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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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In einem Volke, welches lange hungerte, entscheidet nicht der Kopf, sondern der
Magen.

Konnte sie diese Vortheile von den in den Ostseeprovinzen ansässigen Deut¬
schen erwarten? Leider nein! Nur zu gut weiß der Leite von seinem Vater,
Großvater und so immer weiter überlieferungögemäß, daß er Jahrhunderte lang
ini äußersten Drucke lebte, und daß sein Herr dasjenige in einem Zeiträume von
wenigen Monaten nicht bewilligen wird, wozu er sich in einer solchen Reihe, von
Jahren nicht verstand. Daher greift er auf die andere Seite nach dem Coloß
hin, und sollt' er auch weiter nichts als Luft fassen: er hat doch Gelegenheit zu
athmen und aus seiner Beschränkung einmal in's Unendliche hineinzusteuern, um
die Gerechtigkeit zu erreichen, die durch den Spruch: Gott und der Czaar ist
weit! sich allerdings in eine Thule verwandelt, aber doch seinen Gedanken für
etwaige Möglichkeiten Spielraum gestattet. Und in der That, das Kabinet nimmt
ans diese Entdeckungsreisen Rücksicht, es läßt von nördlichen Borden ein Rettungs¬
boot aus, welches mit -- Versprechungen beladen ist. Perowsky steuert, die Po¬
pen blasen mit vollen Backen die Segel an, Geuöd'armen mit Entrehaken stehen
an der Brüstung, und so zieht das Schiff wohlgemuth an deu Scheu des Adels
vorüber jenem Sehusuchtsdrauge entgegen. Aber die Ladung? Der Bauer will
reelle Vortheile davon haben, er erkundigt sich nach freiem BeWhume, nach
dem Seelenlande, das er als Lohn seines Uebertritts erhalten soll. Daß der¬
gleichen Versprechungen, ohne die Möglichkeit, dieselben zu erfüllen, von fanatischen
Popen gemacht und von der Regierung, wenn auch nicht offiziell, doch in der
Praxis gestattet würden, steht außer allem Zweifel. Erst als man vom Auslande
her das hiesige Publikum auf diese Angelegenheit mißbilligend aufmerksam machte,
fühlte sich das Kabinet veranlaßt, jene Versprechungen lediglich auf die Segnungen
zu beschränken, welche ans der orthodoxen Küche ersprießen sollen. Ja, nach ei¬
nem Ukas soll für diejenigen, welche übertreten wollen, eine sechsmonatliche Be¬
denkzeit verordnet werden. Aber was hilft's? Die Popen sind einmal da und
operiren von den im Lande neuerrichteten griechischen Kirchen ans nach allen
Richtungen des Landes hin. Ich trete in eine Buchdruckern und erfahre, daß
30,000 Billets bereit liegen. Auf ihnen stehen nebst Datum des Empfan¬
ges die Wunschfvrmnlare, durch welche sich die Bauern, unter die sie vertheilt
werden, uach Verlauf des halben Jahres für den Uebertritt legitimiren sollen.
Die Popen werden unterdeß jenen Wunsch schon anschwellen, daß er wie ein
segelfertiges Schiff geradewegs in ihren Hafen läuft. Wer will sie beaufsichtigen,
wenn sie versprechen, wer sie anklagen, wenn sie nicht Wort halten: sie könnten
sich, wie dies geschehen ist, auf geheime Jnstructionen berufen, die immer neben
den officiell ausgesprochenen Ukasen ausgefertigt werden. Zugleich durchreisen be¬
auftragte Tschiuowuikö das Land, suchen geeignete Plätze aus und erklären, da
keimte wohl eine griechische Kirche stehe". Die Bauer" eilen herbei mit ihrem


In einem Volke, welches lange hungerte, entscheidet nicht der Kopf, sondern der
Magen.

Konnte sie diese Vortheile von den in den Ostseeprovinzen ansässigen Deut¬
schen erwarten? Leider nein! Nur zu gut weiß der Leite von seinem Vater,
Großvater und so immer weiter überlieferungögemäß, daß er Jahrhunderte lang
ini äußersten Drucke lebte, und daß sein Herr dasjenige in einem Zeiträume von
wenigen Monaten nicht bewilligen wird, wozu er sich in einer solchen Reihe, von
Jahren nicht verstand. Daher greift er auf die andere Seite nach dem Coloß
hin, und sollt' er auch weiter nichts als Luft fassen: er hat doch Gelegenheit zu
athmen und aus seiner Beschränkung einmal in's Unendliche hineinzusteuern, um
die Gerechtigkeit zu erreichen, die durch den Spruch: Gott und der Czaar ist
weit! sich allerdings in eine Thule verwandelt, aber doch seinen Gedanken für
etwaige Möglichkeiten Spielraum gestattet. Und in der That, das Kabinet nimmt
ans diese Entdeckungsreisen Rücksicht, es läßt von nördlichen Borden ein Rettungs¬
boot aus, welches mit — Versprechungen beladen ist. Perowsky steuert, die Po¬
pen blasen mit vollen Backen die Segel an, Geuöd'armen mit Entrehaken stehen
an der Brüstung, und so zieht das Schiff wohlgemuth an deu Scheu des Adels
vorüber jenem Sehusuchtsdrauge entgegen. Aber die Ladung? Der Bauer will
reelle Vortheile davon haben, er erkundigt sich nach freiem BeWhume, nach
dem Seelenlande, das er als Lohn seines Uebertritts erhalten soll. Daß der¬
gleichen Versprechungen, ohne die Möglichkeit, dieselben zu erfüllen, von fanatischen
Popen gemacht und von der Regierung, wenn auch nicht offiziell, doch in der
Praxis gestattet würden, steht außer allem Zweifel. Erst als man vom Auslande
her das hiesige Publikum auf diese Angelegenheit mißbilligend aufmerksam machte,
fühlte sich das Kabinet veranlaßt, jene Versprechungen lediglich auf die Segnungen
zu beschränken, welche ans der orthodoxen Küche ersprießen sollen. Ja, nach ei¬
nem Ukas soll für diejenigen, welche übertreten wollen, eine sechsmonatliche Be¬
denkzeit verordnet werden. Aber was hilft's? Die Popen sind einmal da und
operiren von den im Lande neuerrichteten griechischen Kirchen ans nach allen
Richtungen des Landes hin. Ich trete in eine Buchdruckern und erfahre, daß
30,000 Billets bereit liegen. Auf ihnen stehen nebst Datum des Empfan¬
ges die Wunschfvrmnlare, durch welche sich die Bauern, unter die sie vertheilt
werden, uach Verlauf des halben Jahres für den Uebertritt legitimiren sollen.
Die Popen werden unterdeß jenen Wunsch schon anschwellen, daß er wie ein
segelfertiges Schiff geradewegs in ihren Hafen läuft. Wer will sie beaufsichtigen,
wenn sie versprechen, wer sie anklagen, wenn sie nicht Wort halten: sie könnten
sich, wie dies geschehen ist, auf geheime Jnstructionen berufen, die immer neben
den officiell ausgesprochenen Ukasen ausgefertigt werden. Zugleich durchreisen be¬
auftragte Tschiuowuikö das Land, suchen geeignete Plätze aus und erklären, da
keimte wohl eine griechische Kirche stehe». Die Bauer» eilen herbei mit ihrem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/501>, abgerufen am 01.09.2024.