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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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der jungen Männer und Mädchen und die Vermögensverhältnisse der Eltern. Auf
Grund dieser Conscription macht er nun seine Operationen. Er stellt im Geiste
Paare zusammen, macht Anträge nach verschiedenen Seiten, unterhandelt über die
Mitgift und hat er endlich reussirt, werden die jungen Leute auf der Pesther
Messe oder einem andern Jahrmarkt zusammengeführt, und wenn man sich nicht
ganz abstoßend findet, ist der Handel gemacht, zu dem nach wenigen gegenseitigen
Besuchen der Priester seinen Segen gibt. Es soll viel Diplomatie zu dem Beruf
eines Ehe-Seusals nöthig sein. Dieser Handel hat aber oft seine schlimmen Folgen;
wenn z. B. durch das Hinzutreten eiues Serrano nach der Hochzeit eine Wahl¬
verwandtschaft rege wird, oder der Gemahl einige Eigenschaften mit Don Fer¬
nando gemein hat, so gibt es schmerzliche Zerwürfnisse. Das europäische Gleich¬
gewicht wird zwar nicht darüber gestört; aber siud zwei Menschenherzen nicht auch
zwei Welten?

Die Pesther Juden haben zwei unerbittliche Quäler: die Einnehmer des
Brückengeldes und die "Pesther Zeitung." In Pesth muß nämlich jeder, der über
die Schiffbrücke geht, einen Kreuzer bezahlen, nur der Edelmann und der Pesther
Bürger sind zollfrei. In die Klasse der Zahlenden fällt auch der Jude, der in
Ungarn kein Bürgerrecht erlangen kann. Um den Kreuzer ist es nun wohl dem
Juden nicht zu thun, aber daß er von dein scharfäugigen Zöllner als Jude er¬
kannt wird, ist ihm ungemein peinlich. Der Wohlhabendere gibt darum lieber
einen Gulden für einen Fiacker, wenn er über die Brücke muß, da die Fahrenden
von der Abgabe befreit sind, welche dann nur das Pferd des Kutschers zu be¬
zahlen hat.

Die andere Qual wird ihm von der "Pesther Zeitung" bereitet. Diese ath¬
met die Gesinnung des deutschen Bürgers von Pesth, und dieser steht noch ganz
auf der Stufe des deutschen Kleinstädters; er hält fest an dem alten Zunftzwang
und andern Herkommnissen, wozu auch der Judenhaß gehört. Dieses liebens¬
würdige Gefühl spricht nun die "Pesther Zeitung" in jeder Nummer aus eine
Weise ans, worüber nnr der deutsche Kleinstädter nicht erröthet. Bei dem hoch¬
herzigen Magyaren findet der Jude wenig Apathie. Magyarische Zeitungen und
Redner vertheidigen sogar aufs wärmste seine Rechte. Darum neigt sich der un¬
garische Jude, der bisher uur deutsch sprach, auch stark zum Magyareuthum hin,
^ lernt fleißig ungarisch und geht immer mehr in's Nationaltheater. Wenn einst
dieser Abfall vollständig ist, dann können die Mitarbeiter und Anhänger der Pesther
Leitung allein in dem großen deutschen Theater von Pesth sitzen und werden sich
wundern, wie wenig Raum sie ausfüllen.

Die zwei Enden der bürgerlichen Gesellschaft, der Jude und der Adel wach¬
sn in Pesth fortwährend; wie ich hörte, soll die ungarische Bürgergarde von
Pesth sogar beschlossen haben, durch Aufnahme von Pesther Juden in ihre Nei-


der jungen Männer und Mädchen und die Vermögensverhältnisse der Eltern. Auf
Grund dieser Conscription macht er nun seine Operationen. Er stellt im Geiste
Paare zusammen, macht Anträge nach verschiedenen Seiten, unterhandelt über die
Mitgift und hat er endlich reussirt, werden die jungen Leute auf der Pesther
Messe oder einem andern Jahrmarkt zusammengeführt, und wenn man sich nicht
ganz abstoßend findet, ist der Handel gemacht, zu dem nach wenigen gegenseitigen
Besuchen der Priester seinen Segen gibt. Es soll viel Diplomatie zu dem Beruf
eines Ehe-Seusals nöthig sein. Dieser Handel hat aber oft seine schlimmen Folgen;
wenn z. B. durch das Hinzutreten eiues Serrano nach der Hochzeit eine Wahl¬
verwandtschaft rege wird, oder der Gemahl einige Eigenschaften mit Don Fer¬
nando gemein hat, so gibt es schmerzliche Zerwürfnisse. Das europäische Gleich¬
gewicht wird zwar nicht darüber gestört; aber siud zwei Menschenherzen nicht auch
zwei Welten?

Die Pesther Juden haben zwei unerbittliche Quäler: die Einnehmer des
Brückengeldes und die „Pesther Zeitung." In Pesth muß nämlich jeder, der über
die Schiffbrücke geht, einen Kreuzer bezahlen, nur der Edelmann und der Pesther
Bürger sind zollfrei. In die Klasse der Zahlenden fällt auch der Jude, der in
Ungarn kein Bürgerrecht erlangen kann. Um den Kreuzer ist es nun wohl dem
Juden nicht zu thun, aber daß er von dein scharfäugigen Zöllner als Jude er¬
kannt wird, ist ihm ungemein peinlich. Der Wohlhabendere gibt darum lieber
einen Gulden für einen Fiacker, wenn er über die Brücke muß, da die Fahrenden
von der Abgabe befreit sind, welche dann nur das Pferd des Kutschers zu be¬
zahlen hat.

Die andere Qual wird ihm von der „Pesther Zeitung" bereitet. Diese ath¬
met die Gesinnung des deutschen Bürgers von Pesth, und dieser steht noch ganz
auf der Stufe des deutschen Kleinstädters; er hält fest an dem alten Zunftzwang
und andern Herkommnissen, wozu auch der Judenhaß gehört. Dieses liebens¬
würdige Gefühl spricht nun die „Pesther Zeitung" in jeder Nummer aus eine
Weise ans, worüber nnr der deutsche Kleinstädter nicht erröthet. Bei dem hoch¬
herzigen Magyaren findet der Jude wenig Apathie. Magyarische Zeitungen und
Redner vertheidigen sogar aufs wärmste seine Rechte. Darum neigt sich der un¬
garische Jude, der bisher uur deutsch sprach, auch stark zum Magyareuthum hin,
^ lernt fleißig ungarisch und geht immer mehr in's Nationaltheater. Wenn einst
dieser Abfall vollständig ist, dann können die Mitarbeiter und Anhänger der Pesther
Leitung allein in dem großen deutschen Theater von Pesth sitzen und werden sich
wundern, wie wenig Raum sie ausfüllen.

Die zwei Enden der bürgerlichen Gesellschaft, der Jude und der Adel wach¬
sn in Pesth fortwährend; wie ich hörte, soll die ungarische Bürgergarde von
Pesth sogar beschlossen haben, durch Aufnahme von Pesther Juden in ihre Nei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/517>, abgerufen am 01.09.2024.