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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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ganzen inneren wie äußeren Charakteristik haben müssen, ist wohl natürlich. Ge¬
mein ist Beiden aber, daß sie sich vorzugsweise von Fremden nähren und die
Einwohnerschaft Handel und Industrie verschmähend, ihre ganze Thätigkeit darauf
richtet, daß Alle, welche in ihre Mauern kommen, auch so viel Geld als nur
immer möglich zurücklassen müssen.

Der Gastwirth kocht und zapft Wem mehr und lieber für den Fremde" als
für den Einheimischen. Der Schuster setzt seinen Pfriemen, der Schneider seiue
Nadel lieber für denselben in Bewegung, selbst der Bettelt'übe verfolgt instinktmä-
mäßig den Reisenden. Daß das Selbstgefühl der Einwohner dadurch nicht sehr
gehoben wird, ihre Moralität sich nicht bessert, darf uns nicht Wunder nehmen.
Alle bedeutenderen Universitäten und Bäder, wo solche hauptsächlich eine Stadt
erhalten müssen, bieten eine gleiche Erscheinung dar. Schon das Beispiel des
Luxus, Müssigganges und der Verschwendung, was alle Klassen solcher Orte täg¬
lich vor Augen haben, wirkt sehr schädlich und verführt leicht zu verderblicher
Nachahmung; der Bürger will es gern dem reicheren Badegast, der Bürgerssohn
will es dem verschwenderischen Studenten, der im Hause wohnt, nachthun, wäh¬
rend die täglichen Verführungen, denen das nur einigermaßen mit äußern Reizen
ausgestattete weibliche Geschlecht stündig ausgesetzt ist, uicht gerade förderlich auf
dessen Sittlichkeit zu wirken pflegt. Daher auch die allgemeine Erscheinung, daß
Städte mit großen Bädern oder Universitäten selten wohlhabend sind, vielmehr in
den Haushaltungen ihrer eigentlichen Bürgerschaft häufigere Zerrüttungen aller
Art vorgefunden werden, als in anderen Orten. Ein Bad oder eine Universität
hat noch nie einer Stadt wahres Wohl, sondern oft mehr Verderben gebracht und
ihre innere wie äußere Kraft geschwächt, obgleich so große Summen Geldes da¬
durch alljährlich in ihre Mauern kommen. "Wie gewonnen so zerronnen," ist ein
altes Sprichwort, das auch in Baden wie in Heidelberg seine Anwendung findet.
Obgleich Beiden Jahr aus Jahr ein viel fremdes Geld zuströmt, herrscht dennoch
wenig Solidität und nur gering/ Wohlhabenheit unter ihren Bürgern, während
andere Städte des Landes, die lange nicht gleiche Einnahmen haben, ihnen weit
voraus siud.

Badegäste und Studenten sind indessen ein gar verschiedenes Publikum, die
verschiedene Preise zahlen, und daher auch verschieden behandelt werden. -- Hei¬
delberg ist das ganze Jahr besucht, der Erwerb der Einwohner bleibt sich im
Sommer wie im Winter fast gleich, während Baden nur in wenigen Sommermo¬
naten Leben hat. Freilich sind die Sommermonate so ergiebig, daß man während
des Winters recht gut davon zehren kann, ja bei vernünftiger Wirthschaft auch
ein Erkleckliches übrig bleiben könnte. Es wird in Baden während der Saison
in einer Woche viel mehr Geld durch die Fremden erworben, als Heidelberg von
seinen Studenten in einem ganzen Monate einnimmt. Wenn Ostern vorüber,
dann denkt der Badener schon, was wohl die "Saison" bringen wird, und be-


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ganzen inneren wie äußeren Charakteristik haben müssen, ist wohl natürlich. Ge¬
mein ist Beiden aber, daß sie sich vorzugsweise von Fremden nähren und die
Einwohnerschaft Handel und Industrie verschmähend, ihre ganze Thätigkeit darauf
richtet, daß Alle, welche in ihre Mauern kommen, auch so viel Geld als nur
immer möglich zurücklassen müssen.

Der Gastwirth kocht und zapft Wem mehr und lieber für den Fremde» als
für den Einheimischen. Der Schuster setzt seinen Pfriemen, der Schneider seiue
Nadel lieber für denselben in Bewegung, selbst der Bettelt'übe verfolgt instinktmä-
mäßig den Reisenden. Daß das Selbstgefühl der Einwohner dadurch nicht sehr
gehoben wird, ihre Moralität sich nicht bessert, darf uns nicht Wunder nehmen.
Alle bedeutenderen Universitäten und Bäder, wo solche hauptsächlich eine Stadt
erhalten müssen, bieten eine gleiche Erscheinung dar. Schon das Beispiel des
Luxus, Müssigganges und der Verschwendung, was alle Klassen solcher Orte täg¬
lich vor Augen haben, wirkt sehr schädlich und verführt leicht zu verderblicher
Nachahmung; der Bürger will es gern dem reicheren Badegast, der Bürgerssohn
will es dem verschwenderischen Studenten, der im Hause wohnt, nachthun, wäh¬
rend die täglichen Verführungen, denen das nur einigermaßen mit äußern Reizen
ausgestattete weibliche Geschlecht stündig ausgesetzt ist, uicht gerade förderlich auf
dessen Sittlichkeit zu wirken pflegt. Daher auch die allgemeine Erscheinung, daß
Städte mit großen Bädern oder Universitäten selten wohlhabend sind, vielmehr in
den Haushaltungen ihrer eigentlichen Bürgerschaft häufigere Zerrüttungen aller
Art vorgefunden werden, als in anderen Orten. Ein Bad oder eine Universität
hat noch nie einer Stadt wahres Wohl, sondern oft mehr Verderben gebracht und
ihre innere wie äußere Kraft geschwächt, obgleich so große Summen Geldes da¬
durch alljährlich in ihre Mauern kommen. „Wie gewonnen so zerronnen," ist ein
altes Sprichwort, das auch in Baden wie in Heidelberg seine Anwendung findet.
Obgleich Beiden Jahr aus Jahr ein viel fremdes Geld zuströmt, herrscht dennoch
wenig Solidität und nur gering/ Wohlhabenheit unter ihren Bürgern, während
andere Städte des Landes, die lange nicht gleiche Einnahmen haben, ihnen weit
voraus siud.

