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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Trotz der großen Concentration, trotz dem künstlerischen Maaß, welches diese
wunderbar verzweigte Geschichte zusammenhielt, konnte es doch nicht fehlen, daß
überall die Nervenenden anderer gleichzeitigen Erscheinungen abgerissen in ihr sich
verwickelten. Das mußte den Schriftsteller anreizen, von einer andern, der ent¬
gegengesetzten Seite seinen Gegenstand zu beleuchten. So entstand die Geschichte
Deutschlands im Zeitalter der Reformation.

Ranke hat zu diesem Behuf mit seinem gewöhnlichen Fleiß die deutschen Ar¬
chive durchwühlt, welche die Reichstagsverhandlungen enthielten. In einem Felde,
worin die historische Forschung noch äußerst wenig gethan hat, ist es natürlich,
daß ein geistvoller Kenner manches Neue und Wichtige zu Tage forderte. Dennoch
findet sich Ranke mitten in seiner Darstellung der ständischen Entwickelung unter
Maximilian veranlaßt, auszurufen: Nein es ist doch zu langweilig! Ein ewiges
Herumdrehen im Kreise, ohne alles Resultat, in seinen Details zu verfolgen, ist
eine unerquickliche Aufgabe für deu Historiker. Langweilig in der That, und für
einen Mann von Geist unerträglich. Dennoch ist das eine wesentliche Resultat
dieser Forschungen unumstößlich festgestellt, daß von Seiten des Kaisers, den man
in den gewöhnlichen Eompendien als den Begründer der deutschen Verfassung zu
bezeichnen pflegt, Alles geschah, um dieselbe zu hintertreiben und unmöglich zu
machen; es ergibt sich ferner, daß diese Opposition des Kaisers in der Natur der
Sache nothwendig begründet war. Das ständische Neichsregiment war etwas eben
so Bodenloses und Unmögliches, als das römische Kaiserthum selbst. Die roman¬
tische Person des "letzten Ritters" war berufe", mit einer Art Humor diese doppelte
Unmöglichkeit in seiner Person zu vereinige", und seltsam genug, es war ehe"
dieser Maximilian, in welchem die moderne Cabinetspolitik mit dem außerordent¬
lichsten, in der Zufälligkeit der Verhältnisse begründeten Erfolg sich geltend machte.

Diese Entwickelung der ständischen Verhältnisse soll uns einführen in die
eigenthümliche Stellung des Reichs zur Kirche, von der natürlich die Aufnahme
der Reformation i" Deutschland zum großen Theil abhängig war. Außerdem
werden wir, allerdings nur in eiuer sehr gedrängten Uebersicht, auf die literarische
Richtung der Zeit aufmerksam gemacht, auf die eigenthümlich oppositionelle Ten¬
denz, die in allen dem Volk zugänglichen Schriften vorwaltete. Die in den
"Päpsten" nur angedeutete, skizzirte Entwickelung in dem Gedanken- und Gefühls-
Kreise des großen Reformators wird hier ausführlich dargestellt; sein Verhältniß
zu den übrigen Führern der Kirchenverbesserung, theils aus dem geistigen Gegen¬
satz, theils aus der Kollision der Interessen motivirt. Grade die dunkleren Par¬
tien der deutsche" Geschichte -- die Empörung der Bauern, das letzte Aufflackern
des mittelalterlichen Ritterthums in den Abenteuern Sickingens, die Excesse der
religiösen Schwärmer -- werden mit vorzüglicher Vorliebe behandelt. Bund und
reich genug ist diese Zeit, nicht nur in Thatsachen, die mit der vollendeten Plastik
eines in der classischen Literatur gebildeten Geistes erzählt werden, sondern auch


Trotz der großen Concentration, trotz dem künstlerischen Maaß, welches diese
wunderbar verzweigte Geschichte zusammenhielt, konnte es doch nicht fehlen, daß
überall die Nervenenden anderer gleichzeitigen Erscheinungen abgerissen in ihr sich
verwickelten. Das mußte den Schriftsteller anreizen, von einer andern, der ent¬
gegengesetzten Seite seinen Gegenstand zu beleuchten. So entstand die Geschichte
Deutschlands im Zeitalter der Reformation.

Ranke hat zu diesem Behuf mit seinem gewöhnlichen Fleiß die deutschen Ar¬
chive durchwühlt, welche die Reichstagsverhandlungen enthielten. In einem Felde,
worin die historische Forschung noch äußerst wenig gethan hat, ist es natürlich,
daß ein geistvoller Kenner manches Neue und Wichtige zu Tage forderte. Dennoch
findet sich Ranke mitten in seiner Darstellung der ständischen Entwickelung unter
Maximilian veranlaßt, auszurufen: Nein es ist doch zu langweilig! Ein ewiges
Herumdrehen im Kreise, ohne alles Resultat, in seinen Details zu verfolgen, ist
eine unerquickliche Aufgabe für deu Historiker. Langweilig in der That, und für
einen Mann von Geist unerträglich. Dennoch ist das eine wesentliche Resultat
dieser Forschungen unumstößlich festgestellt, daß von Seiten des Kaisers, den man
in den gewöhnlichen Eompendien als den Begründer der deutschen Verfassung zu
bezeichnen pflegt, Alles geschah, um dieselbe zu hintertreiben und unmöglich zu
machen; es ergibt sich ferner, daß diese Opposition des Kaisers in der Natur der
Sache nothwendig begründet war. Das ständische Neichsregiment war etwas eben
so Bodenloses und Unmögliches, als das römische Kaiserthum selbst. Die roman¬
tische Person des „letzten Ritters" war berufe», mit einer Art Humor diese doppelte
Unmöglichkeit in seiner Person zu vereinige», und seltsam genug, es war ehe»
dieser Maximilian, in welchem die moderne Cabinetspolitik mit dem außerordent¬
lichsten, in der Zufälligkeit der Verhältnisse begründeten Erfolg sich geltend machte.

Diese Entwickelung der ständischen Verhältnisse soll uns einführen in die
eigenthümliche Stellung des Reichs zur Kirche, von der natürlich die Aufnahme
der Reformation i» Deutschland zum großen Theil abhängig war. Außerdem
werden wir, allerdings nur in eiuer sehr gedrängten Uebersicht, auf die literarische
Richtung der Zeit aufmerksam gemacht, auf die eigenthümlich oppositionelle Ten¬
denz, die in allen dem Volk zugänglichen Schriften vorwaltete. Die in den
„Päpsten" nur angedeutete, skizzirte Entwickelung in dem Gedanken- und Gefühls-
Kreise des großen Reformators wird hier ausführlich dargestellt; sein Verhältniß
zu den übrigen Führern der Kirchenverbesserung, theils aus dem geistigen Gegen¬
satz, theils aus der Kollision der Interessen motivirt. Grade die dunkleren Par¬
tien der deutsche» Geschichte — die Empörung der Bauern, das letzte Aufflackern
des mittelalterlichen Ritterthums in den Abenteuern Sickingens, die Excesse der
religiösen Schwärmer — werden mit vorzüglicher Vorliebe behandelt. Bund und
reich genug ist diese Zeit, nicht nur in Thatsachen, die mit der vollendeten Plastik
eines in der classischen Literatur gebildeten Geistes erzählt werden, sondern auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/452>, abgerufen am 28.07.2024.