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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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in Dunkelheit und Entsagung zugebrachtes Leben 1846 im Münchner Spital
beschloß. In der römisch-katholischen Kirche aufgewachsen und mit ihrer
Geschichte und Literatur vertraut, aber zugleich genährt durch das Lesen
der Alten und der größten Denker und Dichter der Neuern, bildete er sich
ein Ideal, dachte eine Kirche, die nie vorhanden war, und glaubte an die
Möglichkeit, dieses Gedankenwesen mit Fleisch und Blut zu umkleiden und
in's Leben einzuführen."

Neben diesen kirchlichen Streitschriften nehmen einen großen Raum die
Stimmen über Oesterreich ein, die theils in der Fremde als flüchtige Op¬
position, theils in der Heimath als "gutgesinnte Historien"*) hervortreten.
Seit etwas mehr als einem Jahrzehend hat sich ein eigner Zweig der Lite¬
ratur gebildet, die aus den Spaziergängen eines Wiener Poeten
zu keimen begann, an der Jnlinssonne in Saft trat, und vom Tode Kaiser
Franz I. an immer zahlreichere Sprößlinge trieb. Es sind dies die öster¬
reichischen Censurflüchtlinge, Auswanderer der verschiedensten Stände und
Meinungen, die ihre geistige Habe dem Schutze eines Stammverwandten,
der deutschen Presse, anvertrauen, und sich zu derselben in das nämliche
Verhältniß stellen, in welchem diese selbst zu der schweizerisch- und französisch
deutschen Publizität steht.

Diele Flüchtlinge sind darum nicht Feinde ihres Vaterlandes. "Ich
bin," sagt der Verfasser der einen derselben, "nicht einer jener Oesterrei¬
cher, die, wenn sie ihrem Vaterlands in Folge politischer Verfolgungen
oder sonstiger Motive halber den Rücken wenden, beim ersten Schritt über
das Reich des Königs von Jerusalem hinaus, sobald sie deu gelb-schwarzen
Schlagbaum im Rücken haben, den Stein gegen ihre Heimath schleudern.
Ich liebe warm und treu Heimath und Volk, für dessen kräftige, gesunde
Natur wohl am meisten der Umstand spricht, daß alle politischen Dul-
camara's, ungeachtet sie seit Joseph II. Zeiten an dem Niesenleibe hernm-
doctcrn, denselben doch nicht haben unter die Grube bringen können."
Nach der Schilderung, die man uuter andern vou der österreichischen
Armee entwirft, sind allerdings manche schwarze Seiten in demselben.
Die mechanische Ausbildung des Heeres, die Dressur, die Rechtlosigkeit
und das Heloteuthum der Soldaten ihren Obern gegenüber, die geheime



*) E> Dukter Maria Theresia; Erzherzog Karl -- K. Ramshorn, Joseph II. --
Jordan, Böhmen. -- v. Ankershofen, Kärnthen. -- Allgemeine Geschichten Oesterreichs
von L. Haßler, Ägnaz Beidtel, I. Sporschil.

in Dunkelheit und Entsagung zugebrachtes Leben 1846 im Münchner Spital
beschloß. In der römisch-katholischen Kirche aufgewachsen und mit ihrer
Geschichte und Literatur vertraut, aber zugleich genährt durch das Lesen
der Alten und der größten Denker und Dichter der Neuern, bildete er sich
ein Ideal, dachte eine Kirche, die nie vorhanden war, und glaubte an die
Möglichkeit, dieses Gedankenwesen mit Fleisch und Blut zu umkleiden und
in's Leben einzuführen."

Neben diesen kirchlichen Streitschriften nehmen einen großen Raum die
Stimmen über Oesterreich ein, die theils in der Fremde als flüchtige Op¬
position, theils in der Heimath als „gutgesinnte Historien"*) hervortreten.
Seit etwas mehr als einem Jahrzehend hat sich ein eigner Zweig der Lite¬
ratur gebildet, die aus den Spaziergängen eines Wiener Poeten
zu keimen begann, an der Jnlinssonne in Saft trat, und vom Tode Kaiser
Franz I. an immer zahlreichere Sprößlinge trieb. Es sind dies die öster¬
reichischen Censurflüchtlinge, Auswanderer der verschiedensten Stände und
Meinungen, die ihre geistige Habe dem Schutze eines Stammverwandten,
der deutschen Presse, anvertrauen, und sich zu derselben in das nämliche
Verhältniß stellen, in welchem diese selbst zu der schweizerisch- und französisch
deutschen Publizität steht.

