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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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ginge es auch in's Grab. Getrost wagte sie sich auf das Zimmer des Geliebten, im
Bewußtsein, es nicht lebendig wieder zu verlassen. Dort trank sie mit Lust das be¬
reitstellende Gift, doch während sie den letzten Seufzer verhauchte, hatte der Geliebte
die Feigheit, aus dem Zimmer zu entrinnen, um sein Schmachvolles Dasein weiter
zu schleppen. Jeder Tag sieht in Pesth heftige Scenen der Eifersucht und der
Rache; in der kurzen Zeit meiner Anwesenheit wurde ein Advokat vor Gericht
gestellt, der seine Geliebte, die Frau eiues Andern, in ihrem Zimmer erschossen,
weil er einen andern jungen Mann in ihrem Hause wohl gelitten sah. Diese liebens¬
würdigen Kinder, Gemahlin und Geliebte, werden oft sehr wild von den Männern
behandelt. Die Nähe des Orients läßt sich da schon ziemlich erkennen; während
man im Abendland noch Abgötterei mit deu Frauen treibt, sieht mau in ihnen
hier oft nur Odalisken, für welche der Pascha viel verschwendet, Zeit nud Auf¬
merksamkeit, so lange die rasche Gluth in seinem Herzen brennt.

Gesellschaftliche Zirkel, in welchen Frauen mit seinem Geist, überwiegender
Gewandtheit und zartem Geschmack die Unterhaltung lenken, schwere Zungen lösen,
in langsamen Köpfen die Gedanken beflügeln und kalten Phantasien Funken ent¬
locken, gibt es in Pesth nur in wenigen sehr gebildeten Kreisen. Doch wird das
schon kommen, bis Frauen und Männer in den immer mehr verbesserten öffent¬
lichen und Privatschulen reicher an Wissen und Gedanken geworden sind. Bis
jetzt aber liebt der Ungar nicht die Gesellschaft der Frauen, toto töte ausge¬
nommen; er fühlt sich zu sehr genirt und gelangweilt zwischen den schönsten Augen
der Welt. Alltägliche Redensarten, ungehobelt genug vorgebracht, sind bald er¬
schöpft und dann beginnt für ihn ein verzweifelter Zustand, bis er ein Mittel
findet, den "verdammten Weibern" zu entrinnen. Und wohin rennt er dann?
Jn's Kaffeehaus, wo er stundenlang seinen Tschibuk (türkische Pfeife) raucht, fünf¬
zig Parthien Billard spielt, mit der Karte die Zeit betrügt, oder in Gesellschaft
verwandter Geister gröbliche Geschichten erzählt und anhört. Will man durchaus
den Sohn der ungarischen Hauptstadt in Gesellschaft der Weiber sich leicht bewe¬
gen sehen, so muß man in der Nacht sich durch finstre Straßen der Vorstädte
in Hänser führen lassen, wo die verwahrloste Tochter des Bolkes mit ihren Reizen
Markt hält und an der von Bier und Wein lallender Zunge des Gastes keinen
Anstoß nimmt. Der Ungar hat viele treffliche männliche Eigenschaften der Seele
und des Körpers, er ist aufrichtig, muthig, bon eilt-me, trotz seiner Wildheit, seine
Gestalt ist wohlgebaut und die Züge seines Gesichtes sind kräftig und ausdrucks¬
voll; aber die Dame des christlich-germanischen Staates würde sich gewiß denken,
diese Leute müssen erst kürzlich von ihren wüsten Haiden in die Städte hereinge¬
zogen sein. Sie würde die Geberden, das Mienenspiel und die Unterhaltung
dieser Männer die eines erst kürzlich gezähmten Bären nennen, ihren Nationaltanz
würde sie vollends einen Bärentanz schelten und ihre Zigeunermnsik schiene ihr eine
wilde Melodie, geeignet für die Tänze der nackten Damen der südafrikanischen


