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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Wunschformular in der Tasche, die Popen begrüßen und bestärken sie in leisem
Zwiegespräch in dem beabsichtigten Uebertritt. Zum Teufel! ein Bauer meinte,
"wenn mir einer sein Pferd mit einem starken Aufgelde zum Tausche anbietet, so
muß doch dies Pferd viel schlechter sein." Still! still! daß es die andern nicht
hören. Nun wird laut gesprochen: barmherzige, salbungsreiche Reden! Ein Herr
von P..s entdeckt Plötzlich an der Brust des Tschinowuiks einen Orden. Er er¬
klärt, daß er, der erste Edelmann, freiwillig den Bau einer griechischen Kirche
auf seinem Gute übernehmen wolle. Was, einige Bauern macheu Schwierigkeiten?
man lasse nur einmal den Gensd'armen auftreten. Ach, das Landvolk ist so
schüchtern, so gepreßt, so zurückhaltend: Kurzum: es macht sich! In einem Lande,
no Niemand recht weiß, woran er ist, in dieser von keinerlei Art von Öffentlich¬
keit erhellten Ungewißheit verfolgt man mit entschiedener Planmäßigkeit seine Zwecke,
dem Grundsatze gemäß, der nicht erst von gestern stammt: "im Dunkeln ist gut
munkeln!"

Jener Ukas, wegen einer sechsmonatlichen Bedenkzeit, war schon lange er¬
schienen. Trotzdem aber muß man geheim fortgefahren haben, jenes Seclenland
in Aussicht zu stellen, in Folge dessen ein bedrohlicher Bauernaufstand auf der
Insel Oesel ausbrach. Aus dem Marktplatze von Arensburg hatten sich tausend
Landleute versammelt, welche erklären, sie würden zur griechischen Kirche übergehn,
wenn man ihnen freien Landbesitz gewähren wolle. Während man hierüber ver¬
handelt, werden aus der Mitte der Bauern Stimmen laut: "auf die Edelleute
müsse man los und die Tyrannen verjagen." Man schickt schleunigst nach Riga.
Gras Tolstoi, der im Palais des Geueralgouverueurs wohnt und besonders zu
religiösen Aufträgen verwandt wird, reist ab, die wenigen aus der Insel verstreuten
Truppen ziehen sich zusammen, man ergreift einige Stimmführer, der Aufstand ist
in der Geburt erstickt. Und die Regierung nimmt das Ihrige daraus, sie weist
auf dies Factum als ein Denkmal hiu, welches gegen die Oesel'sche Ritterschaft
zeugt. Vou Neuem entsendet sie ihre Popen, um diese aufgeregten Strömungen
in den geräumigen Hafen ihrer Kirche hineinzuleiten. Vielleicht sind jenes auch
nur künstliche Unruhen, damit der Staat Gelegenheit erhalte, sich schicklicherweise
einzumischen.

Der einzige Damm gegen die Bestrebungen zur Umwandlung der lettischen
Nationalität konnte nnr von dem deutschen Adel der Ostseeprovinzen gesetzt werden,
wenn er verstanden hätte, das Volk durch Theilnahme an dessen materiellen. Lei¬
den, durch die Baude der Liebe und des Vertrauens zu sich heranzuziehen und
gleichsam mit sich verwachsen zu lassen. Doch hiermit ist es gegenwärtig fast zu
spät. Wenn es sich um die Rettung des germanischen Princips und um die
Erweiterung desselben im Gegensatze zum slavischen handelte, ans welches erstere
man sich jetzt zu berufen pflegt, so belehren uns schon die frühern Jahrhunderte,
daß man in Rücksicht darauf so unpolitisch als möglich verfuhr, indem man eben


Wunschformular in der Tasche, die Popen begrüßen und bestärken sie in leisem
Zwiegespräch in dem beabsichtigten Uebertritt. Zum Teufel! ein Bauer meinte,
„wenn mir einer sein Pferd mit einem starken Aufgelde zum Tausche anbietet, so
muß doch dies Pferd viel schlechter sein." Still! still! daß es die andern nicht
hören. Nun wird laut gesprochen: barmherzige, salbungsreiche Reden! Ein Herr
von P..s entdeckt Plötzlich an der Brust des Tschinowuiks einen Orden. Er er¬
klärt, daß er, der erste Edelmann, freiwillig den Bau einer griechischen Kirche
auf seinem Gute übernehmen wolle. Was, einige Bauern macheu Schwierigkeiten?
man lasse nur einmal den Gensd'armen auftreten. Ach, das Landvolk ist so
schüchtern, so gepreßt, so zurückhaltend: Kurzum: es macht sich! In einem Lande,
no Niemand recht weiß, woran er ist, in dieser von keinerlei Art von Öffentlich¬
keit erhellten Ungewißheit verfolgt man mit entschiedener Planmäßigkeit seine Zwecke,
dem Grundsatze gemäß, der nicht erst von gestern stammt: „im Dunkeln ist gut
munkeln!"

Jener Ukas, wegen einer sechsmonatlichen Bedenkzeit, war schon lange er¬
schienen. Trotzdem aber muß man geheim fortgefahren haben, jenes Seclenland
in Aussicht zu stellen, in Folge dessen ein bedrohlicher Bauernaufstand auf der
Insel Oesel ausbrach. Aus dem Marktplatze von Arensburg hatten sich tausend
Landleute versammelt, welche erklären, sie würden zur griechischen Kirche übergehn,
wenn man ihnen freien Landbesitz gewähren wolle. Während man hierüber ver¬
handelt, werden aus der Mitte der Bauern Stimmen laut: „auf die Edelleute
müsse man los und die Tyrannen verjagen." Man schickt schleunigst nach Riga.
Gras Tolstoi, der im Palais des Geueralgouverueurs wohnt und besonders zu
religiösen Aufträgen verwandt wird, reist ab, die wenigen aus der Insel verstreuten
Truppen ziehen sich zusammen, man ergreift einige Stimmführer, der Aufstand ist
in der Geburt erstickt. Und die Regierung nimmt das Ihrige daraus, sie weist
auf dies Factum als ein Denkmal hiu, welches gegen die Oesel'sche Ritterschaft
zeugt. Vou Neuem entsendet sie ihre Popen, um diese aufgeregten Strömungen
in den geräumigen Hafen ihrer Kirche hineinzuleiten. Vielleicht sind jenes auch
nur künstliche Unruhen, damit der Staat Gelegenheit erhalte, sich schicklicherweise
einzumischen.

Der einzige Damm gegen die Bestrebungen zur Umwandlung der lettischen
Nationalität konnte nnr von dem deutschen Adel der Ostseeprovinzen gesetzt werden,
wenn er verstanden hätte, das Volk durch Theilnahme an dessen materiellen. Lei¬
den, durch die Baude der Liebe und des Vertrauens zu sich heranzuziehen und
gleichsam mit sich verwachsen zu lassen. Doch hiermit ist es gegenwärtig fast zu
spät. Wenn es sich um die Rettung des germanischen Princips und um die
Erweiterung desselben im Gegensatze zum slavischen handelte, ans welches erstere
man sich jetzt zu berufen pflegt, so belehren uns schon die frühern Jahrhunderte,
daß man in Rücksicht darauf so unpolitisch als möglich verfuhr, indem man eben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/502>, abgerufen am 01.09.2024.