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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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der und deren Salonfähigkeit sorgen. Und der Bauer? in frühern Zeiten wurde
ihm der feste Grund und Boden unter seinen Füßen weggezogen und jetzt kommt
ihm sogar sein ärmlicher Speisesaal abhanden. Das ist zu arg. Er schnappt also
nach Luft. Der Gutsbesitzer könnte diesen Hiatus mit einigen liebreich gespende¬
ten Getraidesäcken ans seinen Privatmagazinen beschwichtigen, aber sein Egoismus
läßt es auf's Aeußerste ankommen, er wartet, bis die Leute Viehtrauk und Heu
fressen, wie dies in Lievland geschehen ist. Da schärft denn der Bauer am Ende
seinen Blick, er sieht weiter als es dem Gutsherrn lieb ist, er will Früchte bre¬
chen von einem neuen Baume der Erkenntniß, er will zu jedem Preis als Mensch
leben, und sollt' er darüber den Letten, den Lutheraner opfern.

Wie ist es nur von Seiten der deutschen Gutsbesitzer möglich gewesen, die
Sache so weit kommen zu lassen. Sah mau nicht ein, daß ein unselbstständiger Mensch,
wie der Lette, wenn er außer dein Bereiche der Liebe steht, wenn er durch Erzie¬
hung aller materiellen und geistigen Förderungen gänzlich isolirt wird, nothwendig nach
einer Seite hinschwankcn muß, mich wenn er uicht weiß, was sie ihm bieten mag?
Hier könnte man sagen, daß der Egoismus sich zerstörend auf den Egoismus sel¬
ber zurückbog. Denn wenn die ganze Bauerschaft oder der größte Theil derselben
zufolge des Hungers oder schlechter Nahrungsmittel daniederliegt, wer will die
Hofesfelder bebauen und die Nigai'schen und Privatmagazine füllen, wer die fran¬
zösischen und englischen Hauslehrer herbeischaffe", wer eine reiche Erbin in Aus¬
sicht stellen? Alles liegt mit dem Bauer darnieder. Und wenn ihm in dieser Lage
die Schaar der Popen das Bild des Gekreuzigten entgegenhält und er sich an
demselben emporrichtet, ist das nicht für die Gutsherren gleich der von ihnen be-
strittenen Freizügigkeit in russische Gouvernements zu erachten, denn für sie als
Lutheraner fallen in des Bauers Dienstarbeit die unzähligen russischen Festtage
aus, mit diesen das Privilegium der schnellern Gelderwerbung, derjenigen Nach¬
theile zu geschweige!!, welche durch Ueberpflanzung der griechischen Religion und
des Russeuthums für das germanische Princip, für eine Idee erwachsen, wenn
diese überhaupt ein wenig in Anschlag gebracht werden soll.

(Zweite Abtheilung si-lgt.)




der und deren Salonfähigkeit sorgen. Und der Bauer? in frühern Zeiten wurde
ihm der feste Grund und Boden unter seinen Füßen weggezogen und jetzt kommt
ihm sogar sein ärmlicher Speisesaal abhanden. Das ist zu arg. Er schnappt also
nach Luft. Der Gutsbesitzer könnte diesen Hiatus mit einigen liebreich gespende¬
ten Getraidesäcken ans seinen Privatmagazinen beschwichtigen, aber sein Egoismus
läßt es auf's Aeußerste ankommen, er wartet, bis die Leute Viehtrauk und Heu
fressen, wie dies in Lievland geschehen ist. Da schärft denn der Bauer am Ende
seinen Blick, er sieht weiter als es dem Gutsherrn lieb ist, er will Früchte bre¬
chen von einem neuen Baume der Erkenntniß, er will zu jedem Preis als Mensch
leben, und sollt' er darüber den Letten, den Lutheraner opfern.

