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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Fortschritt entgegen gewesen, nie aber hat sie mit Theorien gespielt, nie
ein wohlerworbenes Recht staatskünstlerischen Experimenten, und wo sie eine
Reform als Bedürfniß erkannt, hat sie dieselbe nur mit weiser Behutsamkeit
und mit der erdenklichsten Schonung aller dabei bethätigten Rechtsansprüche
bewerkstelligt. Diese Achtung für Privatrechte ist ein besonders ehrwürdiger
Zug in ihrem Charakter, und hat keinen geringen Theil an dem Vertrauen,
welches ihr die Völker in den schwierigsten Zeitläuften bewahrt haben. Wie
aber dem Lichte nie der Schatten fehlt, so ist eben diese Gewissenhaftigkeit
Ursache, daß manches unterbleibt, oder doch nur zögernd durchgeführt wird,
was, obwohl mit Opfern für Einzelne oder für eine Klasse der Staatsbürger
verbunden, von überwiegendem Nutzen für das Ganze wäre, und darin mag
auch der Grund liegen, warum die Negierung so lange Jahre verstreichen
ließ, ohne an die organischen Mängel des UnterthancnverhältnisseS ernstlich
Hand zu legen." -- "Was man auch sagen mag, so viel liegt am Tage,
daß die Bauern den kaiserlichen Behörden mehr trauten als den Edelleuten,
nud der Grund dieses Vertrauens kann nur darin liegen, daß sie gewohnt
waren, bei jenen Behörden Schutz und Hilfe zu finden." -- "Weder an
redlichem Willen, noch an Eifer hat es der Regierung und ihren Behörden
gefehlt; aber dem Uebel war nicht durch Abwehr, nicht durch Bestrafung
einzelner Fälle, sondern nur durch Umgestaltung des ganzen Verhältnisses
zu steuern. Zu bedauern ist es also, daß die Regierung sich nicht früher
zu durchgreifenden Maßregeln entschloß." -- "Fassen Sie zusammen, was
die Regierung für das materielle Wohl des Landes, für Unterricht und
sittliche Bildung des Volkes, für Sicherung des Rechtszustandes gethan hat,
erwägen Sie, daß zu Allem erst der Grund gelegt werdeu mußte, daß ihre
heilsamen Absichten wohl Hindernisse, doch selten oder nie Unterstützung im
Volke selbst fanden, und entscheiden Sie dann, ob man ihr vorwerfen könne,
Galizien in irgend einer Beziehung vernachlässigt zu haben; entscheiden Sie,
mit welchem Rechte gewisse Schriftsteller vor das Publikum hintreten und
ihm zurufen können: was im Jahre 184S geschehen, das sei die blutige
Frucht fast 80jähriger österreichischer Verfassung und Verwaltung!"

Wenn diese Deduction, so viel Wahres im Einzelnen auch darin ent¬
halten ist, im Ganzen doch keinen befriedigenden Eindruck hervorbringt, so
ist dagegen der 3. Theil, die Rechtfertigung der Regierung in Beziehung
ans die letzten Ereignisse, der gelungenste zu nennen. "Wir sehen zwei
Parteien, deren Grundsätze gerade entgegengesetzt sind und die sich nur zu
einem gemeinschaftlichen Zweck vereinigt haben in der wechselseitigen Hoffnung,
einander zu überlisten. -- Ob die aristokratische oder die demokratische Partei


Fortschritt entgegen gewesen, nie aber hat sie mit Theorien gespielt, nie
ein wohlerworbenes Recht staatskünstlerischen Experimenten, und wo sie eine
Reform als Bedürfniß erkannt, hat sie dieselbe nur mit weiser Behutsamkeit
und mit der erdenklichsten Schonung aller dabei bethätigten Rechtsansprüche
bewerkstelligt. Diese Achtung für Privatrechte ist ein besonders ehrwürdiger
Zug in ihrem Charakter, und hat keinen geringen Theil an dem Vertrauen,
welches ihr die Völker in den schwierigsten Zeitläuften bewahrt haben. Wie
aber dem Lichte nie der Schatten fehlt, so ist eben diese Gewissenhaftigkeit
Ursache, daß manches unterbleibt, oder doch nur zögernd durchgeführt wird,
was, obwohl mit Opfern für Einzelne oder für eine Klasse der Staatsbürger
verbunden, von überwiegendem Nutzen für das Ganze wäre, und darin mag
auch der Grund liegen, warum die Negierung so lange Jahre verstreichen
ließ, ohne an die organischen Mängel des UnterthancnverhältnisseS ernstlich
Hand zu legen." — „Was man auch sagen mag, so viel liegt am Tage,
daß die Bauern den kaiserlichen Behörden mehr trauten als den Edelleuten,
nud der Grund dieses Vertrauens kann nur darin liegen, daß sie gewohnt
waren, bei jenen Behörden Schutz und Hilfe zu finden." — „Weder an
redlichem Willen, noch an Eifer hat es der Regierung und ihren Behörden
gefehlt; aber dem Uebel war nicht durch Abwehr, nicht durch Bestrafung
einzelner Fälle, sondern nur durch Umgestaltung des ganzen Verhältnisses
zu steuern. Zu bedauern ist es also, daß die Regierung sich nicht früher
zu durchgreifenden Maßregeln entschloß." — „Fassen Sie zusammen, was
die Regierung für das materielle Wohl des Landes, für Unterricht und
sittliche Bildung des Volkes, für Sicherung des Rechtszustandes gethan hat,
erwägen Sie, daß zu Allem erst der Grund gelegt werdeu mußte, daß ihre
heilsamen Absichten wohl Hindernisse, doch selten oder nie Unterstützung im
Volke selbst fanden, und entscheiden Sie dann, ob man ihr vorwerfen könne,
Galizien in irgend einer Beziehung vernachlässigt zu haben; entscheiden Sie,
mit welchem Rechte gewisse Schriftsteller vor das Publikum hintreten und
ihm zurufen können: was im Jahre 184S geschehen, das sei die blutige
Frucht fast 80jähriger österreichischer Verfassung und Verwaltung!"

