Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

concreten Leben, in den wirklichen, durch ihr Vaterland, ihren Stand, ihren
Privatcharakter bestimmten Personen nachgewiesen. Die Charakteristik dieser Ze¬
loten des erneuerten Christenthums -- Caraffa, Loyola, später z. B. Sixtus V.,
der die alten Götzenbilder wenigstens durch Kreuze und ähnliche Attribute im Pan¬
theon des Christenthums courfähig machte -- gehört zu dem Glänzendsten, was
Ranke's Feder gezeichnet hat. In scharfer, prägnanter Kürze geht das große
Wesentliche der Erscheinungen vor unsern Augen, vor unserm Geiste ans. Der
wunderbare Bau jenes Ordens, von dem der mächtigste Fürst der katholischen
Kirche zu sagen pflegt, er liebe ihn nicht, denn er sei der Einzige, den er nicht
durchschaue, thürmt sich Stein für Stein vor unsern Augen auf; wir erfahren,
daß nicht ein mächtiger Entschluß, nicht ein übermenschlicher und, wenn man so
will, teuflischer Verstand dieses wirksamste aller Werkzeuge hervorgebracht habe,
sondern daß es aus den Umständen hervorgegangen sei, und unsre Verehrung vor
der Macht des Geistes, der den Einzelnen gleichsam überlistet, indem er seine
kleinen, egoistischen Pläne zu Einem großen Werk verwendet, wird um so mäch¬
tiger in unsrer Seele.

Aber nicht ungestraft sträubt man sich gegen die Gesetze der Natur; die
Straft ist der innere Widerspruch. Ich könnte hier an einen weltlich gesinnten
Papst im Gegensatz zu einem weltlich gesinnten Fürsten erinnern -- Clemens VII.
und KarlV. -- die beide die geistigen Gewalten ihrer Zeit zu ihrem Dienst mi߬
brauchen wollten, und die sich beide in den Netzen ihrer eitlen Weltklugheit ver¬
strickten; aber viel glänzender tritt diese Wahrheit in den eigentlich Gläubigen
hervor, z. B. einem Paul IV. im Verhältniß zu Philipp II., Sixtus V. in seinen
Beziehungen zu Heinrich IV. Der scharfe psychologische Blick des Geschicht¬
schreibers weiß in den kleinsten Zügen, die ihm urkundlich überliefert werden,
sichere Spuren von dem Walten des Geistes wiederzuerkennen, den er trotz seiner
Forschungen im Kleinen nie ans deu Augen verliert. So scharf ausgeführt sind
die Gemälde der einzelnen bedeutenden Männer, daß es uns zuweilen vorkommen
wollte, als störten sie in gewissem Sinn den Eindruck des Ganzen, wie eine
Wand, die man mit Oelgemälden statt mit Fresken zeichnen würde. Aber gerade
die Natur dieses Werks, die nicht eine zusammenhängend fortgesetzte Erzählung,
sondern ein lebendiges Bewegen in dem ganzen Kreise dieser weitausgedehnter
Gährung erheischt, begünstigt die Plastik in den einzelnen Gruppen; eine jede
ist ein abgeschlossenes Gemälde, vor dem wir gern verweilen und das doch durch
einen gewissen sinnigen, ich möchte sagen ahnungsvollen Zug an die leitende Idee
des Ganzen mahnt.

Am intensivsten drückt sich diese innere Umgestaltung in der Geschichte der Je¬
suiten aus. Der Orden ist zunächst nur in der schwärmerischen Reflexion einzelner
Gläubigen, die ein unbestimmter Thatendrang zur Wirksamkeit zunächst in's Blaue
hinein treibt. Aber er ist ein Bedürfniß der Zeit, und die Stifter haben von


concreten Leben, in den wirklichen, durch ihr Vaterland, ihren Stand, ihren
Privatcharakter bestimmten Personen nachgewiesen. Die Charakteristik dieser Ze¬
loten des erneuerten Christenthums — Caraffa, Loyola, später z. B. Sixtus V.,
der die alten Götzenbilder wenigstens durch Kreuze und ähnliche Attribute im Pan¬
theon des Christenthums courfähig machte — gehört zu dem Glänzendsten, was
Ranke's Feder gezeichnet hat. In scharfer, prägnanter Kürze geht das große
Wesentliche der Erscheinungen vor unsern Augen, vor unserm Geiste ans. Der
wunderbare Bau jenes Ordens, von dem der mächtigste Fürst der katholischen
Kirche zu sagen pflegt, er liebe ihn nicht, denn er sei der Einzige, den er nicht
durchschaue, thürmt sich Stein für Stein vor unsern Augen auf; wir erfahren,
daß nicht ein mächtiger Entschluß, nicht ein übermenschlicher und, wenn man so
will, teuflischer Verstand dieses wirksamste aller Werkzeuge hervorgebracht habe,
sondern daß es aus den Umständen hervorgegangen sei, und unsre Verehrung vor
der Macht des Geistes, der den Einzelnen gleichsam überlistet, indem er seine
kleinen, egoistischen Pläne zu Einem großen Werk verwendet, wird um so mäch¬
tiger in unsrer Seele.

