Institutionen zu geschwei¬
ge",) an ihre" Johannitern und deutschen Herren gewahren! Aber -- wäre
gerade dies uicht etwa spezifisch zeitgemäß? Leben wir denn nicht in der Zeit
der Surrogate? Mehr als den schattigen Palmen und als dem unfruchtbaren
Lorbeerbaum, schulde" wir der Runkelrübe, der Cichorie. -- Und Europa
sollte immer wieder von Neuem getheilt und dmcheinandergeworfen werden,
weil vor bald 80 Jahren der staatsrechtliche Meuchelmord geschah, dieses
Polen zu theilen, das die ruhige Existenz aller Nachbarn unaufhörlich ge¬
fährdete? das durch die Art, wie es nach drei furchtbaren Agonien ver¬
schwand, seine gänzliche Unfähigkeit zeigte zu selbstständiger Behauptung im
Areopag Europa's? -- Einem wahren Volkskriege der unter sich einigen,
der Pforte verbündeten Polen, ihm wären alle drei Großmächte nicht ge¬
wachsen gewesen! -- und sie wären i" dieser Voraussetzung gar nie zu
sammengetreten."

Die nächste Abhandlung handelt von den Uebergriffen der ,?ter-
reichischen Fürsten in die ständischen Rechte. "Die ganze Habsbugische
Geschichte ist die einer planvollen, kräftigen, unablässigen Nevolu"'" von
Ode" "ach Arten. Ma" muß nur erstaunen, daß dies nicht ehe-in Aller
Augen gefallen ist! Man mag ein Beispiel daran nehmen, w-' es einem
durch zwei Jahrhunderte mit herber Konsequenz fortgesetzten -^'nel endlich
gelingt, die Begebenheiten und ihre Wahrheit gleich einem o'^udfchnh um-


und Reichsgerichte sinnloser Schall und gleisender Spott waren? wo die
Masse der Nation in der Trunkenheit planmäßiger Barbarei begraben lag
und die angeklebte, französische Bildung der eitlen, unthätigen, schwelgeri¬
schen Großen weder mächtige Talente, noch hervorragende Charaktere auf¬
kommen ließ? wo eine Nation von lauter Edelleuten und zahlreichen Kampf¬
helden in lauter unzusammenhängenden, vereinzelten, wenn auch heroische»
Widerstandsgefechten, ohne eine einzige Schlacht, ohne eine einzige hart¬
näckige Belagerung, politisch vernichtet, ohne weiteres aus dem Verzeichniß
der Nationen gestrichen und ohne Ende, nur Ehre und wiederum Ehre im
vollen Munde, von den Nachbarn unter die Füße getreten und so behandelt
ward, wie sie selber „die Ihrigen" behandelte. — Das ist der Adel — ohne
Volk?? — Was hülfe es, den polnischen Leichnam zu galva-
nisiren? Die Tage der Recken und Riesen sind dahin und in der Neuzeit
ist kein Mittelalter mehr, so wenig als Tag in der Nacht. Wer vermöchte
Venedig und Genua, Königinnen der Meere, wieder aufsteigen zu lassen in
der alten Sonnenpracht! Zwar ist die Schule Rudolpl/s II. abermal un-
ermüdet, Menschen auf der Retorte zu machen, Mumien zu belebe», wie
wir (so vieler tvdtgcborner oder scheintodter innerer Institutionen zu geschwei¬
ge»,) an ihre» Johannitern und deutschen Herren gewahren! Aber — wäre
gerade dies uicht etwa spezifisch zeitgemäß? Leben wir denn nicht in der Zeit
der Surrogate? Mehr als den schattigen Palmen und als dem unfruchtbaren
Lorbeerbaum, schulde» wir der Runkelrübe, der Cichorie. — Und Europa
sollte immer wieder von Neuem getheilt und dmcheinandergeworfen werden,
weil vor bald 80 Jahren der staatsrechtliche Meuchelmord geschah, dieses
Polen zu theilen, das die ruhige Existenz aller Nachbarn unaufhörlich ge¬
fährdete? das durch die Art, wie es nach drei furchtbaren Agonien ver¬
schwand, seine gänzliche Unfähigkeit zeigte zu selbstständiger Behauptung im
Areopag Europa's? — Einem wahren Volkskriege der unter sich einigen,
der Pforte verbündeten Polen, ihm wären alle drei Großmächte nicht ge¬
wachsen gewesen! — und sie wären i» dieser Voraussetzung gar nie zu
sammengetreten."

