Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

will man es dauernd wiedergewinnen, man fangt an, sich in deutsch-vaterländi¬
schen Bezirken heimisch zu fühlen, man sieht scharf in die Nähe, man will sich
nicht mehr in Kunst und Literatur uach hundert fremdländischen Regionen zersplit¬
tern, man spürt, daß der Kern der Intelligenz und des politischen Selbstvertrauens
in der deutschen Nation niedergelegt ist. Und wenn er auch uur erst für das
große Ganze in dem Helldunkel der sich instinktmäßig andeutenden Gemüthswelt
ruht, wir knüpfen darau unermeßliche Hoffnungen für die Zukunft und schauen
in diese wie in eine umgekehrte Vergangenheit, welche uns auf historischem Wege
belehrt, daß jede Nation groß wurde, welche sich von unten auf, ans dem Kerne,
nach der Höhe hin entwickelte. So die griechische in Folge der durch Solon er-
neuerten Verfassung, indem der Senat, jene oberste Regierungsbehörde, bei sei¬
nem jedes Jahr erfolgenden Wechsel deu aus dein untern Volke nachschießenden
Kräften durch Theilnahme an dem Regierungsgeschäft die Möglichkeit der Entfal¬
tung und des Sichbewußtwerdens gestattete. Wenn Jeder am Staate baut oder
doch bauen kann, so ist durch so und so viel freiwillig und mit Klarheit schaffende
Arbeiter eine größere Erndte zu erwarte". Wir de"ten hier aber zunächst an die
innere und nicht an die äußere Größe Griechenlands, obwohl beide aus die Dauer
sich wie Grund und Folge zu einander verhalten. Oder will man, um beide in
ihrer Einheit zu erkennen, England als Beispiel nehmen? Man verfolge seine
Geschichte, und man wird eingestehen, daß seine noch stets fortschreitende Größe
ans der Werkstätte der sich organisch bildenden Natur hervorging.

Und so ist Deutschland nicht groß, weil es etwa zwölftausend Q-uadratmcilen
umfaßt, es wird erst groß sein, wenn es sich ans dem Centrum heraus mit
schützenden Aesten nach allen seinen Grenzen hin entfaltet. Eine unmittelbare
Folge werden dann auch jene äußern Größenverhältnisse sein, welche an der eng¬
lischen Nation, ohne daß sie von dieser durch spekulirende Fernsicht entdeckt wor¬
den wären, in so zu sagen naivwelthistorischer Weise zu Tage kamen. Ja, wir
vernehmen schon jetzt in Deutschland deu Ruf nach jener äußern Große. Patrioten
geben, auf erhabenem Standpunkten das Ganze überschauend, von ihrer Grcn-
bcsichtiguug Kunde, wie hier und dort von fremden Nationen ein Stück abgerissen
wurde und audere Gefahr laufen, abgerissen zu werden, man müsse sich verdichten
und zusammenschließen und die Seitenäste wieder gewinnen, die in kopf- und
regimentslosen Zeiten, vom Staatskörper abgehauen wurden; um die Wiedecher-
stelluug des alten heiligen römischen Reiches handle es sich, nicht allein das Elsaß,
sondern auch die russischen Ostseeprovinzen hätten dazu gehört u. s. w.

Wohlgemeint allerdings, aber auch etwas voreilig! Die Deutschen haben z"
lauge in literaturhistvrischer, geographischer ^c. Weise über sich hinansgegriffen,
als daß sie es nicht zuvörderst auch in politischer thun sollte". Das so lange
begackerte El der Einheit und Reichsverfassung ist leider noch nicht gelegt. Erst
die zunächst liegende zersplitterte Nation zum Diamanten verdichtet, später nach


will man es dauernd wiedergewinnen, man fangt an, sich in deutsch-vaterländi¬
schen Bezirken heimisch zu fühlen, man sieht scharf in die Nähe, man will sich
nicht mehr in Kunst und Literatur uach hundert fremdländischen Regionen zersplit¬
tern, man spürt, daß der Kern der Intelligenz und des politischen Selbstvertrauens
in der deutschen Nation niedergelegt ist. Und wenn er auch uur erst für das
große Ganze in dem Helldunkel der sich instinktmäßig andeutenden Gemüthswelt
ruht, wir knüpfen darau unermeßliche Hoffnungen für die Zukunft und schauen
in diese wie in eine umgekehrte Vergangenheit, welche uns auf historischem Wege
belehrt, daß jede Nation groß wurde, welche sich von unten auf, ans dem Kerne,
nach der Höhe hin entwickelte. So die griechische in Folge der durch Solon er-
neuerten Verfassung, indem der Senat, jene oberste Regierungsbehörde, bei sei¬
nem jedes Jahr erfolgenden Wechsel deu aus dein untern Volke nachschießenden
Kräften durch Theilnahme an dem Regierungsgeschäft die Möglichkeit der Entfal¬
tung und des Sichbewußtwerdens gestattete. Wenn Jeder am Staate baut oder
doch bauen kann, so ist durch so und so viel freiwillig und mit Klarheit schaffende
Arbeiter eine größere Erndte zu erwarte». Wir de»ten hier aber zunächst an die
innere und nicht an die äußere Größe Griechenlands, obwohl beide aus die Dauer
sich wie Grund und Folge zu einander verhalten. Oder will man, um beide in
ihrer Einheit zu erkennen, England als Beispiel nehmen? Man verfolge seine
Geschichte, und man wird eingestehen, daß seine noch stets fortschreitende Größe
ans der Werkstätte der sich organisch bildenden Natur hervorging.