Aber nicht ungestraft sträubt man sich gegen die Gesetze der Natur; die
Straft ist der innere Widerspruch. Ich könnte hier an einen weltlich gesinnten
Papst im Gegensatz zu einem weltlich gesinnten Fürsten erinnern — Clemens VII.
und KarlV. — die beide die geistigen Gewalten ihrer Zeit zu ihrem Dienst mi߬
brauchen wollten, und die sich beide in den Netzen ihrer eitlen Weltklugheit ver¬
strickten; aber viel glänzender tritt diese Wahrheit in den eigentlich Gläubigen
hervor, z. B. einem Paul IV. im Verhältniß zu Philipp II., Sixtus V. in seinen
Beziehungen zu Heinrich IV. Der scharfe psychologische Blick des Geschicht¬
schreibers weiß in den kleinsten Zügen, die ihm urkundlich überliefert werden,
sichere Spuren von dem Walten des Geistes wiederzuerkennen, den er trotz seiner
Forschungen im Kleinen nie ans deu Augen verliert. So scharf ausgeführt sind
die Gemälde der einzelnen bedeutenden Männer, daß es uns zuweilen vorkommen
wollte, als störten sie in gewissem Sinn den Eindruck des Ganzen, wie eine
Wand, die man mit Oelgemälden statt mit Fresken zeichnen würde. Aber gerade
die Natur dieses Werks, die nicht eine zusammenhängend fortgesetzte Erzählung,
sondern ein lebendiges Bewegen in dem ganzen Kreise dieser weitausgedehnter
Gährung erheischt, begünstigt die Plastik in den einzelnen Gruppen; eine jede
ist ein abgeschlossenes Gemälde, vor dem wir gern verweilen und das doch durch
einen gewissen sinnigen, ich möchte sagen ahnungsvollen Zug an die leitende Idee
des Ganzen mahnt.

