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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Ungarns erster christliche König, ahnen mögen, daß einst 300,000 Abkömmlinge
der Kreuziger in seinem Lande wohnen und dessen Producte verwerthen würden? --
Diese rührigen, speculativen, unternehmenden Menschen, Kinder egyptischer Hirten
und morgenländischer Bauern sind in Ungarn verbreitet, wie die Adern im Kör¬
per, und verrichten auch ganz das Geschäft dieser unentbehrlichen Organe. In
einem Lande, welches keine Straßen und sonstige Verbindungsmittel besitzt, hätte
der Bauer an der Theiß die Producte des Bodens verfaulen lassen müssen und
hätte nicht einmal seine einfachen Unterhosen tragen können, wenn nicht ein be¬
flügeltes Völkchen eingewandert wäre, das mit Millionen Händen einen ewigen
Tausch zwischen Industrie und Producten unterhält.

Die Juden sind die Seele der Pesther Messe. Sie verkaufen die vom Bauer
und kleinen Grundherrn erhandelten Früchte, Schafwolle, Knoppern, Bettfedern,
Flachs, Borsten, Thierhäute und kaufen von Fabrikanten und Zwischenhändlern
alle erdenklichen Artikel der Kunst und Industrie. Ansässige Pesther machen die
Sensale. Ohne diese wäre es für den Fremden gar nicht möglich, die Producte,
die in tausend Magazinen in der weiten Stadt herumliegen, aufzutreiben. Man
muß aber seinen Sensalen wohl kennen, sonst kann man mit Gewißheit darauf
rechnen betrogen zu werden. In Bezug ans den Handel haben die meisten unga¬
rischen Juden weite Gewissen und raffinirte Köpfe. Doch finden sie. da ihre Mei¬
ster an den Naizen (nichtunirte Griechen), welche den Handel nach der Türkei
und den Ländern an der untern Donau ausschließlich treiben. In einem Naizen
stecken vier Juden, sagt ein ungarisches Sprichwort.

Das Centrum des Productcnhandels ist das weitläufige, an Magazinen reiche
Hans des Baron Orczy auf der Landstraße. Das aus vielen Zimmern bestehende
Kaffeehaus ist vom Morgen bis Abend gedrückt voll von Handelsleuten, die über
die Geschäfte hin und Herreden. In diesem Hause dient der Sohn Israels neben
dem goldenen Kalbe, auch dem alten Jehova, dem im ersten Stock über den Ma¬
gazinen eine Synagoge eingerichtet ist. Die gebildeteren Juden in Pesth und
in mehrern Landstädten haben schon ganz die alten Bräuche abgestreift und sind
reine Deisten geworden. Die große Masse hängt aber noch sklavisch an allen
Gesetzen des babylonischen Talmuds.

Auf die Pesther Messe bringt häufig der ungarische Jude sein Töchterchen,
um es mit der Welt bekannt zu machen oder mit dem Freier zusammen zu führen.
Schüchternheit und Einfalt des Landlebens, verbunden mit angeborner Klugheit,
gibt diesen ungarischen Töchtern Zions einen seltenen Liebreiz. Diese armen Kinder
werden oft an den Mann gebracht, wie ein Sack Wolle an den Käufer. Man
betreibt ihre Heirath, vollkommen wie ein Geschäft, und es wird in der That durch
förmliche Ehe-Sensale vermittelt. Die Zerstreuung der Jude" in kleine Gemein¬
den hat diesen Erwerbszweig geschaffen und unentbehrlich gemacht. Ein solcher
Seelenmäkler kennt genau eine Menge Familien des Landes, alle Eigenschaften


Ungarns erster christliche König, ahnen mögen, daß einst 300,000 Abkömmlinge
der Kreuziger in seinem Lande wohnen und dessen Producte verwerthen würden? —
Diese rührigen, speculativen, unternehmenden Menschen, Kinder egyptischer Hirten
und morgenländischer Bauern sind in Ungarn verbreitet, wie die Adern im Kör¬
per, und verrichten auch ganz das Geschäft dieser unentbehrlichen Organe. In
einem Lande, welches keine Straßen und sonstige Verbindungsmittel besitzt, hätte
der Bauer an der Theiß die Producte des Bodens verfaulen lassen müssen und
hätte nicht einmal seine einfachen Unterhosen tragen können, wenn nicht ein be¬
flügeltes Völkchen eingewandert wäre, das mit Millionen Händen einen ewigen
Tausch zwischen Industrie und Producten unterhält.

Die Juden sind die Seele der Pesther Messe. Sie verkaufen die vom Bauer
und kleinen Grundherrn erhandelten Früchte, Schafwolle, Knoppern, Bettfedern,
Flachs, Borsten, Thierhäute und kaufen von Fabrikanten und Zwischenhändlern
alle erdenklichen Artikel der Kunst und Industrie. Ansässige Pesther machen die
Sensale. Ohne diese wäre es für den Fremden gar nicht möglich, die Producte,
die in tausend Magazinen in der weiten Stadt herumliegen, aufzutreiben. Man
muß aber seinen Sensalen wohl kennen, sonst kann man mit Gewißheit darauf
rechnen betrogen zu werden. In Bezug ans den Handel haben die meisten unga¬
rischen Juden weite Gewissen und raffinirte Köpfe. Doch finden sie. da ihre Mei¬
ster an den Naizen (nichtunirte Griechen), welche den Handel nach der Türkei
und den Ländern an der untern Donau ausschließlich treiben. In einem Naizen
stecken vier Juden, sagt ein ungarisches Sprichwort.