ginge es auch in's Grab. Getrost wagte sie sich auf das Zimmer des Geliebten, im
Bewußtsein, es nicht lebendig wieder zu verlassen. Dort trank sie mit Lust das be¬
reitstellende Gift, doch während sie den letzten Seufzer verhauchte, hatte der Geliebte
die Feigheit, aus dem Zimmer zu entrinnen, um sein Schmachvolles Dasein weiter
zu schleppen. Jeder Tag sieht in Pesth heftige Scenen der Eifersucht und der
Rache; in der kurzen Zeit meiner Anwesenheit wurde ein Advokat vor Gericht
gestellt, der seine Geliebte, die Frau eiues Andern, in ihrem Zimmer erschossen,
weil er einen andern jungen Mann in ihrem Hause wohl gelitten sah. Diese liebens¬
würdigen Kinder, Gemahlin und Geliebte, werden oft sehr wild von den Männern
behandelt. Die Nähe des Orients läßt sich da schon ziemlich erkennen; während
man im Abendland noch Abgötterei mit deu Frauen treibt, sieht mau in ihnen
hier oft nur Odalisken, für welche der Pascha viel verschwendet, Zeit nud Auf¬
merksamkeit, so lange die rasche Gluth in seinem Herzen brennt.

Gesellschaftliche Zirkel, in welchen Frauen mit seinem Geist, überwiegender
Gewandtheit und zartem Geschmack die Unterhaltung lenken, schwere Zungen lösen,
in langsamen Köpfen die Gedanken beflügeln und kalten Phantasien Funken ent¬
locken, gibt es in Pesth nur in wenigen sehr gebildeten Kreisen. Doch wird das
schon kommen, bis Frauen und Männer in den immer mehr verbesserten öffent¬
lichen und Privatschulen reicher an Wissen und Gedanken geworden sind. Bis
jetzt aber liebt der Ungar nicht die Gesellschaft der Frauen, toto töte ausge¬
nommen; er fühlt sich zu sehr genirt und gelangweilt zwischen den schönsten Augen
der Welt. Alltägliche Redensarten, ungehobelt genug vorgebracht, sind bald er¬
schöpft und dann beginnt für ihn ein verzweifelter Zustand, bis er ein Mittel
findet, den „verdammten Weibern" zu entrinnen. Und wohin rennt er dann?
Jn's Kaffeehaus, wo er stundenlang seinen Tschibuk (türkische Pfeife) raucht, fünf¬
zig Parthien Billard spielt, mit der Karte die Zeit betrügt, oder in Gesellschaft
verwandter Geister gröbliche Geschichten erzählt und anhört. Will man durchaus
den Sohn der ungarischen Hauptstadt in Gesellschaft der Weiber sich leicht bewe¬
gen sehen, so muß man in der Nacht sich durch finstre Straßen der Vorstädte
in Hänser führen lassen, wo die verwahrloste Tochter des Bolkes mit ihren Reizen
Markt hält und an der von Bier und Wein lallender Zunge des Gastes keinen
Anstoß nimmt. Der Ungar hat viele treffliche männliche Eigenschaften der Seele
und des Körpers, er ist aufrichtig, muthig, bon eilt-me, trotz seiner Wildheit, seine
Gestalt ist wohlgebaut und die Züge seines Gesichtes sind kräftig und ausdrucks¬
voll; aber die Dame des christlich-germanischen Staates würde sich gewiß denken,
diese Leute müssen erst kürzlich von ihren wüsten Haiden in die Städte hereinge¬
zogen sein. Sie würde die Geberden, das Mienenspiel und die Unterhaltung
dieser Männer die eines erst kürzlich gezähmten Bären nennen, ihren Nationaltanz
würde sie vollends einen Bärentanz schelten und ihre Zigeunermnsik schiene ihr eine
wilde Melodie, geeignet für die Tänze der nackten Damen der südafrikanischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/510>, abgerufen am 01.09.2024.