Am intensivsten drückt sich diese innere Umgestaltung in der Geschichte der Je¬
suiten aus. Der Orden ist zunächst nur in der schwärmerischen Reflexion einzelner
Gläubigen, die ein unbestimmter Thatendrang zur Wirksamkeit zunächst in's Blaue
hinein treibt. Aber er ist ein Bedürfniß der Zeit, und die Stifter haben von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0450" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184610"/>
            <p xml:id="ID_1574" prev="#ID_1573"> concreten Leben, in den wirklichen, durch ihr Vaterland, ihren Stand, ihren<lb/>
Privatcharakter bestimmten Personen nachgewiesen. Die Charakteristik dieser Ze¬<lb/>
loten des erneuerten Christenthums &#x2014; Caraffa, Loyola, später z. B. Sixtus V.,<lb/>
der die alten Götzenbilder wenigstens durch Kreuze und ähnliche Attribute im Pan¬<lb/>
theon des Christenthums courfähig machte &#x2014; gehört zu dem Glänzendsten, was<lb/>
Ranke's Feder gezeichnet hat. In scharfer, prägnanter Kürze geht das große<lb/>
Wesentliche der Erscheinungen vor unsern Augen, vor unserm Geiste ans. Der<lb/>
wunderbare Bau jenes Ordens, von dem der mächtigste Fürst der katholischen<lb/>
Kirche zu sagen pflegt, er liebe ihn nicht, denn er sei der Einzige, den er nicht<lb/>
durchschaue, thürmt sich Stein für Stein vor unsern Augen auf; wir erfahren,<lb/>
daß nicht ein mächtiger Entschluß, nicht ein übermenschlicher und, wenn man so<lb/>
will, teuflischer Verstand dieses wirksamste aller Werkzeuge hervorgebracht habe,<lb/>
sondern daß es aus den Umständen hervorgegangen sei, und unsre Verehrung vor<lb/>
der Macht des Geistes, der den Einzelnen gleichsam überlistet, indem er seine<lb/>
kleinen, egoistischen Pläne zu Einem großen Werk verwendet, wird um so mäch¬<lb/>
tiger in unsrer Seele.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1575"> Aber nicht ungestraft sträubt man sich gegen die Gesetze der Natur; die<lb/>
Straft ist der innere Widerspruch. Ich könnte hier an einen weltlich gesinnten<lb/>
Papst im Gegensatz zu einem weltlich gesinnten Fürsten erinnern &#x2014; Clemens VII.<lb/>
und KarlV. &#x2014; die beide die geistigen Gewalten ihrer Zeit zu ihrem Dienst mi߬<lb/>
brauchen wollten, und die sich beide in den Netzen ihrer eitlen Weltklugheit ver¬<lb/>
strickten; aber viel glänzender tritt diese Wahrheit in den eigentlich Gläubigen<lb/>
hervor, z. B. einem Paul IV. im Verhältniß zu Philipp II., Sixtus V. in seinen<lb/>
Beziehungen zu Heinrich IV. Der scharfe psychologische Blick des Geschicht¬<lb/>
schreibers weiß in den kleinsten Zügen, die ihm urkundlich überliefert werden,<lb/>
sichere Spuren von dem Walten des Geistes wiederzuerkennen, den er trotz seiner<lb/>
Forschungen im Kleinen nie ans deu Augen verliert. So scharf ausgeführt sind<lb/>
die Gemälde der einzelnen bedeutenden Männer, daß es uns zuweilen vorkommen<lb/>
wollte, als störten sie in gewissem Sinn den Eindruck des Ganzen, wie eine<lb/>
Wand, die man mit Oelgemälden statt mit Fresken zeichnen würde. Aber gerade<lb/>
die Natur dieses Werks, die nicht eine zusammenhängend fortgesetzte Erzählung,<lb/>
sondern ein lebendiges Bewegen in dem ganzen Kreise dieser weitausgedehnter<lb/>
Gährung erheischt, begünstigt die Plastik in den einzelnen Gruppen; eine jede<lb/>
ist ein abgeschlossenes Gemälde, vor dem wir gern verweilen und das doch durch<lb/>
einen gewissen sinnigen, ich möchte sagen ahnungsvollen Zug an die leitende Idee<lb/>
des Ganzen mahnt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1576" next="#ID_1577"> Am intensivsten drückt sich diese innere Umgestaltung in der Geschichte der Je¬<lb/>
suiten aus. Der Orden ist zunächst nur in der schwärmerischen Reflexion einzelner<lb/>
Gläubigen, die ein unbestimmter Thatendrang zur Wirksamkeit zunächst in's Blaue<lb/>
hinein treibt. Aber er ist ein Bedürfniß der Zeit, und die Stifter haben von</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0450] concreten Leben, in den wirklichen, durch ihr Vaterland, ihren Stand, ihren Privatcharakter bestimmten Personen nachgewiesen. Die Charakteristik dieser Ze¬ loten des erneuerten Christenthums — Caraffa, Loyola, später z. B. Sixtus V., der die alten Götzenbilder wenigstens durch Kreuze und ähnliche Attribute im Pan¬ theon des Christenthums courfähig machte — gehört zu dem Glänzendsten, was Ranke's Feder gezeichnet hat. In scharfer, prägnanter Kürze geht das große Wesentliche der Erscheinungen vor unsern Augen, vor unserm Geiste ans. Der wunderbare Bau jenes Ordens, von dem der mächtigste Fürst der katholischen Kirche zu sagen pflegt, er liebe ihn nicht, denn er sei der Einzige, den er nicht durchschaue, thürmt sich Stein für Stein vor unsern Augen auf; wir erfahren, daß nicht ein mächtiger Entschluß, nicht ein übermenschlicher und, wenn man so will, teuflischer Verstand dieses wirksamste aller Werkzeuge hervorgebracht habe, sondern daß es aus den Umständen hervorgegangen sei, und unsre Verehrung vor der Macht des Geistes, der den Einzelnen gleichsam überlistet, indem er seine kleinen, egoistischen Pläne zu Einem großen Werk verwendet, wird um so mäch¬ tiger in unsrer Seele. Aber nicht ungestraft sträubt man sich gegen die Gesetze der Natur; die Straft ist der innere Widerspruch. Ich könnte hier an einen weltlich gesinnten Papst im Gegensatz zu einem weltlich gesinnten Fürsten erinnern — Clemens VII. und KarlV. — die beide die geistigen Gewalten ihrer Zeit zu ihrem Dienst mi߬ brauchen wollten, und die sich beide in den Netzen ihrer eitlen Weltklugheit ver¬ strickten; aber viel glänzender tritt diese Wahrheit in den eigentlich Gläubigen hervor, z. B. einem Paul IV. im Verhältniß zu Philipp II., Sixtus V. in seinen Beziehungen zu Heinrich IV. Der scharfe psychologische Blick des Geschicht¬ schreibers weiß in den kleinsten Zügen, die ihm urkundlich überliefert werden, sichere Spuren von dem Walten des Geistes wiederzuerkennen, den er trotz seiner Forschungen im Kleinen nie ans deu Augen verliert. So scharf ausgeführt sind die Gemälde der einzelnen bedeutenden Männer, daß es uns zuweilen vorkommen wollte, als störten sie in gewissem Sinn den Eindruck des Ganzen, wie eine Wand, die man mit Oelgemälden statt mit Fresken zeichnen würde. Aber gerade die Natur dieses Werks, die nicht eine zusammenhängend fortgesetzte Erzählung, sondern ein lebendiges Bewegen in dem ganzen Kreise dieser weitausgedehnter Gährung erheischt, begünstigt die Plastik in den einzelnen Gruppen; eine jede ist ein abgeschlossenes Gemälde, vor dem wir gern verweilen und das doch durch einen gewissen sinnigen, ich möchte sagen ahnungsvollen Zug an die leitende Idee des Ganzen mahnt. Am intensivsten drückt sich diese innere Umgestaltung in der Geschichte der Je¬ suiten aus. Der Orden ist zunächst nur in der schwärmerischen Reflexion einzelner Gläubigen, die ein unbestimmter Thatendrang zur Wirksamkeit zunächst in's Blaue hinein treibt. Aber er ist ein Bedürfniß der Zeit, und die Stifter haben von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/450
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/450>, abgerufen am 28.07.2024.