Diele Flüchtlinge sind darum nicht Feinde ihres Vaterlandes. „Ich
bin," sagt der Verfasser der einen derselben, „nicht einer jener Oesterrei¬
cher, die, wenn sie ihrem Vaterlands in Folge politischer Verfolgungen
oder sonstiger Motive halber den Rücken wenden, beim ersten Schritt über
das Reich des Königs von Jerusalem hinaus, sobald sie deu gelb-schwarzen
Schlagbaum im Rücken haben, den Stein gegen ihre Heimath schleudern.
Ich liebe warm und treu Heimath und Volk, für dessen kräftige, gesunde
Natur wohl am meisten der Umstand spricht, daß alle politischen Dul-
camara's, ungeachtet sie seit Joseph II. Zeiten an dem Niesenleibe hernm-
doctcrn, denselben doch nicht haben unter die Grube bringen können."
Nach der Schilderung, die man uuter andern vou der österreichischen
Armee entwirft, sind allerdings manche schwarze Seiten in demselben.
Die mechanische Ausbildung des Heeres, die Dressur, die Rechtlosigkeit
und das Heloteuthum der Soldaten ihren Obern gegenüber, die geheime



*) E> Dukter Maria Theresia; Erzherzog Karl — K. Ramshorn, Joseph II. —
Jordan, Böhmen. — v. Ankershofen, Kärnthen. — Allgemeine Geschichten Oesterreichs
von L. Haßler, Ägnaz Beidtel, I. Sporschil.
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[0076] in Dunkelheit und Entsagung zugebrachtes Leben 1846 im Münchner Spital beschloß. In der römisch-katholischen Kirche aufgewachsen und mit ihrer Geschichte und Literatur vertraut, aber zugleich genährt durch das Lesen der Alten und der größten Denker und Dichter der Neuern, bildete er sich ein Ideal, dachte eine Kirche, die nie vorhanden war, und glaubte an die Möglichkeit, dieses Gedankenwesen mit Fleisch und Blut zu umkleiden und in's Leben einzuführen." Neben diesen kirchlichen Streitschriften nehmen einen großen Raum die Stimmen über Oesterreich ein, die theils in der Fremde als flüchtige Op¬ position, theils in der Heimath als „gutgesinnte Historien"*) hervortreten. Seit etwas mehr als einem Jahrzehend hat sich ein eigner Zweig der Lite¬ ratur gebildet, die aus den Spaziergängen eines Wiener Poeten zu keimen begann, an der Jnlinssonne in Saft trat, und vom Tode Kaiser Franz I. an immer zahlreichere Sprößlinge trieb. Es sind dies die öster¬ reichischen Censurflüchtlinge, Auswanderer der verschiedensten Stände und Meinungen, die ihre geistige Habe dem Schutze eines Stammverwandten, der deutschen Presse, anvertrauen, und sich zu derselben in das nämliche Verhältniß stellen, in welchem diese selbst zu der schweizerisch- und französisch deutschen Publizität steht. Diele Flüchtlinge sind darum nicht Feinde ihres Vaterlandes. „Ich bin," sagt der Verfasser der einen derselben, „nicht einer jener Oesterrei¬ cher, die, wenn sie ihrem Vaterlands in Folge politischer Verfolgungen oder sonstiger Motive halber den Rücken wenden, beim ersten Schritt über das Reich des Königs von Jerusalem hinaus, sobald sie deu gelb-schwarzen Schlagbaum im Rücken haben, den Stein gegen ihre Heimath schleudern. Ich liebe warm und treu Heimath und Volk, für dessen kräftige, gesunde Natur wohl am meisten der Umstand spricht, daß alle politischen Dul- camara's, ungeachtet sie seit Joseph II. Zeiten an dem Niesenleibe hernm- doctcrn, denselben doch nicht haben unter die Grube bringen können." Nach der Schilderung, die man uuter andern vou der österreichischen Armee entwirft, sind allerdings manche schwarze Seiten in demselben. Die mechanische Ausbildung des Heeres, die Dressur, die Rechtlosigkeit und das Heloteuthum der Soldaten ihren Obern gegenüber, die geheime *) E> Dukter Maria Theresia; Erzherzog Karl — K. Ramshorn, Joseph II. — Jordan, Böhmen. — v. Ankershofen, Kärnthen. — Allgemeine Geschichten Oesterreichs von L. Haßler, Ägnaz Beidtel, I. Sporschil.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/76>, abgerufen am 28.07.2024.