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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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kein umfassenderes Princip, sondern nur enge, zunächst liegende Vortheile berück¬
sichtigte. Man ließ sich gehen, lebte in den Tag hinein und überließ es andern
Mächten, mit rationalistischen Fernblick die Zukunft zu gestalten.

Das ist überhaupt der Fluch eines jeden aristokratisch-feudalistischen Staa¬
tes, daß die einzelnen Besitzergreifer desselben beim Vertheilen des Landes ein
zu großes Stück Territorium für sich erhielten. Was sollen sie sich noch viel
um das Gesammtwohl bekümmern, da sie ja gleichsam eiuen kleinen Staat mit
besondern Gntshoheitsinteressen empfingen, die sie hinlänglich beschäftigen. So
ward der Blick eines jeden durch die Greuze seines Gebietes bornirt, was
darüber hinauslag, mochte dem andern Gntsautokraten überlassen bleiben.
Wenn nur das eigene Haus, die eigene Familie sicher steht! Seine Politik
ist weiter nichts als Familienpolitik. Der Herr, welcher unter dem Namen
König, Herzog ze. die Gesammtheit vertritt, steht seine Wirksamkeit endlich zu
einem Abstraetum verflüchtigt, welches er nicht bethätigen kann, indem ihm mit
jeder Gutsgrcuze ein Querstrich gemacht wird. Erst wenn das Staatsoberhaupt
versucht, die Privatinteressen des Gutsherrn für das Gesammtwohl in Anspruch
zu nehmen, kommt dieser und meist in empörerische Bewegung. Ein außer diesen
Gutsdynasten stehender Staat mit gefeiterer Einheit wird endlich in die Fugen
dieser lose aneinander hängenden Staatskörper hineingreifen und mit dem lliviclo
et imsxzra! zunächst die Einzelnen und hernach das Ganze überwinden. Das that
Rußland.

Man sieht hieraus, wie schwer es bei solchen Verhältnissen hielt, sich wie in
andern Dingen, so namentlich für ein Princip zu vereinbaren, welches von den
Gutsherrn auf seine untergebenen Letten übergehend, diese gegen Rußlands Um¬
wandlungsversuche in religiöser und hernach in sprachlich - volksthümlicher Beziehung
hätte schützen können.

Und noch etwas anderes erschwerte die Kräftigung des germanischen Principes
in den Ostseeprovinzen. Vergleichen wir damit Preußen. Es ist bekannt, daß
nach der Eroberung dieses Landes die dortige slavische Bevölkerung bald von der
germanischen umgewandelt wurde. Ganz natürlich, denn die deutsche Bildung,
welche von Süden her, auch wenn es die Besitzergreifer des Landes nicht gewollt
hätten, dem Eroberungszuge gleichsam nachschoß, konnte in Beziehung auf die
Ureinwohner nicht so leicht abgewiesen werden. Der Zug der Eroberer, der sich
in Preußen mehr concentrirt und verdichtet hatte, explodirte dann, aber in ver¬
einzelten Richtungen nach Osten hin und entzog sich inmitten der Fichtenwälder
dem nachhaltigen Einflüsse jener deutschen Bildung und somit auch der Öffent¬
lichkeit, die immer im Gefolge der erstern ist. Man denke sich ferner nach Norden
hin das wüste Meer, welches vorerst nur verworrenes Wogengetümmel an's Land
wirft, so wie dem Küstenstriche überhaupt, die vor sich das Meer und hinter sich


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kein umfassenderes Princip, sondern nur enge, zunächst liegende Vortheile berück¬
sichtigte. Man ließ sich gehen, lebte in den Tag hinein und überließ es andern
Mächten, mit rationalistischen Fernblick die Zukunft zu gestalten.

Das ist überhaupt der Fluch eines jeden aristokratisch-feudalistischen Staa¬
tes, daß die einzelnen Besitzergreifer desselben beim Vertheilen des Landes ein
zu großes Stück Territorium für sich erhielten. Was sollen sie sich noch viel
um das Gesammtwohl bekümmern, da sie ja gleichsam eiuen kleinen Staat mit
besondern Gntshoheitsinteressen empfingen, die sie hinlänglich beschäftigen. So
ward der Blick eines jeden durch die Greuze seines Gebietes bornirt, was
darüber hinauslag, mochte dem andern Gntsautokraten überlassen bleiben.
Wenn nur das eigene Haus, die eigene Familie sicher steht! Seine Politik
ist weiter nichts als Familienpolitik. Der Herr, welcher unter dem Namen
König, Herzog ze. die Gesammtheit vertritt, steht seine Wirksamkeit endlich zu
einem Abstraetum verflüchtigt, welches er nicht bethätigen kann, indem ihm mit
jeder Gutsgrcuze ein Querstrich gemacht wird. Erst wenn das Staatsoberhaupt
versucht, die Privatinteressen des Gutsherrn für das Gesammtwohl in Anspruch
zu nehmen, kommt dieser und meist in empörerische Bewegung. Ein außer diesen
Gutsdynasten stehender Staat mit gefeiterer Einheit wird endlich in die Fugen
dieser lose aneinander hängenden Staatskörper hineingreifen und mit dem lliviclo
et imsxzra! zunächst die Einzelnen und hernach das Ganze überwinden. Das that
Rußland.

Man sieht hieraus, wie schwer es bei solchen Verhältnissen hielt, sich wie in
andern Dingen, so namentlich für ein Princip zu vereinbaren, welches von den
Gutsherrn auf seine untergebenen Letten übergehend, diese gegen Rußlands Um¬
wandlungsversuche in religiöser und hernach in sprachlich - volksthümlicher Beziehung
hätte schützen können.

Und noch etwas anderes erschwerte die Kräftigung des germanischen Principes
in den Ostseeprovinzen. Vergleichen wir damit Preußen. Es ist bekannt, daß
nach der Eroberung dieses Landes die dortige slavische Bevölkerung bald von der
germanischen umgewandelt wurde. Ganz natürlich, denn die deutsche Bildung,
welche von Süden her, auch wenn es die Besitzergreifer des Landes nicht gewollt
hätten, dem Eroberungszuge gleichsam nachschoß, konnte in Beziehung auf die
Ureinwohner nicht so leicht abgewiesen werden. Der Zug der Eroberer, der sich
in Preußen mehr concentrirt und verdichtet hatte, explodirte dann, aber in ver¬
einzelten Richtungen nach Osten hin und entzog sich inmitten der Fichtenwälder
dem nachhaltigen Einflüsse jener deutschen Bildung und somit auch der Öffent¬
lichkeit, die immer im Gefolge der erstern ist. Man denke sich ferner nach Norden
hin das wüste Meer, welches vorerst nur verworrenes Wogengetümmel an's Land
wirft, so wie dem Küstenstriche überhaupt, die vor sich das Meer und hinter sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/503>, abgerufen am 01.09.2024.