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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Ranke's politische Thätigkeit hin. Er gab in den Jahren 1831--36, also in ei¬
ner Zeit großer politischer Gährung, eine "historisch politische Zeitschrift" heraus,
welche die kämpfenden Parteien über das eigentlich Factische, Rechtliche u. s. w.
der schwebenden Fragen aufklären sollte, die aber aus Mangel an Theilnahme ein¬
ging. In derselben Zeit gründete die romantisch-jesuitische Partei im Preußi¬
schen Staate das "Berliner politische Wochenblatt." Man warf beide Zeitschriften
in einen Topf, das System der Reaction, und zwar mit Recht. Ju solchen Zei¬
ten, wo die Principien in offnen Kampf gerathen, wo die Reaction, die bisher im
Stillen, im Dunkeln wandelte, offen ihr Banner aufpflanzt, da dient ihr Jeder,
der nicht wider sie kämpft. Ich bin weit entfernt, Ranke in irgend einer Weise
die Konfusion, die in dem Ultrablatt herrscht, zur Last legen zu wollen; wer aber
über die Frechheit, mit der diese Confusion unter höherer Aegide dem gesunden
Menschenverstand in's Gesicht schlägt, nicht empört wird; wer aus dem egoistischen
Interesse, alles besser und tiefer zu durchschauen als die andern, den Wald nicht
sehen will weil er nur lauter Bäume sieht, -- der bleibe der Politik fern! Ueber
die Vergangenheit werden wir mit Vergnügen dem Forscher lauschen, der uns die
bekannten Gegenstände von ungewohnten, fremdartigen und seltsamen Gesichtspunk¬
ten aus vorführt; wo es aber gilt, Recht oder Unrecht, Freiheit oder Knechtschaft,
da kann uns das romantische Vergnügen an genialen Standpunkten nicht fördern.

Wenn wir mit einem Zug die Stellung Ranke's zu der geistigen Entwickelung
seiner Zeit charakterisiren wollten, so wäre es dieser. Ranke ist ein Schriftsteller der
Restauration, die sich nicht nur als politische Thatsache, sondern auch in den gei¬
stigen Bewegungen der Religion, der Philosophie, des Rechts geltend macht. Die
Restauration ging hervor aus dem Schreck des Geistes über die Konsequenzen der
Aufklärung, die scheinbar eine universelle tilbulil i"sit hervorbrachte. Die He-
gel'sche Philosophie, die moderne Theologie, die historische Rechtsschule wandte sich
daher mit Hast auf das Empirische, Gegebene, Individuelle zurück; die bekannte
Doctrin der organischen Entwickelung war eine Polemik gegen den Glauben der
Aufklärung von der Macht der Idee, des Bewußtseins. Denn das war der sehr
Positive Inhalt hinter dem scheinbaren Nihilismus der Aufklärung. Brutale Na¬
turalisten oder halb rasende Fanatiker, wie Leo und Görres, betrieben diese Re¬
action auf eine rohe, mechanische Weise; gebildete Geister, wie Niebuhr, Savigny,
Tholuck, umhüllten die Gesetzlosigkeit ihres Realismus mit Ideen, die an das
Einzelne sich schmiegen mußten. In diese Reihe gehört Ranke: sein gesundes Auge
und seine tiefe Gelehrsamkeit hat ihn vor gewaltsamen Abwegen bewahrt; sein
Princip hat in ihm vielleicht die vollendetste Kunstform gewonnen; aber zur Lei¬
tung der geistigen Bewegung reicht die rein contemplative Einsicht nicht aus.


As.


Ranke's politische Thätigkeit hin. Er gab in den Jahren 1831—36, also in ei¬
ner Zeit großer politischer Gährung, eine „historisch politische Zeitschrift" heraus,
welche die kämpfenden Parteien über das eigentlich Factische, Rechtliche u. s. w.
der schwebenden Fragen aufklären sollte, die aber aus Mangel an Theilnahme ein¬
ging. In derselben Zeit gründete die romantisch-jesuitische Partei im Preußi¬
schen Staate das „Berliner politische Wochenblatt." Man warf beide Zeitschriften
in einen Topf, das System der Reaction, und zwar mit Recht. Ju solchen Zei¬
ten, wo die Principien in offnen Kampf gerathen, wo die Reaction, die bisher im
Stillen, im Dunkeln wandelte, offen ihr Banner aufpflanzt, da dient ihr Jeder,
der nicht wider sie kämpft. Ich bin weit entfernt, Ranke in irgend einer Weise
die Konfusion, die in dem Ultrablatt herrscht, zur Last legen zu wollen; wer aber
über die Frechheit, mit der diese Confusion unter höherer Aegide dem gesunden
Menschenverstand in's Gesicht schlägt, nicht empört wird; wer aus dem egoistischen
Interesse, alles besser und tiefer zu durchschauen als die andern, den Wald nicht
sehen will weil er nur lauter Bäume sieht, — der bleibe der Politik fern! Ueber
die Vergangenheit werden wir mit Vergnügen dem Forscher lauschen, der uns die
bekannten Gegenstände von ungewohnten, fremdartigen und seltsamen Gesichtspunk¬
ten aus vorführt; wo es aber gilt, Recht oder Unrecht, Freiheit oder Knechtschaft,
da kann uns das romantische Vergnügen an genialen Standpunkten nicht fördern.

