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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Voraus festgesetzt ist. Auch die Frau muß Dienste thun und arbeitet überdem
gerne so viel sie kann, sowohl aus dem Felde als im Hause der Herrschaft für
dieselbe, um ihr spärliches Einkommen auf diese Art zu mehren. Die Kinder
bleiben indessen sich selbst überlassen, und das ist der traurigste Punkt bei der
Sache. In der Mittagsstunde von 12 bis 1 Uhr kehrt die Mutter heim, nach den
Kleinen zu sehen und ihnen ihre Nahrung zu reichen. Wollte sie die Kinder auf
das Feld nachkommen lassen und dieselbe" dort von der gutsherrlichen Tafel be>
wirthen -- wie das in der "Europa" so hübsch und patriarchalisch dargestellt
ist -- so möchte sich die Herrschaft wohl recht schön bedanken und das Mitspeiseu
dieser kleinen hungrigen Gäste ernstlich verbitten. Nach der Erndte, während
Mutter und Vater dreschen, müssen die Kleinen Aehren lesen. Im Winter aber
werden sie zu dem Schulmeister geschickt, der auf den Rittergütern gewöhnlich ein
Handwerker ist und dann sein Metier treiben kann, während die Kinder buch¬
stabieren. Da dem Gutsherrn nichts daran liegt, daß seine Untergebenen rechnen,
schreiben und lesen lernen, so trägt er auch weiter keine Sorge dafür, und auf
diese Weise bleibt die Volksbildung immer auf demselben Punkte. Hin und wie¬
der gibt es freilich eine Ausnahme -- denn wo wäre eine Regel ohne eine solche -->
und zu dieser gehören die Güter des Grafen Hahn, aus denen nicht er, aber
wohl seine Gemahlin die Kinder auf recht fühlbare Weise mahnen soll, die
Schule uicht zu versäumen und in derselben aufmerksam zu sein. Ein solcher ein¬
zelner Fall kann aber keine Resultate liefern, und das um so weniger, weil ein
solches Anfeuern oft Abneigung gegen die Sache einflößt. Die Geistlichen
könnten am Besten wirken und wären die Geeignetesten an der Bildung des Volkes
zu arbeiten; sie aber hängen von den Bauern ab, von denen sie ihren Zehnten
in Victualien empfangen, und haben überdem alle selbst Ackerwirthschaft, womit
sie denn so beschäftigt sind, daß sie bald kein anderes Interesse mehr kennen, als
das, ihren Weizen zu säen und zu erndten.'

Die Stände Mecklenburg's versammeln sich alljährlich zu einem Landtag in
Malchin, wo sie sich über die Angelegenheiten des Landes berathen und die Ab¬
gaben für das kommende Jahr festsetzen. Jeder Rittergutsbesitzer hat dort eine
Stimme und die Städte werden durch ihre Bürgermeister vertreten. Da nun
aber die Zahl der letztern die bei weitem geringere ist, so behielt der Adel bis
jetzt immer die Oberhand, denn die bürgerlichen Gutsbesitzer, obwohl ihnen das
Recht zustand, erschienen nie. Im Jahr 1838 machte jedoch ein Herr Schnelle
auf Buchholz den Antrag, diesem Mißverhältniß künftig abzuhelfen, und sein Be¬
mühen hatte den Erfolg, daß der Adel im letzte" Jahre bei weitem überstimmt
ward; eine Neuerung, die ihm zu ungewohnt war, um sie mit guter Laune hin¬
zunehmen. -- Der Anschein war um da, daß das Volk besser vertreten werden
würde, seit sich Männer dort eingefunden, deren Interesse für dasselbe sein sollte;
aber bis jetzt hat sich nur noch ein sehr unbefriedigendes Element herausgestellt;


Voraus festgesetzt ist. Auch die Frau muß Dienste thun und arbeitet überdem
gerne so viel sie kann, sowohl aus dem Felde als im Hause der Herrschaft für
dieselbe, um ihr spärliches Einkommen auf diese Art zu mehren. Die Kinder
bleiben indessen sich selbst überlassen, und das ist der traurigste Punkt bei der
Sache. In der Mittagsstunde von 12 bis 1 Uhr kehrt die Mutter heim, nach den
Kleinen zu sehen und ihnen ihre Nahrung zu reichen. Wollte sie die Kinder auf
das Feld nachkommen lassen und dieselbe» dort von der gutsherrlichen Tafel be>
wirthen — wie das in der „Europa" so hübsch und patriarchalisch dargestellt
ist — so möchte sich die Herrschaft wohl recht schön bedanken und das Mitspeiseu
dieser kleinen hungrigen Gäste ernstlich verbitten. Nach der Erndte, während
Mutter und Vater dreschen, müssen die Kleinen Aehren lesen. Im Winter aber
werden sie zu dem Schulmeister geschickt, der auf den Rittergütern gewöhnlich ein
Handwerker ist und dann sein Metier treiben kann, während die Kinder buch¬
stabieren. Da dem Gutsherrn nichts daran liegt, daß seine Untergebenen rechnen,
schreiben und lesen lernen, so trägt er auch weiter keine Sorge dafür, und auf
diese Weise bleibt die Volksbildung immer auf demselben Punkte. Hin und wie¬
der gibt es freilich eine Ausnahme — denn wo wäre eine Regel ohne eine solche —>
und zu dieser gehören die Güter des Grafen Hahn, aus denen nicht er, aber
wohl seine Gemahlin die Kinder auf recht fühlbare Weise mahnen soll, die
Schule uicht zu versäumen und in derselben aufmerksam zu sein. Ein solcher ein¬
zelner Fall kann aber keine Resultate liefern, und das um so weniger, weil ein
solches Anfeuern oft Abneigung gegen die Sache einflößt. Die Geistlichen
könnten am Besten wirken und wären die Geeignetesten an der Bildung des Volkes
zu arbeiten; sie aber hängen von den Bauern ab, von denen sie ihren Zehnten
in Victualien empfangen, und haben überdem alle selbst Ackerwirthschaft, womit
sie denn so beschäftigt sind, daß sie bald kein anderes Interesse mehr kennen, als
das, ihren Weizen zu säen und zu erndten.'

Die Stände Mecklenburg's versammeln sich alljährlich zu einem Landtag in
Malchin, wo sie sich über die Angelegenheiten des Landes berathen und die Ab¬
gaben für das kommende Jahr festsetzen. Jeder Rittergutsbesitzer hat dort eine
Stimme und die Städte werden durch ihre Bürgermeister vertreten. Da nun
aber die Zahl der letztern die bei weitem geringere ist, so behielt der Adel bis
jetzt immer die Oberhand, denn die bürgerlichen Gutsbesitzer, obwohl ihnen das
Recht zustand, erschienen nie. Im Jahr 1838 machte jedoch ein Herr Schnelle
auf Buchholz den Antrag, diesem Mißverhältniß künftig abzuhelfen, und sein Be¬
mühen hatte den Erfolg, daß der Adel im letzte» Jahre bei weitem überstimmt
ward; eine Neuerung, die ihm zu ungewohnt war, um sie mit guter Laune hin¬
zunehmen. — Der Anschein war um da, daß das Volk besser vertreten werden
würde, seit sich Männer dort eingefunden, deren Interesse für dasselbe sein sollte;
aber bis jetzt hat sich nur noch ein sehr unbefriedigendes Element herausgestellt;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/550>, abgerufen am 01.09.2024.