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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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klatscht, so scheint es sich während desselben zuweilen zu besinnen, es tritt ein
Plötzliches Stocken ein, hie und da hält ein einsamer Elaqner den Faden des
Entzückens fest, man weiß nicht recht, ob man zufrieden ist oder uicht. Dagegen
opponire man auch nicht dein Beifall, den man nicht anerkennen will; man läßt
ihn in Schweigen harmlos ersterben.

Ich sah im Laufe einer Woche zwei Opern von Weber -- Freischütz und
Oberon -- und zwei von Donizetti -- die Ncgimeutslochter und die Favorite. Die
Weber'sche Musik wird in Dresden noch immer mit besonderer Pietät ausgeführt:
bei dem ersten Strich hört man, daß man es mit einem vortrefflichen Orchester
zu thun hat. Die äußere Ausstattung, namentlich im Oberon, ist glänzend; bei
dem Scenenwechsel, der an Schnelligkeit alle Shakspeare'sehen Stücke weit hinter
sich läßt, werden wir doch in jedem Augenblicke durch immer neue und ausge¬
zeichnete Dekorationen überrascht. Im Freischütz hat die Wvlfsschluchtscene wenig¬
stens das Gute, daß mau von dem Unsinn so wenig als möglich sieht; mit Aus¬
nahme einiger unvermeidlichen Todtenköpfe, Eulen und sonstigen Nachtgeflügels,
lösen sich die Geistererscheinungen meistens in ein abstractes Wetterleuchten und in
ein sinnverwirrendes Getöse auf. Das ist jedenfalls zweckmäßiger, als wenn man
durch die albernen Figuren nach Art des Höllenbreughel und Hieronymus Boschcck
fortwährend im Detail beleidigt wird -- eine Aufgabe, die namentlich das Leip¬
ziger Theater in dieser Scene mit bewundernswerther Ausdauer löst. Nur sollten
die Dresdner noch cvnscguenter sein in ihrer Verallgemeinerung des Grauenvollen,
und z. B. die Erscheinungen des Samiel, der doch immer nur den Eindruck eines
betrunkenen Comödianten macht, ebenfalls in's Unbestimmte und nebelhafte her¬
überziehen. -- Von dem Chor läßt sich weniger rühmliches sagen als von der
Scenerie; er steht dem Berliner in jeder Hinsicht nach, und verrieth oft in den
gewöhnlichsten Gesängen eine an's Fabelhafte grenzende Unsicherheit (??). -- Herrn
Tichatschek zu loben, wäre überflüssig; es dürfte wohl in unsern Tagen kein zweiter
deutscher Tenor ihm an die Seite zu stellen sein. Bei seinen Gastrollen in Berlin fand
er neben warmer Anerkennung auch manche Anfechtung; er flötete den Berlinern
nicht genug, und Mautius hat sie an's Flöten gewöhnt, da seine Stimme zum
menschlich bewegten, freien Gesang nicht recht mehr ausreichen will. Tichatschek
vereinigt noch immer Kraft und Fülle der Stimme mit einer vollkommenen künst¬
lerischen Ausbildung; was ihm allerdings in höherem Grade zu wünschen wäre,
ist diese geheimnißvolle, nicht mehr in dem Physischen ruhende Kraft, die man
die Seele des Gesanges zu nennen pflegt. Er fühlt nicht lebendig, was er mit
der Kehle hervorbringt, damit hängt auch das Hölzerne und Ungeschickte sei¬
nes Spiels zusammen, das in tragischen Situationen zuweilen geradezu an's
Burleske streift. Wenn er in seineu Rollen etwas zu sprechen hat, z. B. im
Max, ist er völlig unerträglich. -- Herr Dettmer ist ein kräftiger Baß, der
namentlich in humoristischen Parthien vortrefflich ist, der aber zuweilen seinen


klatscht, so scheint es sich während desselben zuweilen zu besinnen, es tritt ein
Plötzliches Stocken ein, hie und da hält ein einsamer Elaqner den Faden des
Entzückens fest, man weiß nicht recht, ob man zufrieden ist oder uicht. Dagegen
opponire man auch nicht dein Beifall, den man nicht anerkennen will; man läßt
ihn in Schweigen harmlos ersterben.

Ich sah im Laufe einer Woche zwei Opern von Weber — Freischütz und
Oberon — und zwei von Donizetti — die Ncgimeutslochter und die Favorite. Die
Weber'sche Musik wird in Dresden noch immer mit besonderer Pietät ausgeführt:
bei dem ersten Strich hört man, daß man es mit einem vortrefflichen Orchester
zu thun hat. Die äußere Ausstattung, namentlich im Oberon, ist glänzend; bei
dem Scenenwechsel, der an Schnelligkeit alle Shakspeare'sehen Stücke weit hinter
sich läßt, werden wir doch in jedem Augenblicke durch immer neue und ausge¬
zeichnete Dekorationen überrascht. Im Freischütz hat die Wvlfsschluchtscene wenig¬
stens das Gute, daß mau von dem Unsinn so wenig als möglich sieht; mit Aus¬
nahme einiger unvermeidlichen Todtenköpfe, Eulen und sonstigen Nachtgeflügels,
lösen sich die Geistererscheinungen meistens in ein abstractes Wetterleuchten und in
ein sinnverwirrendes Getöse auf. Das ist jedenfalls zweckmäßiger, als wenn man
durch die albernen Figuren nach Art des Höllenbreughel und Hieronymus Boschcck
fortwährend im Detail beleidigt wird — eine Aufgabe, die namentlich das Leip¬
ziger Theater in dieser Scene mit bewundernswerther Ausdauer löst. Nur sollten
die Dresdner noch cvnscguenter sein in ihrer Verallgemeinerung des Grauenvollen,
und z. B. die Erscheinungen des Samiel, der doch immer nur den Eindruck eines
betrunkenen Comödianten macht, ebenfalls in's Unbestimmte und nebelhafte her¬
überziehen. — Von dem Chor läßt sich weniger rühmliches sagen als von der
Scenerie; er steht dem Berliner in jeder Hinsicht nach, und verrieth oft in den
gewöhnlichsten Gesängen eine an's Fabelhafte grenzende Unsicherheit (??). — Herrn
Tichatschek zu loben, wäre überflüssig; es dürfte wohl in unsern Tagen kein zweiter
deutscher Tenor ihm an die Seite zu stellen sein. Bei seinen Gastrollen in Berlin fand
er neben warmer Anerkennung auch manche Anfechtung; er flötete den Berlinern
nicht genug, und Mautius hat sie an's Flöten gewöhnt, da seine Stimme zum
menschlich bewegten, freien Gesang nicht recht mehr ausreichen will. Tichatschek
vereinigt noch immer Kraft und Fülle der Stimme mit einer vollkommenen künst¬
lerischen Ausbildung; was ihm allerdings in höherem Grade zu wünschen wäre,
ist diese geheimnißvolle, nicht mehr in dem Physischen ruhende Kraft, die man
die Seele des Gesanges zu nennen pflegt. Er fühlt nicht lebendig, was er mit
der Kehle hervorbringt, damit hängt auch das Hölzerne und Ungeschickte sei¬
nes Spiels zusammen, das in tragischen Situationen zuweilen geradezu an's
Burleske streift. Wenn er in seineu Rollen etwas zu sprechen hat, z. B. im
Max, ist er völlig unerträglich. — Herr Dettmer ist ein kräftiger Baß, der
namentlich in humoristischen Parthien vortrefflich ist, der aber zuweilen seinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/525>, abgerufen am 28.07.2024.