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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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an eigenthümlichen, auffallenden, ich will nicht grade sagen bedeutenden Charakte¬
ren. Karl V. ist der Mittelpunkt, aber wie es seiner rein weltlichen Natur ziemte,
nicht der geistige. Die Geschichte bewegt sich um ihn herum, nicht unter seiner
Leitung.

Wir wüßten durchaus Nichts anzuführen, was sich an der Zeichnung und
Gruppirung der Figuren und Ereignisse, an der Verständlichkeit und Klarheit
des Ganzen aussetzen ließe. Das Werk ist vielleicht ebenso reich an geistvollen Re¬
flexionen, als die "Päpste", es ist außerdem mehr im historischen Styl geschrieben,
es ist abgeschlossen, und wenn man will, in formeller Beziehung noch vollendeter.
Dennoch macht es nicht den Eindruck, wie jenes Werk. Es liegt das wohl an
dem Verhältniß des Gegenstandes zu dein specifischen Talent unsers Geschicht¬
schreibers. Die ruhige, in ununterbrochnem Fleiß fortgehende Erzählung ist nicht
sein eigentliches Feld; das sprühende, Blitzende seines Geistes kann darin nicht
in das rechte Licht treten. Man mißverstehe mich nicht, als ob ich irgend etwas
Mangelhaftes darin finden wollte; genug, er glänzt darin weniger.

Wenn ich überhaupt Ranke mit einem Geschichtschreiber, seiner Darstellung
nach, in Paralle setzen mochte, so ist es Gibbon. Die klistorz? ok tuo "leclino irmi
kiUI c>5 ello Romon empirv hat der ganzen Anlage nach viel Verwandtes mit den
Päpsten; nur gehörte Gibbon einer Zeit an, in welcher die Kritik der Aufklärung
sich erst gegen die historischen traditionell festgestellten Begriffe und Vorstellung erhob,
während in unseren Tagen die historische Kritik grade die Tendenz hat, das con-
crete Leben der Geschichte gegen die schematisirenden Abstractionen der Aufklärung
in Schutz zu nehmen. Ich erinnere noch daran, daß Gibbon mit seiner Politik
ebensowenig Glück gemacht hat, als Ranke; freilich aus einem entgegengesetzten
Grunde; der Zögling der Encyklopädisten spielte mit dem Recht, weil es ihm gleiche
gültig war, und verkaufte sich dem Meistbietenden; der deutsche Gelehrte ist so
gewissenhaft, und hat jede Frage von so vielfachen Gesichtspunkten zu betrachten,
daß er mit seinem Urtheil nie zum Abschluß kommt.

Ranke wurde beim Antritt des gegenwärtig regierenden Königs zum preußi¬
schen Historiographen ernannt. In dieser Qualität hat er sich nun der vater¬
ländischen Geschichte zugewendet, einem Stoff, der seiner bisherigen Productivität
ziemlich fern lag. Wir haben den ersten Band seiner "Preußischen Geschichte"
vor uns, die auf drei Bände angelegt ist. Auch in dieser Schrift basirt die
Darstellung fast ausschließlich auf Urkunden aus den Archiven; was die Zeitge¬
nossen berichtet, wird entweder ignorirt oder mit einem gewissen Argwohn ange¬
sehen ; man sieht nicht recht warum, es müßte denn sein, daß sie ihre Werke ha¬
ben drucken lassen.

Die Geschichte des preußische" Staats beginnt mit seiner Erhebung zum
Königreich; das Frühere wird nur summarisch berührt. Auch die Regierung des
ersten Königs wird ziemlich kurz abgefertigt, und so ist der eigentliche Inhalt


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an eigenthümlichen, auffallenden, ich will nicht grade sagen bedeutenden Charakte¬
ren. Karl V. ist der Mittelpunkt, aber wie es seiner rein weltlichen Natur ziemte,
nicht der geistige. Die Geschichte bewegt sich um ihn herum, nicht unter seiner
Leitung.

Wir wüßten durchaus Nichts anzuführen, was sich an der Zeichnung und
Gruppirung der Figuren und Ereignisse, an der Verständlichkeit und Klarheit
des Ganzen aussetzen ließe. Das Werk ist vielleicht ebenso reich an geistvollen Re¬
flexionen, als die „Päpste", es ist außerdem mehr im historischen Styl geschrieben,
es ist abgeschlossen, und wenn man will, in formeller Beziehung noch vollendeter.
Dennoch macht es nicht den Eindruck, wie jenes Werk. Es liegt das wohl an
dem Verhältniß des Gegenstandes zu dein specifischen Talent unsers Geschicht¬
schreibers. Die ruhige, in ununterbrochnem Fleiß fortgehende Erzählung ist nicht
sein eigentliches Feld; das sprühende, Blitzende seines Geistes kann darin nicht
in das rechte Licht treten. Man mißverstehe mich nicht, als ob ich irgend etwas
Mangelhaftes darin finden wollte; genug, er glänzt darin weniger.

Wenn ich überhaupt Ranke mit einem Geschichtschreiber, seiner Darstellung
nach, in Paralle setzen mochte, so ist es Gibbon. Die klistorz? ok tuo «leclino irmi
kiUI c>5 ello Romon empirv hat der ganzen Anlage nach viel Verwandtes mit den
Päpsten; nur gehörte Gibbon einer Zeit an, in welcher die Kritik der Aufklärung
sich erst gegen die historischen traditionell festgestellten Begriffe und Vorstellung erhob,
während in unseren Tagen die historische Kritik grade die Tendenz hat, das con-
crete Leben der Geschichte gegen die schematisirenden Abstractionen der Aufklärung
in Schutz zu nehmen. Ich erinnere noch daran, daß Gibbon mit seiner Politik
ebensowenig Glück gemacht hat, als Ranke; freilich aus einem entgegengesetzten
Grunde; der Zögling der Encyklopädisten spielte mit dem Recht, weil es ihm gleiche
gültig war, und verkaufte sich dem Meistbietenden; der deutsche Gelehrte ist so
gewissenhaft, und hat jede Frage von so vielfachen Gesichtspunkten zu betrachten,
daß er mit seinem Urtheil nie zum Abschluß kommt.

Ranke wurde beim Antritt des gegenwärtig regierenden Königs zum preußi¬
schen Historiographen ernannt. In dieser Qualität hat er sich nun der vater¬
ländischen Geschichte zugewendet, einem Stoff, der seiner bisherigen Productivität
ziemlich fern lag. Wir haben den ersten Band seiner „Preußischen Geschichte"
vor uns, die auf drei Bände angelegt ist. Auch in dieser Schrift basirt die
Darstellung fast ausschließlich auf Urkunden aus den Archiven; was die Zeitge¬
nossen berichtet, wird entweder ignorirt oder mit einem gewissen Argwohn ange¬
sehen ; man sieht nicht recht warum, es müßte denn sein, daß sie ihre Werke ha¬
ben drucken lassen.

Die Geschichte des preußische» Staats beginnt mit seiner Erhebung zum
Königreich; das Frühere wird nur summarisch berührt. Auch die Regierung des
ersten Königs wird ziemlich kurz abgefertigt, und so ist der eigentliche Inhalt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/453>, abgerufen am 01.09.2024.