Wie ist es nur von Seiten der deutschen Gutsbesitzer möglich gewesen, die
Sache so weit kommen zu lassen. Sah mau nicht ein, daß ein unselbstständiger Mensch,
wie der Lette, wenn er außer dein Bereiche der Liebe steht, wenn er durch Erzie¬
hung aller materiellen und geistigen Förderungen gänzlich isolirt wird, nothwendig nach
einer Seite hinschwankcn muß, mich wenn er uicht weiß, was sie ihm bieten mag?
Hier könnte man sagen, daß der Egoismus sich zerstörend auf den Egoismus sel¬
ber zurückbog. Denn wenn die ganze Bauerschaft oder der größte Theil derselben
zufolge des Hungers oder schlechter Nahrungsmittel daniederliegt, wer will die
Hofesfelder bebauen und die Nigai'schen und Privatmagazine füllen, wer die fran¬
zösischen und englischen Hauslehrer herbeischaffe», wer eine reiche Erbin in Aus¬
sicht stellen? Alles liegt mit dem Bauer darnieder. Und wenn ihm in dieser Lage
die Schaar der Popen das Bild des Gekreuzigten entgegenhält und er sich an
demselben emporrichtet, ist das nicht für die Gutsherren gleich der von ihnen be-
strittenen Freizügigkeit in russische Gouvernements zu erachten, denn für sie als
Lutheraner fallen in des Bauers Dienstarbeit die unzähligen russischen Festtage
aus, mit diesen das Privilegium der schnellern Gelderwerbung, derjenigen Nach¬
theile zu geschweige!!, welche durch Ueberpflanzung der griechischen Religion und
des Russeuthums für das germanische Princip, für eine Idee erwachsen, wenn
diese überhaupt ein wenig in Anschlag gebracht werden soll.

(Zweite Abtheilung si-lgt.)




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[0508] der und deren Salonfähigkeit sorgen. Und der Bauer? in frühern Zeiten wurde ihm der feste Grund und Boden unter seinen Füßen weggezogen und jetzt kommt ihm sogar sein ärmlicher Speisesaal abhanden. Das ist zu arg. Er schnappt also nach Luft. Der Gutsbesitzer könnte diesen Hiatus mit einigen liebreich gespende¬ ten Getraidesäcken ans seinen Privatmagazinen beschwichtigen, aber sein Egoismus läßt es auf's Aeußerste ankommen, er wartet, bis die Leute Viehtrauk und Heu fressen, wie dies in Lievland geschehen ist. Da schärft denn der Bauer am Ende seinen Blick, er sieht weiter als es dem Gutsherrn lieb ist, er will Früchte bre¬ chen von einem neuen Baume der Erkenntniß, er will zu jedem Preis als Mensch leben, und sollt' er darüber den Letten, den Lutheraner opfern. Wie ist es nur von Seiten der deutschen Gutsbesitzer möglich gewesen, die Sache so weit kommen zu lassen. Sah mau nicht ein, daß ein unselbstständiger Mensch, wie der Lette, wenn er außer dein Bereiche der Liebe steht, wenn er durch Erzie¬ hung aller materiellen und geistigen Förderungen gänzlich isolirt wird, nothwendig nach einer Seite hinschwankcn muß, mich wenn er uicht weiß, was sie ihm bieten mag? Hier könnte man sagen, daß der Egoismus sich zerstörend auf den Egoismus sel¬ ber zurückbog. Denn wenn die ganze Bauerschaft oder der größte Theil derselben zufolge des Hungers oder schlechter Nahrungsmittel daniederliegt, wer will die Hofesfelder bebauen und die Nigai'schen und Privatmagazine füllen, wer die fran¬ zösischen und englischen Hauslehrer herbeischaffe», wer eine reiche Erbin in Aus¬ sicht stellen? Alles liegt mit dem Bauer darnieder. Und wenn ihm in dieser Lage die Schaar der Popen das Bild des Gekreuzigten entgegenhält und er sich an demselben emporrichtet, ist das nicht für die Gutsherren gleich der von ihnen be- strittenen Freizügigkeit in russische Gouvernements zu erachten, denn für sie als Lutheraner fallen in des Bauers Dienstarbeit die unzähligen russischen Festtage aus, mit diesen das Privilegium der schnellern Gelderwerbung, derjenigen Nach¬ theile zu geschweige!!, welche durch Ueberpflanzung der griechischen Religion und des Russeuthums für das germanische Princip, für eine Idee erwachsen, wenn diese überhaupt ein wenig in Anschlag gebracht werden soll. (Zweite Abtheilung si-lgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/508>, abgerufen am 09.11.2024.