Und so ist Deutschland nicht groß, weil es etwa zwölftausend Q-uadratmcilen
umfaßt, es wird erst groß sein, wenn es sich ans dem Centrum heraus mit
schützenden Aesten nach allen seinen Grenzen hin entfaltet. Eine unmittelbare
Folge werden dann auch jene äußern Größenverhältnisse sein, welche an der eng¬
lischen Nation, ohne daß sie von dieser durch spekulirende Fernsicht entdeckt wor¬
den wären, in so zu sagen naivwelthistorischer Weise zu Tage kamen. Ja, wir
vernehmen schon jetzt in Deutschland deu Ruf nach jener äußern Große. Patrioten
geben, auf erhabenem Standpunkten das Ganze überschauend, von ihrer Grcn-
bcsichtiguug Kunde, wie hier und dort von fremden Nationen ein Stück abgerissen
wurde und audere Gefahr laufen, abgerissen zu werden, man müsse sich verdichten
und zusammenschließen und die Seitenäste wieder gewinnen, die in kopf- und
regimentslosen Zeiten, vom Staatskörper abgehauen wurden; um die Wiedecher-
stelluug des alten heiligen römischen Reiches handle es sich, nicht allein das Elsaß,
sondern auch die russischen Ostseeprovinzen hätten dazu gehört u. s. w.

Wohlgemeint allerdings, aber auch etwas voreilig! Die Deutschen haben z»
lauge in literaturhistvrischer, geographischer ^c. Weise über sich hinansgegriffen,
als daß sie es nicht zuvörderst auch in politischer thun sollte». Das so lange
begackerte El der Einheit und Reichsverfassung ist leider noch nicht gelegt. Erst
die zunächst liegende zersplitterte Nation zum Diamanten verdichtet, später nach