Die nächste Abhandlung handelt von den Uebergriffen der ,?ter-
reichischen Fürsten in die ständischen Rechte. „Die ganze Habsbugische
Geschichte ist die einer planvollen, kräftigen, unablässigen Nevolu"'" von
Ode» »ach Arten. Ma» muß nur erstaunen, daß dies nicht ehe-in Aller
Augen gefallen ist! Man mag ein Beispiel daran nehmen, w-' es einem
durch zwei Jahrhunderte mit herber Konsequenz fortgesetzten -^'nel endlich
gelingt, die Begebenheiten und ihre Wahrheit gleich einem o'^udfchnh um-


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[0082] und Reichsgerichte sinnloser Schall und gleisender Spott waren? wo die Masse der Nation in der Trunkenheit planmäßiger Barbarei begraben lag und die angeklebte, französische Bildung der eitlen, unthätigen, schwelgeri¬ schen Großen weder mächtige Talente, noch hervorragende Charaktere auf¬ kommen ließ? wo eine Nation von lauter Edelleuten und zahlreichen Kampf¬ helden in lauter unzusammenhängenden, vereinzelten, wenn auch heroische» Widerstandsgefechten, ohne eine einzige Schlacht, ohne eine einzige hart¬ näckige Belagerung, politisch vernichtet, ohne weiteres aus dem Verzeichniß der Nationen gestrichen und ohne Ende, nur Ehre und wiederum Ehre im vollen Munde, von den Nachbarn unter die Füße getreten und so behandelt ward, wie sie selber „die Ihrigen" behandelte. — Das ist der Adel — ohne Volk?? — Was hülfe es, den polnischen Leichnam zu galva- nisiren? Die Tage der Recken und Riesen sind dahin und in der Neuzeit ist kein Mittelalter mehr, so wenig als Tag in der Nacht. Wer vermöchte Venedig und Genua, Königinnen der Meere, wieder aufsteigen zu lassen in der alten Sonnenpracht! Zwar ist die Schule Rudolpl/s II. abermal un- ermüdet, Menschen auf der Retorte zu machen, Mumien zu belebe», wie wir (so vieler tvdtgcborner oder scheintodter innerer Institutionen zu geschwei¬ ge»,) an ihre» Johannitern und deutschen Herren gewahren! Aber — wäre gerade dies uicht etwa spezifisch zeitgemäß? Leben wir denn nicht in der Zeit der Surrogate? Mehr als den schattigen Palmen und als dem unfruchtbaren Lorbeerbaum, schulde» wir der Runkelrübe, der Cichorie. — Und Europa sollte immer wieder von Neuem getheilt und dmcheinandergeworfen werden, weil vor bald 80 Jahren der staatsrechtliche Meuchelmord geschah, dieses Polen zu theilen, das die ruhige Existenz aller Nachbarn unaufhörlich ge¬ fährdete? das durch die Art, wie es nach drei furchtbaren Agonien ver¬ schwand, seine gänzliche Unfähigkeit zeigte zu selbstständiger Behauptung im Areopag Europa's? — Einem wahren Volkskriege der unter sich einigen, der Pforte verbündeten Polen, ihm wären alle drei Großmächte nicht ge¬ wachsen gewesen! — und sie wären i» dieser Voraussetzung gar nie zu sammengetreten." Die nächste Abhandlung handelt von den Uebergriffen der ,?ter- reichischen Fürsten in die ständischen Rechte. „Die ganze Habsbugische Geschichte ist die einer planvollen, kräftigen, unablässigen Nevolu"'" von Ode» »ach Arten. Ma» muß nur erstaunen, daß dies nicht ehe-in Aller Augen gefallen ist! Man mag ein Beispiel daran nehmen, w-' es einem durch zwei Jahrhunderte mit herber Konsequenz fortgesetzten -^'nel endlich gelingt, die Begebenheiten und ihre Wahrheit gleich einem o'^udfchnh um-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/82>, abgerufen am 28.07.2024.