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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Dieses Werk verdient eine genauere Analyse. Die Päpste treten in einer
dreifachen Beziehung auf: einmal als Gebieter einer furchtbaren Macht, die ihre
Netze über die ganze Welt ausbreitet; dann als Landesfürsten, in die kleinen
Sorgen der Oekonomie, in die locale Politik verwickelt; endlich als Angehörige
der gebildetsten Nation, im Verhältniß zu Wissenschaft und Kunst, als Schutz-
Herren dieser herrlichen Stadt, die noch nicht vergessen hat, daß sie einst Mittel¬
punkt der Bildung war.

Welch' unendlich reicher Rahmen und doch ein wie kunstvolles Maaß! Wir
haben einen sichern Mittelpunkt, wo wir uus stets wiederfinden, wenn wir einmal
den Faden verlieren. Die Ideen haben immer persönliche, locale Anknüpfungs¬
punkte. Wir werden heimisch in den engen Gemächern des Conclave, wir werden
jeder einzelnen Person vorgestellt, die irgend ein interessantes Gesicht hat. Wir
werden in der Stadt orientirt, wir sehen das neue Rom hervorgehen, seine Pa¬
läste, seine Straßen, seine Bewohner. Wir wissen von jeder Familie, von jeder
Menschenclasse was sie hergeführt hat. Unter unsern Augen werden die Gemälde,
die Statuen ausgeführt, wird der Obelisk ausgerichtet, die Peterskirche gebaut.
Wir begleiten dann die Nepoteu in ihre gouvernementale Wirksamkeit, wir ver¬
folgen sie auf ihre Güter, dort werden wir mit ihren Nachbarn bekannt, die po¬
litischen Verwickelungen bekommen für uns ein persönliches Interesse. Unmerklich
dehnt sich der Schauplatz weiter aus; wir reisen in Gesellschaft des uns wohlbe¬
kannten Legaten an die verschiedenen Höfe, die religiösen und politischen Verhält¬
nisse der Staaten zu Rom treten, eins nach dem andern, an's Licht; wir küm¬
mern uns um die gebildeten und gelehrten Männer in der Nähe, nehmen, wie
es Weltmännern ziemt, im Allgemeinen Notiz selbst von den philosophischen Be¬
strebungen, ohne uns zu sehr aufs Einzelne eirMlassen; wir lassen uns in den
innern Mechanismus des Ordens einführen , der vorzugsweise die römischen In¬
teressen über die Welt verbreitet, oder vielmehr wir sehen ihn vor unsern Augen
werden, und nnn, im Besitz dieser ausgedehnten Mittel, wird es uus leicht, die
gründlichsten Nachrichten ans allen Gegenden zu erhalten, ohne das Capitol zu
verlassen; denn dahin kehren wir doch immer zurück, wenn wir des Herumstreifens
müde siud.

Auf diese Weise stellt Ranke die künstlerische, wenn man will äußerliche Ein¬
heit seines Werkes her. Folgen wir ihm nun in der eigentlich ideellen Richtung,
der Gedankenentwickelung.

Niemals war der Widerspruch zwischen dem, was theoretisch als das Abso¬
lute verehrt wurde, und dem, was die Bildung als vollkommen und erstrebens-
werth erkannte, so schneidend in's Leben getreten, als in dem glänzenden Zeitalter
Leo's X. Die Kirche hatte den Glauben an sich selbst verloren, und damit auch
die Macht über die Herzen der Menschen. Die Bildung trennte damals die
Menschheit in zwei einander entfremdete Classen; die Wissenden waren irreligiös


Dieses Werk verdient eine genauere Analyse. Die Päpste treten in einer
dreifachen Beziehung auf: einmal als Gebieter einer furchtbaren Macht, die ihre
Netze über die ganze Welt ausbreitet; dann als Landesfürsten, in die kleinen
Sorgen der Oekonomie, in die locale Politik verwickelt; endlich als Angehörige
der gebildetsten Nation, im Verhältniß zu Wissenschaft und Kunst, als Schutz-
Herren dieser herrlichen Stadt, die noch nicht vergessen hat, daß sie einst Mittel¬
punkt der Bildung war.

Welch' unendlich reicher Rahmen und doch ein wie kunstvolles Maaß! Wir
haben einen sichern Mittelpunkt, wo wir uus stets wiederfinden, wenn wir einmal
den Faden verlieren. Die Ideen haben immer persönliche, locale Anknüpfungs¬
punkte. Wir werden heimisch in den engen Gemächern des Conclave, wir werden
jeder einzelnen Person vorgestellt, die irgend ein interessantes Gesicht hat. Wir
werden in der Stadt orientirt, wir sehen das neue Rom hervorgehen, seine Pa¬
läste, seine Straßen, seine Bewohner. Wir wissen von jeder Familie, von jeder
Menschenclasse was sie hergeführt hat. Unter unsern Augen werden die Gemälde,
die Statuen ausgeführt, wird der Obelisk ausgerichtet, die Peterskirche gebaut.
Wir begleiten dann die Nepoteu in ihre gouvernementale Wirksamkeit, wir ver¬
folgen sie auf ihre Güter, dort werden wir mit ihren Nachbarn bekannt, die po¬
litischen Verwickelungen bekommen für uns ein persönliches Interesse. Unmerklich
dehnt sich der Schauplatz weiter aus; wir reisen in Gesellschaft des uns wohlbe¬
kannten Legaten an die verschiedenen Höfe, die religiösen und politischen Verhält¬
nisse der Staaten zu Rom treten, eins nach dem andern, an's Licht; wir küm¬
mern uns um die gebildeten und gelehrten Männer in der Nähe, nehmen, wie
es Weltmännern ziemt, im Allgemeinen Notiz selbst von den philosophischen Be¬
strebungen, ohne uns zu sehr aufs Einzelne eirMlassen; wir lassen uns in den
innern Mechanismus des Ordens einführen , der vorzugsweise die römischen In¬
teressen über die Welt verbreitet, oder vielmehr wir sehen ihn vor unsern Augen
werden, und nnn, im Besitz dieser ausgedehnten Mittel, wird es uus leicht, die
gründlichsten Nachrichten ans allen Gegenden zu erhalten, ohne das Capitol zu
verlassen; denn dahin kehren wir doch immer zurück, wenn wir des Herumstreifens
müde siud.