Badegäste und Studenten sind indessen ein gar verschiedenes Publikum, die
verschiedene Preise zahlen, und daher auch verschieden behandelt werden. — Hei¬
delberg ist das ganze Jahr besucht, der Erwerb der Einwohner bleibt sich im
Sommer wie im Winter fast gleich, während Baden nur in wenigen Sommermo¬
naten Leben hat. Freilich sind die Sommermonate so ergiebig, daß man während
des Winters recht gut davon zehren kann, ja bei vernünftiger Wirthschaft auch
ein Erkleckliches übrig bleiben könnte. Es wird in Baden während der Saison
in einer Woche viel mehr Geld durch die Fremden erworben, als Heidelberg von
seinen Studenten in einem ganzen Monate einnimmt. Wenn Ostern vorüber,
dann denkt der Badener schon, was wohl die „Saison" bringen wird, und be-


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[0475] ganzen inneren wie äußeren Charakteristik haben müssen, ist wohl natürlich. Ge¬ mein ist Beiden aber, daß sie sich vorzugsweise von Fremden nähren und die Einwohnerschaft Handel und Industrie verschmähend, ihre ganze Thätigkeit darauf richtet, daß Alle, welche in ihre Mauern kommen, auch so viel Geld als nur immer möglich zurücklassen müssen. Der Gastwirth kocht und zapft Wem mehr und lieber für den Fremde» als für den Einheimischen. Der Schuster setzt seinen Pfriemen, der Schneider seiue Nadel lieber für denselben in Bewegung, selbst der Bettelt'übe verfolgt instinktmä- mäßig den Reisenden. Daß das Selbstgefühl der Einwohner dadurch nicht sehr gehoben wird, ihre Moralität sich nicht bessert, darf uns nicht Wunder nehmen. Alle bedeutenderen Universitäten und Bäder, wo solche hauptsächlich eine Stadt erhalten müssen, bieten eine gleiche Erscheinung dar. Schon das Beispiel des Luxus, Müssigganges und der Verschwendung, was alle Klassen solcher Orte täg¬ lich vor Augen haben, wirkt sehr schädlich und verführt leicht zu verderblicher Nachahmung; der Bürger will es gern dem reicheren Badegast, der Bürgerssohn will es dem verschwenderischen Studenten, der im Hause wohnt, nachthun, wäh¬ rend die täglichen Verführungen, denen das nur einigermaßen mit äußern Reizen ausgestattete weibliche Geschlecht stündig ausgesetzt ist, uicht gerade förderlich auf dessen Sittlichkeit zu wirken pflegt. Daher auch die allgemeine Erscheinung, daß Städte mit großen Bädern oder Universitäten selten wohlhabend sind, vielmehr in den Haushaltungen ihrer eigentlichen Bürgerschaft häufigere Zerrüttungen aller Art vorgefunden werden, als in anderen Orten. Ein Bad oder eine Universität hat noch nie einer Stadt wahres Wohl, sondern oft mehr Verderben gebracht und ihre innere wie äußere Kraft geschwächt, obgleich so große Summen Geldes da¬ durch alljährlich in ihre Mauern kommen. „Wie gewonnen so zerronnen," ist ein altes Sprichwort, das auch in Baden wie in Heidelberg seine Anwendung findet. Obgleich Beiden Jahr aus Jahr ein viel fremdes Geld zuströmt, herrscht dennoch wenig Solidität und nur gering/ Wohlhabenheit unter ihren Bürgern, während andere Städte des Landes, die lange nicht gleiche Einnahmen haben, ihnen weit voraus siud. Badegäste und Studenten sind indessen ein gar verschiedenes Publikum, die verschiedene Preise zahlen, und daher auch verschieden behandelt werden. — Hei¬ delberg ist das ganze Jahr besucht, der Erwerb der Einwohner bleibt sich im Sommer wie im Winter fast gleich, während Baden nur in wenigen Sommermo¬ naten Leben hat. Freilich sind die Sommermonate so ergiebig, daß man während des Winters recht gut davon zehren kann, ja bei vernünftiger Wirthschaft auch ein Erkleckliches übrig bleiben könnte. Es wird in Baden während der Saison in einer Woche viel mehr Geld durch die Fremden erworben, als Heidelberg von seinen Studenten in einem ganzen Monate einnimmt. Wenn Ostern vorüber, dann denkt der Badener schon, was wohl die „Saison" bringen wird, und be- Gr-Njboten. II,. Il7. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/475>, abgerufen am 27.07.2024.