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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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immer möglich ist. Tänze und Märsche bilden auch hier, wie billig, den Haupt¬
stock der Unterhaltung, doch hört man dazwischen auch eine und die andere Ouver¬
türe, und es kommt nicht selten vor, daß sich sogar eine Symphonie von Beethoven
unter Strauß und Lanner verirrt. Die Berliner Garten-Musik möchte ich im
Ganzen vorziehn, wenigstens in den bessern Localen. Jedenfalls ist die spirituelle
Musik in Dresden nicht so populär als in Berlin, wo das Gartenpublikum seit
einigen Jahren doch wirklich so weit gebildet ist, daß es eine Symphonie mit Aus¬
dauer und zum Theil mit Interesse anhört, und die eine von der andern unter¬
scheidet, freilich wohl in der Regel nach sehr äußerlichen Merkmalen. In dem
Dresdner Publikum herrscht mehr Sittsamkeit und der Strickstrumpf; an der Spree
läßt sich das attische Salz selbst in der Andacht der Empfängniß nur mit Mühe
zurückdrängen. Die Cigarre hat in den Garten-Concerten ihren legitimen Sitz,
und der Dresdner entschädigt sich dadurch für seine Mäßigung auf der Straße,
die so weit geht, daß kaum so viel geraucht wird als in Berlin, wo man doch
nnr mit Lebensgefahr seinen Mund zu einem Schornstein machen darf.

Von diesen populär-gemüthlichen Kunstgenüssen kommen wir auf die civili-
sirteren, die Oper und das Schauspiel. Ich muß von vornherein bemerken, daß
ein Fremder sich von den Kunstkritiken des Dresdner Tageblattes nicht unbe¬
dingt darf leiten lassen. Diese Kritiken sind so hart und gehen so sehr darauf
aus, nur die Schattenseiten hervorzuheben, daß ein Fremder, der mit den vor¬
ausgesetzten Bortrcfflichkeiten des Theaters nicht bekannt ist, glauben sollte, in ein
ganz verwahrlostes, böotischcs Institut gerathen zu sein. Dasselbe dürfte von den
Beurtheilungen der Dresdner Kunstausstellung gelten, die von demselben Kri¬
tiker herrühren. -- Das Schauspielhaus machte, auf mich wenigstens, einen gün¬
stigern Eindruck als das Berliner Opernhaus. Der Rococogeschmack, in welchem
das letztere im Innern ausgeführt ist, blendet für den Augenblick, denn es ist
eine nicht blos scheinbare Pracht darin aufgewendet, aber er beunruhigt das Auge.
Das Dresdner Theater ist durchaus wohnlich eingerichtet, die Zugänge wie die
Sitze sind bequem, man ist überall zu Hause und empfängt von allen Seiten einen
wohlthuenden Eindruck. Von den Gemälden, mit denen das Berliner Opernhaus
überladen ist, sieht man hier nichts als den Vorhang, und der ist nicht gerade
das Angenehmste im Hause, denn die steifen allegorischen Personen, die sich in
beleidigender Ausführlichkeit auf demselben bewegen, werden dadurch um nichts er¬
freulicher, daß mit goldenen Lettern über dem Kopf einer jeden einzelnen die Be¬
deutung angegeben ist -- Romanze, Dichter, Glaube, Pilgerin, Scherz, Liebe
u. s. w. Das Theaterpublikum ist das sittsamste, das ich bisher gesehen habe;
bei der einen Vorstellung, wo mau auf einige fremde Prinzen wartete, wurde der
Anfang des Stilets beinahe eine Viertelstunde lang hinausgeschoben, und die
Versammlung gab auch nicht das geringste Zeichen des Mißfallens zu erkennen.
Diese Sittsamkeit ist aber mit einer gewissen Apathie verbunden; wenn es Beifall


immer möglich ist. Tänze und Märsche bilden auch hier, wie billig, den Haupt¬
stock der Unterhaltung, doch hört man dazwischen auch eine und die andere Ouver¬
türe, und es kommt nicht selten vor, daß sich sogar eine Symphonie von Beethoven
unter Strauß und Lanner verirrt. Die Berliner Garten-Musik möchte ich im
Ganzen vorziehn, wenigstens in den bessern Localen. Jedenfalls ist die spirituelle
Musik in Dresden nicht so populär als in Berlin, wo das Gartenpublikum seit
einigen Jahren doch wirklich so weit gebildet ist, daß es eine Symphonie mit Aus¬
dauer und zum Theil mit Interesse anhört, und die eine von der andern unter¬
scheidet, freilich wohl in der Regel nach sehr äußerlichen Merkmalen. In dem
Dresdner Publikum herrscht mehr Sittsamkeit und der Strickstrumpf; an der Spree
läßt sich das attische Salz selbst in der Andacht der Empfängniß nur mit Mühe
zurückdrängen. Die Cigarre hat in den Garten-Concerten ihren legitimen Sitz,
und der Dresdner entschädigt sich dadurch für seine Mäßigung auf der Straße,
die so weit geht, daß kaum so viel geraucht wird als in Berlin, wo man doch
nnr mit Lebensgefahr seinen Mund zu einem Schornstein machen darf.

Von diesen populär-gemüthlichen Kunstgenüssen kommen wir auf die civili-
sirteren, die Oper und das Schauspiel. Ich muß von vornherein bemerken, daß
ein Fremder sich von den Kunstkritiken des Dresdner Tageblattes nicht unbe¬
dingt darf leiten lassen. Diese Kritiken sind so hart und gehen so sehr darauf
aus, nur die Schattenseiten hervorzuheben, daß ein Fremder, der mit den vor¬
ausgesetzten Bortrcfflichkeiten des Theaters nicht bekannt ist, glauben sollte, in ein
ganz verwahrlostes, böotischcs Institut gerathen zu sein. Dasselbe dürfte von den
Beurtheilungen der Dresdner Kunstausstellung gelten, die von demselben Kri¬
tiker herrühren. — Das Schauspielhaus machte, auf mich wenigstens, einen gün¬
stigern Eindruck als das Berliner Opernhaus. Der Rococogeschmack, in welchem
das letztere im Innern ausgeführt ist, blendet für den Augenblick, denn es ist
eine nicht blos scheinbare Pracht darin aufgewendet, aber er beunruhigt das Auge.
Das Dresdner Theater ist durchaus wohnlich eingerichtet, die Zugänge wie die
Sitze sind bequem, man ist überall zu Hause und empfängt von allen Seiten einen
wohlthuenden Eindruck. Von den Gemälden, mit denen das Berliner Opernhaus
überladen ist, sieht man hier nichts als den Vorhang, und der ist nicht gerade
das Angenehmste im Hause, denn die steifen allegorischen Personen, die sich in
beleidigender Ausführlichkeit auf demselben bewegen, werden dadurch um nichts er¬
freulicher, daß mit goldenen Lettern über dem Kopf einer jeden einzelnen die Be¬
deutung angegeben ist — Romanze, Dichter, Glaube, Pilgerin, Scherz, Liebe
u. s. w. Das Theaterpublikum ist das sittsamste, das ich bisher gesehen habe;
bei der einen Vorstellung, wo mau auf einige fremde Prinzen wartete, wurde der
Anfang des Stilets beinahe eine Viertelstunde lang hinausgeschoben, und die
Versammlung gab auch nicht das geringste Zeichen des Mißfallens zu erkennen.
Diese Sittsamkeit ist aber mit einer gewissen Apathie verbunden; wenn es Beifall


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/524>, abgerufen am 28.07.2024.