Wenn wir mit einem Zug die Stellung Ranke's zu der geistigen Entwickelung
seiner Zeit charakterisiren wollten, so wäre es dieser. Ranke ist ein Schriftsteller der
Restauration, die sich nicht nur als politische Thatsache, sondern auch in den gei¬
stigen Bewegungen der Religion, der Philosophie, des Rechts geltend macht. Die
Restauration ging hervor aus dem Schreck des Geistes über die Konsequenzen der
Aufklärung, die scheinbar eine universelle tilbulil i»sit hervorbrachte. Die He-
gel'sche Philosophie, die moderne Theologie, die historische Rechtsschule wandte sich
daher mit Hast auf das Empirische, Gegebene, Individuelle zurück; die bekannte
Doctrin der organischen Entwickelung war eine Polemik gegen den Glauben der
Aufklärung von der Macht der Idee, des Bewußtseins. Denn das war der sehr
Positive Inhalt hinter dem scheinbaren Nihilismus der Aufklärung. Brutale Na¬
turalisten oder halb rasende Fanatiker, wie Leo und Görres, betrieben diese Re¬
action auf eine rohe, mechanische Weise; gebildete Geister, wie Niebuhr, Savigny,
Tholuck, umhüllten die Gesetzlosigkeit ihres Realismus mit Ideen, die an das
Einzelne sich schmiegen mußten. In diese Reihe gehört Ranke: sein gesundes Auge
und seine tiefe Gelehrsamkeit hat ihn vor gewaltsamen Abwegen bewahrt; sein
Princip hat in ihm vielleicht die vollendetste Kunstform gewonnen; aber zur Lei¬
tung der geistigen Bewegung reicht die rein contemplative Einsicht nicht aus.


As.


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[0455] Ranke's politische Thätigkeit hin. Er gab in den Jahren 1831—36, also in ei¬ ner Zeit großer politischer Gährung, eine „historisch politische Zeitschrift" heraus, welche die kämpfenden Parteien über das eigentlich Factische, Rechtliche u. s. w. der schwebenden Fragen aufklären sollte, die aber aus Mangel an Theilnahme ein¬ ging. In derselben Zeit gründete die romantisch-jesuitische Partei im Preußi¬ schen Staate das „Berliner politische Wochenblatt." Man warf beide Zeitschriften in einen Topf, das System der Reaction, und zwar mit Recht. Ju solchen Zei¬ ten, wo die Principien in offnen Kampf gerathen, wo die Reaction, die bisher im Stillen, im Dunkeln wandelte, offen ihr Banner aufpflanzt, da dient ihr Jeder, der nicht wider sie kämpft. Ich bin weit entfernt, Ranke in irgend einer Weise die Konfusion, die in dem Ultrablatt herrscht, zur Last legen zu wollen; wer aber über die Frechheit, mit der diese Confusion unter höherer Aegide dem gesunden Menschenverstand in's Gesicht schlägt, nicht empört wird; wer aus dem egoistischen Interesse, alles besser und tiefer zu durchschauen als die andern, den Wald nicht sehen will weil er nur lauter Bäume sieht, — der bleibe der Politik fern! Ueber die Vergangenheit werden wir mit Vergnügen dem Forscher lauschen, der uns die bekannten Gegenstände von ungewohnten, fremdartigen und seltsamen Gesichtspunk¬ ten aus vorführt; wo es aber gilt, Recht oder Unrecht, Freiheit oder Knechtschaft, da kann uns das romantische Vergnügen an genialen Standpunkten nicht fördern. Wenn wir mit einem Zug die Stellung Ranke's zu der geistigen Entwickelung seiner Zeit charakterisiren wollten, so wäre es dieser. Ranke ist ein Schriftsteller der Restauration, die sich nicht nur als politische Thatsache, sondern auch in den gei¬ stigen Bewegungen der Religion, der Philosophie, des Rechts geltend macht. Die Restauration ging hervor aus dem Schreck des Geistes über die Konsequenzen der Aufklärung, die scheinbar eine universelle tilbulil i»sit hervorbrachte. Die He- gel'sche Philosophie, die moderne Theologie, die historische Rechtsschule wandte sich daher mit Hast auf das Empirische, Gegebene, Individuelle zurück; die bekannte Doctrin der organischen Entwickelung war eine Polemik gegen den Glauben der Aufklärung von der Macht der Idee, des Bewußtseins. Denn das war der sehr Positive Inhalt hinter dem scheinbaren Nihilismus der Aufklärung. Brutale Na¬ turalisten oder halb rasende Fanatiker, wie Leo und Görres, betrieben diese Re¬ action auf eine rohe, mechanische Weise; gebildete Geister, wie Niebuhr, Savigny, Tholuck, umhüllten die Gesetzlosigkeit ihres Realismus mit Ideen, die an das Einzelne sich schmiegen mußten. In diese Reihe gehört Ranke: sein gesundes Auge und seine tiefe Gelehrsamkeit hat ihn vor gewaltsamen Abwegen bewahrt; sein Princip hat in ihm vielleicht die vollendetste Kunstform gewonnen; aber zur Lei¬ tung der geistigen Bewegung reicht die rein contemplative Einsicht nicht aus. As.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/455>, abgerufen am 27.07.2024.