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0496" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184656"/>
            <p xml:id="ID_1753" prev="#ID_1752"> will man es dauernd wiedergewinnen, man fangt an, sich in deutsch-vaterländi¬<lb/>
schen Bezirken heimisch zu fühlen, man sieht scharf in die Nähe, man will sich<lb/>
nicht mehr in Kunst und Literatur uach hundert fremdländischen Regionen zersplit¬<lb/>
tern, man spürt, daß der Kern der Intelligenz und des politischen Selbstvertrauens<lb/>
in der deutschen Nation niedergelegt ist. Und wenn er auch uur erst für das<lb/>
große Ganze in dem Helldunkel der sich instinktmäßig andeutenden Gemüthswelt<lb/>
ruht, wir knüpfen darau unermeßliche Hoffnungen für die Zukunft und schauen<lb/>
in diese wie in eine umgekehrte Vergangenheit, welche uns auf historischem Wege<lb/>
belehrt, daß jede Nation groß wurde, welche sich von unten auf, ans dem Kerne,<lb/>
nach der Höhe hin entwickelte. So die griechische in Folge der durch Solon er-<lb/>
neuerten Verfassung, indem der Senat, jene oberste Regierungsbehörde, bei sei¬<lb/>
nem jedes Jahr erfolgenden Wechsel deu aus dein untern Volke nachschießenden<lb/>
Kräften durch Theilnahme an dem Regierungsgeschäft die Möglichkeit der Entfal¬<lb/>
tung und des Sichbewußtwerdens gestattete. Wenn Jeder am Staate baut oder<lb/>
doch bauen kann, so ist durch so und so viel freiwillig und mit Klarheit schaffende<lb/>
Arbeiter eine größere Erndte zu erwarte». Wir de»ten hier aber zunächst an die<lb/>
innere und nicht an die äußere Größe Griechenlands, obwohl beide aus die Dauer<lb/>
sich wie Grund und Folge zu einander verhalten. Oder will man, um beide in<lb/>
ihrer Einheit zu erkennen, England als Beispiel nehmen? Man verfolge seine<lb/>
Geschichte, und man wird eingestehen, daß seine noch stets fortschreitende Größe<lb/>
ans der Werkstätte der sich organisch bildenden Natur hervorging.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1754"> Und so ist Deutschland nicht groß, weil es etwa zwölftausend Q-uadratmcilen<lb/>
umfaßt, es wird erst groß sein, wenn es sich ans dem Centrum heraus mit<lb/>
schützenden Aesten nach allen seinen Grenzen hin entfaltet. Eine unmittelbare<lb/>
Folge werden dann auch jene äußern Größenverhältnisse sein, welche an der eng¬<lb/>
lischen Nation, ohne daß sie von dieser durch spekulirende Fernsicht entdeckt wor¬<lb/>
den wären, in so zu sagen naivwelthistorischer Weise zu Tage kamen. Ja, wir<lb/>
vernehmen schon jetzt in Deutschland deu Ruf nach jener äußern Große. Patrioten<lb/>
geben, auf erhabenem Standpunkten das Ganze überschauend, von ihrer Grcn-<lb/>
bcsichtiguug Kunde, wie hier und dort von fremden Nationen ein Stück abgerissen<lb/>
wurde und audere Gefahr laufen, abgerissen zu werden, man müsse sich verdichten<lb/>
und zusammenschließen und die Seitenäste wieder gewinnen, die in kopf- und<lb/>
regimentslosen Zeiten, vom Staatskörper abgehauen wurden; um die Wiedecher-<lb/>
stelluug des alten heiligen römischen Reiches handle es sich, nicht allein das Elsaß,<lb/>
sondern auch die russischen Ostseeprovinzen hätten dazu gehört u. s. w.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1755" next="#ID_1756"> Wohlgemeint allerdings, aber auch etwas voreilig! Die Deutschen haben z»<lb/>
lauge in literaturhistvrischer, geographischer ^c. Weise über sich hinansgegriffen,<lb/>
als daß sie es nicht zuvörderst auch in politischer thun sollte». Das so lange<lb/>
begackerte El der Einheit und Reichsverfassung ist leider noch nicht gelegt. Erst<lb/>
die zunächst liegende zersplitterte Nation zum Diamanten verdichtet, später nach</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0496] will man es dauernd wiedergewinnen, man fangt an, sich in deutsch-vaterländi¬ schen Bezirken heimisch zu fühlen, man sieht scharf in die Nähe, man will sich nicht mehr in Kunst und Literatur uach hundert fremdländischen Regionen zersplit¬ tern, man spürt, daß der Kern der Intelligenz und des politischen Selbstvertrauens in der deutschen Nation niedergelegt ist. Und wenn er auch uur erst für das große Ganze in dem Helldunkel der sich instinktmäßig andeutenden Gemüthswelt ruht, wir knüpfen darau unermeßliche Hoffnungen für die Zukunft und schauen in diese wie in eine umgekehrte Vergangenheit, welche uns auf historischem Wege belehrt, daß jede Nation groß wurde, welche sich von unten auf, ans dem Kerne, nach der Höhe hin entwickelte. So die griechische in Folge der durch Solon er- neuerten Verfassung, indem der Senat, jene oberste Regierungsbehörde, bei sei¬ nem jedes Jahr erfolgenden Wechsel deu aus dein untern Volke nachschießenden Kräften durch Theilnahme an dem Regierungsgeschäft die Möglichkeit der Entfal¬ tung und des Sichbewußtwerdens gestattete. Wenn Jeder am Staate baut oder doch bauen kann, so ist durch so und so viel freiwillig und mit Klarheit schaffende Arbeiter eine größere Erndte zu erwarte». Wir de»ten hier aber zunächst an die innere und nicht an die äußere Größe Griechenlands, obwohl beide aus die Dauer sich wie Grund und Folge zu einander verhalten. Oder will man, um beide in ihrer Einheit zu erkennen, England als Beispiel nehmen? Man verfolge seine Geschichte, und man wird eingestehen, daß seine noch stets fortschreitende Größe ans der Werkstätte der sich organisch bildenden Natur hervorging. Und so ist Deutschland nicht groß, weil es etwa zwölftausend Q-uadratmcilen umfaßt, es wird erst groß sein, wenn es sich ans dem Centrum heraus mit schützenden Aesten nach allen seinen Grenzen hin entfaltet. Eine unmittelbare Folge werden dann auch jene äußern Größenverhältnisse sein, welche an der eng¬ lischen Nation, ohne daß sie von dieser durch spekulirende Fernsicht entdeckt wor¬ den wären, in so zu sagen naivwelthistorischer Weise zu Tage kamen. Ja, wir vernehmen schon jetzt in Deutschland deu Ruf nach jener äußern Große. Patrioten geben, auf erhabenem Standpunkten das Ganze überschauend, von ihrer Grcn- bcsichtiguug Kunde, wie hier und dort von fremden Nationen ein Stück abgerissen wurde und audere Gefahr laufen, abgerissen zu werden, man müsse sich verdichten und zusammenschließen und die Seitenäste wieder gewinnen, die in kopf- und regimentslosen Zeiten, vom Staatskörper abgehauen wurden; um die Wiedecher- stelluug des alten heiligen römischen Reiches handle es sich, nicht allein das Elsaß, sondern auch die russischen Ostseeprovinzen hätten dazu gehört u. s. w. Wohlgemeint allerdings, aber auch etwas voreilig! Die Deutschen haben z» lauge in literaturhistvrischer, geographischer ^c. Weise über sich hinansgegriffen, als daß sie es nicht zuvörderst auch in politischer thun sollte». Das so lange begackerte El der Einheit und Reichsverfassung ist leider noch nicht gelegt. Erst die zunächst liegende zersplitterte Nation zum Diamanten verdichtet, später nach

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/496
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/496>, abgerufen am 27.07.2024.