Wenn diese Deduction, so viel Wahres im Einzelnen auch darin ent¬
halten ist, im Ganzen doch keinen befriedigenden Eindruck hervorbringt, so
ist dagegen der 3. Theil, die Rechtfertigung der Regierung in Beziehung
ans die letzten Ereignisse, der gelungenste zu nennen. „Wir sehen zwei
Parteien, deren Grundsätze gerade entgegengesetzt sind und die sich nur zu
einem gemeinschaftlichen Zweck vereinigt haben in der wechselseitigen Hoffnung,
einander zu überlisten. — Ob die aristokratische oder die demokratische Partei


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[0066] Fortschritt entgegen gewesen, nie aber hat sie mit Theorien gespielt, nie ein wohlerworbenes Recht staatskünstlerischen Experimenten, und wo sie eine Reform als Bedürfniß erkannt, hat sie dieselbe nur mit weiser Behutsamkeit und mit der erdenklichsten Schonung aller dabei bethätigten Rechtsansprüche bewerkstelligt. Diese Achtung für Privatrechte ist ein besonders ehrwürdiger Zug in ihrem Charakter, und hat keinen geringen Theil an dem Vertrauen, welches ihr die Völker in den schwierigsten Zeitläuften bewahrt haben. Wie aber dem Lichte nie der Schatten fehlt, so ist eben diese Gewissenhaftigkeit Ursache, daß manches unterbleibt, oder doch nur zögernd durchgeführt wird, was, obwohl mit Opfern für Einzelne oder für eine Klasse der Staatsbürger verbunden, von überwiegendem Nutzen für das Ganze wäre, und darin mag auch der Grund liegen, warum die Negierung so lange Jahre verstreichen ließ, ohne an die organischen Mängel des UnterthancnverhältnisseS ernstlich Hand zu legen." — „Was man auch sagen mag, so viel liegt am Tage, daß die Bauern den kaiserlichen Behörden mehr trauten als den Edelleuten, nud der Grund dieses Vertrauens kann nur darin liegen, daß sie gewohnt waren, bei jenen Behörden Schutz und Hilfe zu finden." — „Weder an redlichem Willen, noch an Eifer hat es der Regierung und ihren Behörden gefehlt; aber dem Uebel war nicht durch Abwehr, nicht durch Bestrafung einzelner Fälle, sondern nur durch Umgestaltung des ganzen Verhältnisses zu steuern. Zu bedauern ist es also, daß die Regierung sich nicht früher zu durchgreifenden Maßregeln entschloß." — „Fassen Sie zusammen, was die Regierung für das materielle Wohl des Landes, für Unterricht und sittliche Bildung des Volkes, für Sicherung des Rechtszustandes gethan hat, erwägen Sie, daß zu Allem erst der Grund gelegt werdeu mußte, daß ihre heilsamen Absichten wohl Hindernisse, doch selten oder nie Unterstützung im Volke selbst fanden, und entscheiden Sie dann, ob man ihr vorwerfen könne, Galizien in irgend einer Beziehung vernachlässigt zu haben; entscheiden Sie, mit welchem Rechte gewisse Schriftsteller vor das Publikum hintreten und ihm zurufen können: was im Jahre 184S geschehen, das sei die blutige Frucht fast 80jähriger österreichischer Verfassung und Verwaltung!" Wenn diese Deduction, so viel Wahres im Einzelnen auch darin ent¬ halten ist, im Ganzen doch keinen befriedigenden Eindruck hervorbringt, so ist dagegen der 3. Theil, die Rechtfertigung der Regierung in Beziehung ans die letzten Ereignisse, der gelungenste zu nennen. „Wir sehen zwei Parteien, deren Grundsätze gerade entgegengesetzt sind und die sich nur zu einem gemeinschaftlichen Zweck vereinigt haben in der wechselseitigen Hoffnung, einander zu überlisten. — Ob die aristokratische oder die demokratische Partei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/66>, abgerufen am 01.09.2024.