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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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befahl, und welche eine so überraschende Abwechselung mit der sonstigen Lieblichkeit
und lachenden Anmuth der Gegend gewähren.

Wenn wir uns eines Vergleiches bedienen dürfen, so erscheint uns die Ge¬
gend Heidelbergs wie ein schönes, sinniges, deutsches Mädchen in der ersten Blüthe
der rosigen Jugend. Ihr Hauptreiz ist ihr großes, klares Ange voll seltener An¬
muth und tiefer Innigkeit. Sie bleibt stets sich gleich und ruhig, verschmäht jede
kleine Gesellschaft, kleidet sich heute so und morgen so, macht jetzt ein lächelndes
und in einem Augenblick darauf ein schmollendes Gesicht, um stets neue Aufmerk¬
samkeit zu errege". Manchem mag sie dadurch hie und da einförmig erscheinen,
und er oft wohl wie nach größerer Mannigfaltigkeit sich sehnen, aber schauet man
dann wieder so recht innig in den reinen Spiegel ihrer Seele, dann wünscht man
sie gerade so und nicht anders, wie sie eben ist, und ihr Blick wird noch in der
fernsten Ferne in unserer Seele haften, wenn wir vielleicht manch' andere glänzendere
Erscheinungen längst schon vergessen haben. Badens Landschaft scheint nnn dagegen
eine junge lebendige Französin zu sein, sie kokettirt gern etwas, liebt Veränderung
"iter Art, zeigt sich jetzt so und im nächsten Anblick wieder so, und ist ganz un¬
erschöpflich in immer reizenden Ueberraschungen. Sie fesselt uns dadurch, wir
folgen ihr gern auf allen diesen phantastischen Sprüngen, denn der Mensch ist
nun einmal gar leicht zu Veränderungen geneigt. So muß sie uns aber auch
anziehen, denn sie scheint es selbst zu fühlen, daß ihr der Hauptreiz der Schön¬
heit, das klare Auge, fast gänzlich fehlt. nennt man doch mit vollem Rechte das
Wasser das Auge der Landschaft. Welcher von Beiden man den Preis erkennt,
kömmt auf den Geschmack eines Jeden an; ein allgemeines Urtheil läßt sich hierin
nicht fällen.

Auch über den Vorzug der Schloßruiuen von Baden und Heidelberg, beide
entschieden die Glanzpunkte der Umgebung dieser Orte, ist schon sowohl von Frem¬
den und mehr uoch von Einheimischen viel hin und her gestritten worden. Ge¬
mein haben Beide, daß sie in jeder Weise zu den schönsten und großartigsten
Ruinen alter Schlösser gehören, die Deutschland nur aufzuweisen hat, und wir
siud doch in Quantität wie Qualität fast reichlich damit versehen. Die Lage der¬
selben ist ziemlich verschieden. Das alte Schloß in Heidelberg liegt unmittelbar
Wer der Stadt, so daß man in die Straßen derselben hinabschauen kann und den Blick
auf die Dächer werfen; das von Baden aber liegt hoch oben auf der Felsenkuppe eines
schön bewaldeten Berges, und es bedarf einer guten halben Stunde, bevor man
dasselbe erreicht; daher auch die Aussicht von Beiden so abweichend. Der Blick vom
Heidelberger Schloß gewinnt seinen Hauptreiz von dem Neckar, der in seinem klaren,
gewundenen Lauf so nahe zu unseren Füßen liegt, daß man fast den Wiederschein
des eigenen Bildes in dem reinen Spiegel seiner Fluche" zu erkenne" glaubt. Sonst
ist Heidelberg zu nahe, als daß es eine malerische Wirkung nicht-dadurch zerstörte,


Grenzboten. IN. 1847. 63

befahl, und welche eine so überraschende Abwechselung mit der sonstigen Lieblichkeit
und lachenden Anmuth der Gegend gewähren.

Wenn wir uns eines Vergleiches bedienen dürfen, so erscheint uns die Ge¬
gend Heidelbergs wie ein schönes, sinniges, deutsches Mädchen in der ersten Blüthe
der rosigen Jugend. Ihr Hauptreiz ist ihr großes, klares Ange voll seltener An¬
muth und tiefer Innigkeit. Sie bleibt stets sich gleich und ruhig, verschmäht jede
kleine Gesellschaft, kleidet sich heute so und morgen so, macht jetzt ein lächelndes
und in einem Augenblick darauf ein schmollendes Gesicht, um stets neue Aufmerk¬
samkeit zu errege». Manchem mag sie dadurch hie und da einförmig erscheinen,
und er oft wohl wie nach größerer Mannigfaltigkeit sich sehnen, aber schauet man
dann wieder so recht innig in den reinen Spiegel ihrer Seele, dann wünscht man
sie gerade so und nicht anders, wie sie eben ist, und ihr Blick wird noch in der
fernsten Ferne in unserer Seele haften, wenn wir vielleicht manch' andere glänzendere
Erscheinungen längst schon vergessen haben. Badens Landschaft scheint nnn dagegen
eine junge lebendige Französin zu sein, sie kokettirt gern etwas, liebt Veränderung
«iter Art, zeigt sich jetzt so und im nächsten Anblick wieder so, und ist ganz un¬
erschöpflich in immer reizenden Ueberraschungen. Sie fesselt uns dadurch, wir
folgen ihr gern auf allen diesen phantastischen Sprüngen, denn der Mensch ist
nun einmal gar leicht zu Veränderungen geneigt. So muß sie uns aber auch
anziehen, denn sie scheint es selbst zu fühlen, daß ihr der Hauptreiz der Schön¬
heit, das klare Auge, fast gänzlich fehlt. nennt man doch mit vollem Rechte das
Wasser das Auge der Landschaft. Welcher von Beiden man den Preis erkennt,
kömmt auf den Geschmack eines Jeden an; ein allgemeines Urtheil läßt sich hierin
nicht fällen.

Auch über den Vorzug der Schloßruiuen von Baden und Heidelberg, beide
entschieden die Glanzpunkte der Umgebung dieser Orte, ist schon sowohl von Frem¬
den und mehr uoch von Einheimischen viel hin und her gestritten worden. Ge¬
mein haben Beide, daß sie in jeder Weise zu den schönsten und großartigsten
Ruinen alter Schlösser gehören, die Deutschland nur aufzuweisen hat, und wir
siud doch in Quantität wie Qualität fast reichlich damit versehen. Die Lage der¬
selben ist ziemlich verschieden. Das alte Schloß in Heidelberg liegt unmittelbar
Wer der Stadt, so daß man in die Straßen derselben hinabschauen kann und den Blick
auf die Dächer werfen; das von Baden aber liegt hoch oben auf der Felsenkuppe eines
schön bewaldeten Berges, und es bedarf einer guten halben Stunde, bevor man
dasselbe erreicht; daher auch die Aussicht von Beiden so abweichend. Der Blick vom
Heidelberger Schloß gewinnt seinen Hauptreiz von dem Neckar, der in seinem klaren,
gewundenen Lauf so nahe zu unseren Füßen liegt, daß man fast den Wiederschein
des eigenen Bildes in dem reinen Spiegel seiner Fluche» zu erkenne» glaubt. Sonst
ist Heidelberg zu nahe, als daß es eine malerische Wirkung nicht-dadurch zerstörte,


Grenzboten. IN. 1847. 63
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/483>, abgerufen am 28.07.2024.