Auf diese Weise stellt Ranke die künstlerische, wenn man will äußerliche Ein¬
heit seines Werkes her. Folgen wir ihm nun in der eigentlich ideellen Richtung,
der Gedankenentwickelung.

Niemals war der Widerspruch zwischen dem, was theoretisch als das Abso¬
lute verehrt wurde, und dem, was die Bildung als vollkommen und erstrebens-
werth erkannte, so schneidend in's Leben getreten, als in dem glänzenden Zeitalter
Leo's X. Die Kirche hatte den Glauben an sich selbst verloren, und damit auch
die Macht über die Herzen der Menschen. Die Bildung trennte damals die
Menschheit in zwei einander entfremdete Classen; die Wissenden waren irreligiös


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[0448] Dieses Werk verdient eine genauere Analyse. Die Päpste treten in einer dreifachen Beziehung auf: einmal als Gebieter einer furchtbaren Macht, die ihre Netze über die ganze Welt ausbreitet; dann als Landesfürsten, in die kleinen Sorgen der Oekonomie, in die locale Politik verwickelt; endlich als Angehörige der gebildetsten Nation, im Verhältniß zu Wissenschaft und Kunst, als Schutz- Herren dieser herrlichen Stadt, die noch nicht vergessen hat, daß sie einst Mittel¬ punkt der Bildung war. Welch' unendlich reicher Rahmen und doch ein wie kunstvolles Maaß! Wir haben einen sichern Mittelpunkt, wo wir uus stets wiederfinden, wenn wir einmal den Faden verlieren. Die Ideen haben immer persönliche, locale Anknüpfungs¬ punkte. Wir werden heimisch in den engen Gemächern des Conclave, wir werden jeder einzelnen Person vorgestellt, die irgend ein interessantes Gesicht hat. Wir werden in der Stadt orientirt, wir sehen das neue Rom hervorgehen, seine Pa¬ läste, seine Straßen, seine Bewohner. Wir wissen von jeder Familie, von jeder Menschenclasse was sie hergeführt hat. Unter unsern Augen werden die Gemälde, die Statuen ausgeführt, wird der Obelisk ausgerichtet, die Peterskirche gebaut. Wir begleiten dann die Nepoteu in ihre gouvernementale Wirksamkeit, wir ver¬ folgen sie auf ihre Güter, dort werden wir mit ihren Nachbarn bekannt, die po¬ litischen Verwickelungen bekommen für uns ein persönliches Interesse. Unmerklich dehnt sich der Schauplatz weiter aus; wir reisen in Gesellschaft des uns wohlbe¬ kannten Legaten an die verschiedenen Höfe, die religiösen und politischen Verhält¬ nisse der Staaten zu Rom treten, eins nach dem andern, an's Licht; wir küm¬ mern uns um die gebildeten und gelehrten Männer in der Nähe, nehmen, wie es Weltmännern ziemt, im Allgemeinen Notiz selbst von den philosophischen Be¬ strebungen, ohne uns zu sehr aufs Einzelne eirMlassen; wir lassen uns in den innern Mechanismus des Ordens einführen , der vorzugsweise die römischen In¬ teressen über die Welt verbreitet, oder vielmehr wir sehen ihn vor unsern Augen werden, und nnn, im Besitz dieser ausgedehnten Mittel, wird es uus leicht, die gründlichsten Nachrichten ans allen Gegenden zu erhalten, ohne das Capitol zu verlassen; denn dahin kehren wir doch immer zurück, wenn wir des Herumstreifens müde siud. Auf diese Weise stellt Ranke die künstlerische, wenn man will äußerliche Ein¬ heit seines Werkes her. Folgen wir ihm nun in der eigentlich ideellen Richtung, der Gedankenentwickelung. Niemals war der Widerspruch zwischen dem, was theoretisch als das Abso¬ lute verehrt wurde, und dem, was die Bildung als vollkommen und erstrebens- werth erkannte, so schneidend in's Leben getreten, als in dem glänzenden Zeitalter Leo's X. Die Kirche hatte den Glauben an sich selbst verloren, und damit auch die Macht über die Herzen der Menschen. Die Bildung trennte damals die Menschheit in zwei einander entfremdete Classen; die Wissenden waren irreligiös

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/448>, abgerufen am 28.07.2024.