Das Centrum des Productcnhandels ist das weitläufige, an Magazinen reiche
Hans des Baron Orczy auf der Landstraße. Das aus vielen Zimmern bestehende
Kaffeehaus ist vom Morgen bis Abend gedrückt voll von Handelsleuten, die über
die Geschäfte hin und Herreden. In diesem Hause dient der Sohn Israels neben
dem goldenen Kalbe, auch dem alten Jehova, dem im ersten Stock über den Ma¬
gazinen eine Synagoge eingerichtet ist. Die gebildeteren Juden in Pesth und
in mehrern Landstädten haben schon ganz die alten Bräuche abgestreift und sind
reine Deisten geworden. Die große Masse hängt aber noch sklavisch an allen
Gesetzen des babylonischen Talmuds.

Auf die Pesther Messe bringt häufig der ungarische Jude sein Töchterchen,
um es mit der Welt bekannt zu machen oder mit dem Freier zusammen zu führen.
Schüchternheit und Einfalt des Landlebens, verbunden mit angeborner Klugheit,
gibt diesen ungarischen Töchtern Zions einen seltenen Liebreiz. Diese armen Kinder
werden oft an den Mann gebracht, wie ein Sack Wolle an den Käufer. Man
betreibt ihre Heirath, vollkommen wie ein Geschäft, und es wird in der That durch
förmliche Ehe-Sensale vermittelt. Die Zerstreuung der Jude» in kleine Gemein¬
den hat diesen Erwerbszweig geschaffen und unentbehrlich gemacht. Ein solcher
Seelenmäkler kennt genau eine Menge Familien des Landes, alle Eigenschaften


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[0516] Ungarns erster christliche König, ahnen mögen, daß einst 300,000 Abkömmlinge der Kreuziger in seinem Lande wohnen und dessen Producte verwerthen würden? — Diese rührigen, speculativen, unternehmenden Menschen, Kinder egyptischer Hirten und morgenländischer Bauern sind in Ungarn verbreitet, wie die Adern im Kör¬ per, und verrichten auch ganz das Geschäft dieser unentbehrlichen Organe. In einem Lande, welches keine Straßen und sonstige Verbindungsmittel besitzt, hätte der Bauer an der Theiß die Producte des Bodens verfaulen lassen müssen und hätte nicht einmal seine einfachen Unterhosen tragen können, wenn nicht ein be¬ flügeltes Völkchen eingewandert wäre, das mit Millionen Händen einen ewigen Tausch zwischen Industrie und Producten unterhält. Die Juden sind die Seele der Pesther Messe. Sie verkaufen die vom Bauer und kleinen Grundherrn erhandelten Früchte, Schafwolle, Knoppern, Bettfedern, Flachs, Borsten, Thierhäute und kaufen von Fabrikanten und Zwischenhändlern alle erdenklichen Artikel der Kunst und Industrie. Ansässige Pesther machen die Sensale. Ohne diese wäre es für den Fremden gar nicht möglich, die Producte, die in tausend Magazinen in der weiten Stadt herumliegen, aufzutreiben. Man muß aber seinen Sensalen wohl kennen, sonst kann man mit Gewißheit darauf rechnen betrogen zu werden. In Bezug ans den Handel haben die meisten unga¬ rischen Juden weite Gewissen und raffinirte Köpfe. Doch finden sie. da ihre Mei¬ ster an den Naizen (nichtunirte Griechen), welche den Handel nach der Türkei und den Ländern an der untern Donau ausschließlich treiben. In einem Naizen stecken vier Juden, sagt ein ungarisches Sprichwort. Das Centrum des Productcnhandels ist das weitläufige, an Magazinen reiche Hans des Baron Orczy auf der Landstraße. Das aus vielen Zimmern bestehende Kaffeehaus ist vom Morgen bis Abend gedrückt voll von Handelsleuten, die über die Geschäfte hin und Herreden. In diesem Hause dient der Sohn Israels neben dem goldenen Kalbe, auch dem alten Jehova, dem im ersten Stock über den Ma¬ gazinen eine Synagoge eingerichtet ist. Die gebildeteren Juden in Pesth und in mehrern Landstädten haben schon ganz die alten Bräuche abgestreift und sind reine Deisten geworden. Die große Masse hängt aber noch sklavisch an allen Gesetzen des babylonischen Talmuds. Auf die Pesther Messe bringt häufig der ungarische Jude sein Töchterchen, um es mit der Welt bekannt zu machen oder mit dem Freier zusammen zu führen. Schüchternheit und Einfalt des Landlebens, verbunden mit angeborner Klugheit, gibt diesen ungarischen Töchtern Zions einen seltenen Liebreiz. Diese armen Kinder werden oft an den Mann gebracht, wie ein Sack Wolle an den Käufer. Man betreibt ihre Heirath, vollkommen wie ein Geschäft, und es wird in der That durch förmliche Ehe-Sensale vermittelt. Die Zerstreuung der Jude» in kleine Gemein¬ den hat diesen Erwerbszweig geschaffen und unentbehrlich gemacht. Ein solcher Seelenmäkler kennt genau eine Menge Familien des Landes, alle Eigenschaften

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/516>, abgerufen am 01.09.2024.